Az. RAF ungelöst

Der eine ist tot, die andere schweigt, die Polizei tappt im Dunkeln, und die Wiener reden viel.

Der Blick der Talkmasterin verfinstert sich und nimmt ernste Züge an. Die Stimmung im Publikum ist gespannt. Dann spricht Vera, Österreichs berühmteste Talkmasterin, die drei magischen Worte: "RAF", "Terrorismus" und "Held". Der Held vernimmt sein Stichwort und tritt auf.

Christian ist ein mutiger Bursche, denn er hat nicht nur die beiden mutmaßlichen RAF-Terroristen beobachtet und fotografiert, nein, er wagt sich sogar an die Öffentlichkeit. Erkannt werden will er nicht, darum hat man ihm eine schwarze Perücke und eine Sonnenbrille verpaßt. Er spricht über die beiden "seltsamen Gestalten", seinen Spürsinn für alles Böse, seine Pflicht als Staatsbürger und über die vielen kalten Schauer, die ihn während der Polizei-Aktion überkamen. Knapp eine Million Alpen-Republikaner schaudern am Bildschirm mit.

Besonders in der Bundeshauptstadt Wien scheint man sich über die Erschießung von Horst Ludwig Meyer und die Festnahme von Andrea Martina Klump schon allein deshalb zu freuen, weil endlich wieder dieser heimelige Grusel zu verspüren ist, den man seit langem vermisst hat. Plötzlich schwingen sich biedere Kleinbürger, zum Beispiel Roman, ein anderer Teufelskerl, aufs Moped und klinken sich in die Verfolgungsjagd zwischen Polizei und Horst Ludwig Meyer ein. Und bevor noch die ersten Fakten über die festgenommene mutmaßliche Komplizin des erschossenen Horst Ludwig Meyer bekannt werden, lächeln die "Helden" - mit Orden geschmückt - von den Titelseiten des Boulevards.

Waschechte Terroristen sind eben selten in der Donau-Metropole. Aber wenn man meint, es seien welche da, legen ihnen die tapferen Wiener, die gerne das Gesetz in die eigenen Hände nehmen, das Handwerk. Bundeskanzler Viktor Klima ließ sich da nicht lumpen, schüttelte den "mutigen Zivilisten" die Hand und bedankte sich für ihre "Zivilcourage".

Aber was planten Meyer und Klump nun tatsächlich? Warum trafen sie sich seit Mitte Juli fast täglich um die gleiche Zeit an der Ecke Wagramer Straße-Schrickgasse in Wien-Donaustadt? Wurde durch die Festnahme von Klump und die Erschießung von Meyer der große Anschlag auf die Uno-City oder ein Überfall auf eine Bank vereitelt?

"Nein, das ist definitiv auszuschließen", bestätigt Ewald Bachinger, Chef der staatspolizeilichen Abteilung Wien, gegenüber Jungle World. "Sowohl für ein Attentat als auch einen Überfall kam ihr Verhalten nicht in Frage. Sie haben sich ja immer am Vormittag getroffen. Da sind die Kassen der Geschäft noch fast leer. Was sie dort genau zu schaffen hatten, wissen wir selbst noch nicht."

Am wahrscheinlichsten sei noch, so Bachinger, die Methode Fuchs, der "ja rund um seinen Bau auch keine Spuren hinterläßt". Bachinger spielt auf die Wohnung der beiden mutmaßlichen RAF-Mitglieder an, die sich weit entfernt vom täglichen Treffpunkt befindet. Wollten die beiden etwa in Uno-City-Nähe absichtlich auffallen, um dann anderswo "zuzuschlagen"? Und wieso das seltsame Outfit? Und was ist mit diesem "Andreas", der die RAF-Mitglieder hin und wieder zu Hause aufsuchte?

Bachinger ist genervt: "Ich will mich jetzt nicht mehr länger irgendwelchen Spekulationen hingeben. Wir sind dazu da, Beweise zu sammeln, die der Justiz zu übergeben und der das Urteil zu überlassen." Punkt. Die Exekutive klammert sich nun verzweifelt an die Bevölkerung und veröffentlicht Telefonnummern, wo man "sachdienstliche Hinweise" hinterlassen kann. Helfen werden die Wiener jedoch nur begrenzt können. Bis jetzt sind Fahrräder und Kleidungsstücke aufgetaucht. Lauter Puzzleteile - unzusammenhängend, verwirrend.

