Komplizen der Macht

Die NGOs ergänzen den nationalen Wettbewerbsstaat und sind integraler Teil der Neuen Weltordnung.

Kriegsminister Scharping schrieb in seinem Tagebuch über den Kosovo-Einsatz: "Die Hilfsaktionen wurden in der Bundesregierung mit Otto Schily und Heidemarie Wieczorek-Zeul sorgfältig koordiniert, die Nicht-Regierungsorganisationen und die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit leisten zudem enorm viel" (6. April). Otto Schily, zuständig für die flotten Abschiebungen von Flüchtlingen, und Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs), vereint mit dem "Verteidigungsministerium" und der Bundesregierung im "Kampf um die Zivilisation" (Lionel Jospin) - was war geschehen?

Scharping vertraute es einige Tage später seinem Tagebuch an: "(...) erstmals handeln die Deutschen gemeinsam mit allen Europäern statt gegen sie; erstmals geht es nicht um Unterwerfung, sondern um das menschliche Recht und dessen Durchsetzung" (11. April). Die militärische "humanitäre Intervention", wie sie sich nach 1989 zunehmend etabliert und mit dem Nato-Krieg gegen Serbien einen neuen Höhepunkt erreicht hat, bringt die scheinbar einfache Welt der "neuen Internationalen" (Zeit) durcheinander.

Schon im Namen "Nicht-Regierungsorganisationen" steckt die Ambivalenz einer negativen Bestimmung: Scheinbar stehen sie im Gegensatz zum Staat, tatsächlich sind sie seine Ergänzung, wo sich staatliches Handeln als ineffektiv erweist. Ihr neuer Charakter besteht darin, dass ihnen staatliche Institutionen diese Rolle bewusst zuweisen.

Mit dem "Ende" nationalstaatlicher Politik verändern sich die Grenzen und die Handlungslogik von Ökonomie, Staat und Gesellschaft und somit auch der Bezugsrahmen von NGOs. Der "nationale Wettbewerbsstaat" setzt eine "intelligente" Strukturanpassung an den Weltmarkt durch und folgt damit der Logik der Globalisierung, ohne dass sich demokratische Strukturen oder Alternativen auf internationaler Ebene entwickeln.

Die NGOs besetzen wiederum das politische Vakuum, das die staatlichen Institutionen bei ihrem Rückzug hinterlassen. Sie sind Akteure in konfliktiven sozialen Prozessen, die sich bei Kompro-missfindung ständig als sogenannter "erweiterter Staat" (Gramsci) verdichten und institutionalisieren.

Im Gegensatz zu den Neuen Sozialen Bewegungen werden sie in diesem erweiterten Rahmen als "konfliktiver Kooperationspartner" anerkannt. Sie sind nicht nur Spezialisten auf einem bestimmten Gebiet, sie sind auch sonst ganz im Sinne des "neuen" Kapitalismus: flexibel, global mobil etc. Damit sind sie aber nicht nur international vernetzt, sondern auch in herrschende Macht- und Ausbeutungsverhältnisse verstrickt.

Ein weiterer Moment ist die Vermittlung der Kriege in der "Neuen Weltordnung". Die Vertreter der "Zivilgesellschaft" werden zu einem Teil der militärischen Gesamtstrategie. Statt sich an der Seite von emanzipatorischen Prozessen oder Basisbewegungen zu verorten, wird eine neutrale und unpolitische humanitäre Hilfe praktiziert, die sich in die Logik des postnationalen Krieges einfügt - angefangen bei der Legitimation des Krieges als notwendige Verhinderung einer "humanitären Katastrophe" bis hin zur Übernahme und Verwirklichung der Nato-Strukturen.

So hatten NGOs beispielsweise maßgeblich Anteil daran, dass die Flüchtlinge während der Vertreibungspolitik und der Bombardements das Kriegsgebiet nicht verlassen konnten, in Großlager untergebracht und anschließend systematisch registriert wurden.

In den Lagern wie auch bei der "Rückführung" der Flüchtlinge griffen die NGOs mit ihrer Arbeit - unter den Bedingungen der Nato - als verlängerter Arm der westlichen Hegemonialkräfte in soziale Prozesse ein. Die NGOs verwalten große Summen an Spendengeldern und besitzen eine zentrale Rolle als "Produktivkraft" in einer völlig zerstörten Wirtschaft. Sie verfügen damit über großen Einfluß auf die weitere Entwicklung der ökonomischen Strukturen in der gesamten Region.

Natürlich gibt es nicht die NGOs. Auch ist unter den NGOs die Empörung groß, dass die humanitäre Hilfe zunehmend instrumentalisiert wird und ihren neutralen Charakter verliert. Bedenklich ist jedoch, dass trotz dieser Empörung kein Wille erkennbar ist, sich dieser Logik gänzlich zu entziehen.

Mit der moralischen Beschwörung des angeblich unpolitischen Charakters der humanitären Hilfe gaukeln sich die NGOs jedoch nur vor, vermeintlich unabhängige Beobachter und Kritiker der gesellschaftlichen Verhältnisse zu sein. Sie verkennen dabei, dass diesen Verhältnissen das Gegenteil angemessen wäre: politische Akteure, die sich der herrschenden Logik entziehen und die Zivilgesellschaft verändern, anstatt von ihr zu reden.

Der Autor ist freier Autor und arbeitet u.a. für Arranca!