Große Klappe in Bournemouth

Zum hundertsten Parteijubiläum befindet sich Großbritanniens Labour Party auf dem Zenit ihrer Macht. Doch an der Basis wächst der Groll gegen Parteichef Tony Blair.

Wahlgeschenke können sehr handfest sein: Bei 150 000 Rentnern in Großbritannien wird in den nächsten Monaten ein Mann im blauen Overall erscheinen und Panzerbeschläge an den Türen sowie Sicherheitsbolzen an den Fenstern anbringen - gratis. Elf Millionen Pfund (gut 17 Millionen Euro) lässt sich die Labour-Regierung - genauer: Innenminister Jack Straw - das Präsent kosten. Law and order is a Labour issue. Zwar, gab Straw zu, werde bei Rentnern viel weniger eingebrochen als beim Rest der Briten. Dafür sei aber bei dieser Bevölkerungsgruppe die Kriminalitätsfurcht besonders ausgeprägt. Collecting votes is a Labour issue.

Um ganz sicher zu gehen, werden bei vielen Rentnern die Blaumänner noch ein zweites Mal auftauchen: Bitte sehr, Isoliermatten für die Wände und ein neuer Nachbrenner für den Kohleofen. Ein Geschenk von Umweltminister John Prescott. Wer keine Handwerker im Haus mag, der sollte im Mai 2001, wenn voraussichtlich die nächsten Unterhaus-Wahlen anstehen, besser nicht Labour wählen. Sonst kommen sie, wer weiß, 2005 mit einem Bagger an, um das Haus zu unterkellern.

Ungemach haben auch die Adressaten eines weiteren Präsents der britischen Regierung zu erwarten: Am Montag vergangener Woche kündigte Finanzminister Gordon Brown auf dem Labour-Parteitag in Bournemouth an, für Vollbeschäftigung noch in der nächsten Legislaturperiode sorgen zu wollen. Auf Nachfrage von Journalisten fügte ein enger Mitarbeiter Browns am Abend im kleinen Kreise hinzu, wer sich diesem Ziel verweigere, der müsse damit rechnen, dass ihm jegliche Unterstützung gestrichen werde. Punishment is a Labour issue.

Autoritäre Lösungen sind fashionable. Das wurde auf dem eine volle Woche andauernden Parteitag in dem windigen Badeort an der Kanalküste immer wieder deutlich. Ein nicht unbedeutender Teil der Diskussionen auf den zahlreichen öffentlichen Ausschuss-Sitzungen am Rande drehte sich darum, was alles verboten und unter Strafe gestellt werden sollte. Arbeits- und Bildungsminister David Blunkett machte den Anfang mit der Forderung, Eltern, die duldeten, dass ihre Kinder die Schule schwänzen, mit einer Strafe von 5 000 Pfund (ca. 7 700 Euro) zu belegen. Michael Meacher - Parteilinker und Ressortkollege von Straw ohne Kabinettsrang - sägte weiter an seiner politischen Karriere, indem er vorschlug, in bestimmten Teilen des Landes keine Zweitwohnungen mehr zuzulassen. Und ein zwei Jahre alter Vorstoß von Labour-Hinterbänklern, die Fuchsjagd mit Hundemeuten zu verbieten, sorgte auch in Bournemouth für heiße Diskussionen und eine Demonstration von rund 15 000 großenteils in scharlachrote Reitertracht gewandeten Bewohnern der britischen Countryside. Wie die beiden anderen Vorschläge wurde auch dieser vorläufig auf Eis gelegt.

Das waren die Themen, die die Presse beherrschten - aber es waren nicht die Themen, die die Delegierten auf dem Labour-Parteitag wirklich interessierten. Hätte man sich denn streiten wollen, so wäre es wohl um die von der Labour-Spitze betriebene Umstrukturierung der Partei gegangen. Eine Parteireform soll die Rechte der Ortsverbände entscheidend schwächen: Ihre Mitglieder sind im Schnitt wesentlich älter als die smarten Politmanager in Blairs Umgebung und stehen ein gutes Stück weiter links als diese.