Obwohl bereits sämtliche Ermittlungsmethoden ausgeschöpft werden, dominieren in Polizeikreisen weiterhin die Worte "könnten" und "dürften". Der Wohnungsvermieter von Meyer und Klump zeigt sich zwar kooperativ und plaudert viel, von der eigentlichen Quelle erfährt man aber weiterhin nichts.

Andrea Martina Klump dagegen, nun schon seit über zwei Wochen in U-Haft, gehört nicht zu den Gesprächigsten: "Sie machen ihren Job, und ich mache meinen", ist alles, was sie in den diversen Verhören bisher zu Protokoll gab. Mittlerweile fand die erste Haftprüfung Klumps statt. Sie muss sich wegen Urkundenfälschung, Widerstands gegen die Staatsgewalt und Beihilfe zum Mordversuch verantworten.

Ein Auslieferungsantrag der deutschen Generalbundesanwaltschaft liegt schon vor, jedoch muss erst geklärt werden, ob die "Akte Klump" tatsächlich ganz und daher auch bald übergeben werden kann. "Alles ist möglich. Die Entscheidung liegt bei der Staatsanwaltschaft", erklärt Stapo-Chef Bachinger.

Die wahlkämpfenden Parteien dürfte die "Amtshandlung RAF", so die beamtendeutsche Bezeichnung, überrascht haben. Lediglich die FPÖ griff gekonnt in die unterste Schublade des Geschmacks. Ihr Generalsekretär Peter Westenthaler beschuldigte in einer Presse-Erklärung den Anwalt und ehemaligen Abgeordneten der Grünen, Thomas Prader, er sei Teil einer Grüne-RAF-Connection und "vertusche" wichtige Hintergründe.

Prader war vom Wohnungsvermieter Meyers und Klumps, Siegfried D., als Rechtsanwalt beauftragt worden. Der Jurist nahm die "freiheitlichen" Angriffe gelassen: "Ich vertrete einen normalen anwaltlichen Job, mehr ist da nicht dran", so Prader, der auch darauf verwies, dass er ja in der Politik über kein Amt mehr verfüge. Selbst der für seine rechte Ausländerpolitik bekannte Innenminister Karl Schlögl wurde von dem plumpen Rundumschlag der FPÖ nicht ausgenommen.

Dennoch verschwindet das Thema RAF mit jedem Tag ein bisschen mehr aus den Medien. Erstens dürften sich so bald keine neuen Wendungen in dem Fall ergeben, und zweitens hat man in Österreich zur Wahlzeit andere Sorgen. Die uniformierten Beamten bemühen sich jedoch weiterhin, das Interesse auf sich zu ziehen.

Zuerst mit der "Operation Spring", einer groß angelegten Drogenrazzia in Wien, bei der vergangene Woche 150 Polizisten 36 Verdächtigte festnahmen. Und dann durch einen Vorfall, der durch einen anonymen Brief bekannt wurde: In dem Schreiben wird dem Polizeichef von Wien-Donaustadt vorgeworfen, er habe bei Schulungen rassistische Äußerungen ("Bei den Scheiß-Negern: zuerst schießen, dann reden!") von sich gegeben.

Es ist anzunehmen, dass man von der RAF auch nach dem 3. Oktober, dem Tag der Parlamentswahl, nicht viel hören wird. Die Sache wird als streng geheim behandelt und von der Einsatzgruppe zur Bekämpfung des Terrorismus (EBT) entsprechend unter Verschluss gehalten. Stapo-Chef Bachinger erklärte gegenüber Jungle World, dass die Zusammenarbeit mit den deutschen Kollegen sehr gut funktioniere. Irgendwie hat man das Gefühl, es würde ihm nichts ausmachen, ihnen den Fall möglichst rasch abtreten zu dürfen.