Während einer zweiten Amtszeit, die Blair, wie er in Bournemouth erstmals öffentlich erklärte, anstrebt, soll Old Labour kein Hindernis mehr sein für die Partei-Rechte an der Spitze. Die Wut wuchs an, als bekannt wurde, dass die Kandidatenliste für rund 80 Wahlkreise, die in nächster Zeit vakant werden, nicht, wie ursprünglich vorgesehen, in Bournemouth auf der Tagesordnung stand. Das diene einzig und allein dem Zweck, vermuten Basis-Aktivisten, die Kandidatenkür in informelle, Blair-nahe Zirkel zu verlagern und linken Kandidaten gar nicht erst eine Chance zu geben, sich dem Parteitag zu präsentieren.

Zähneknirschend hatte man in den Ortsverbänden den Durchmarsch der Blairites hingenommen - schließlich gab der Erfolg ihnen, anders als dem Schröder-Flügel der deutschen Sozialdemokraten, Recht: Am Ende des Parteitages kam Labour in den landesweiten Umfragen trotz einiger peinlicher Pannen auf 52 Prozent der Stimmen; die konservativen Tories, die vor Blairs Wahl 1997 18 Jahre ohne Unterbrechung regiert hatten, nur mehr auf 25. Als "weird, weird, weird" schmähte der Premier vor den Delegierten den politischen Gegner, den schon fast keiner mehr ernst nimmt. Am nächsten Abend bot der verbindliche Blair frustrierten Konservativen an, zu Labour überzutreten - freilich, ohne dass bisher irgendwelche prominenten Tories seinem Ruf gefolgt wären.

Begleitmusik zu einer Jubelveranstaltung, die von einer straffen Parteitagsregie minutiös geplant war: 100 Jahre Labour Party galt es zu feiern. Dass man es nicht in Blackpool tat - dem traditionellen Veranstaltungsort von Labour-Kongressen im Einzugsbereich des einstigen nordwestenglischen Stahl- und Kohlereviers - sollte ein Zeichen sein. In Bournemouth, das schon mehrere Parteikongresse sowohl der Tories als auch der Liberaldemokraten gesehen hat, begab man sich ins Herz des seit langem konservativ geprägten, wohlhabenden Südens. Von dort aus, und auch das sollte ein Zeichen sein, blickt man nicht auf die raue Irische See, sondern ahnt hinter dem Horizont Frankreich, den Kontinent, Europa.

"Liegt unsere Zukunft in Europa oder nicht?" fragte Tony Blair die Parteifreunde. "Wenn die Antwort Nein lautet, dann sollten wir (aus der Europäischen Union) austreten. Damit würden wir aber ein Wirtschaftsbündnis verlassen, mit dem wir 50 Prozent unseres Außenhandels abwickeln, von dem Millionen britischer Jobs abhängen. Unsere wirtschaftliche Zukunft wäre ungewiss. Gewiss wäre aber, dass wir keine maßgebliche Macht mehr darstellen würden."

"Surrender!" brüllte die von dem Australier Rupert Murdoch dominierte rechte Boulevardpresse: "Blair kapituliert!" Nachdem New Labour alle wichtigen Themen der Konservativen - ob Familie, Innere Sicherheit oder die Privatisierung von Staatsunternehmen - in sein Konzept integriert hat, bleibt Sun, Daily Mail und Telegraph fast nur noch die Pro-Euro-Politik des Premiers als Angriffspunkt. Darin spiegelt sich freilich eher Murdochs Geschäftsinteresse wider als ein Herzstück konservativer Politik: Nach dem Ende der Thatcher-Ära hat der Widerstand gegen die Europäische Union auch bei den Tories abgenommen. Ob Parteiführer William Hague, der seit Blairs Wahl merklich nach rechts gerutscht ist, das Thema erneut in populistischer Form aufgreifen wird, das könnte sich schon in dieser Woche zeigen, wenn die Tories ihren Parteitag veranstalten - in Blackpool übrigens.