Liberaler Strom

Manchen gehen die Lichter aus

Früher legte man untertassengroße Magneten auf den Zähler oder fummelte an der Plombe herum, um den registrierten Stromverbrauch zu senken. Denn erstens passten die Energiespar-Birnen nicht immer in die alten Lampenfassungen und zweitens konnte sich die WG keinen ökologisch vertretbaren Kühlschrank leisten. Zudem wollte man keineswegs den Strommonopolisten Geld in den Rachen werfen, zumal die ihre Stellung noch aus dem auf die Kriegswirtschaft der Nazis ausgerichteten Energiewirtschaftsgesetz herleiteten, die Atomindustrie hofierten und die Preise künstlich hoch hielten.

Nun ist der Strommarkt "liberalisiert". Statt am Zähler rumzuschrauben, wechselt man zu einem Anbieter, der wenigstens günstigere Strompreise verspricht.

Das Beispiel Telekommunikation zeigte kürzlich, wie das funktioniert: Schnell nach der Marktöffnung setzten sich zwei Konzerne, Telekom und Mannesmann, durch. Nebenbei gingen 40 000 Arbeitsplätze verloren - und das unter den Augen der Regulierungsbehörde für Post und Telekommunikation, die immerhin rund 3 000 Leute beschäftigt, um gegebenenfalls einzuschreiten.

Auf dem Strommarkt ist eine entsprechende Entwicklung vorhersehbar. Die Ex-Monopolisten haben Millionen in Image- und Preiskampagnen investiert, und auch die privaten Haushalte scheinen inzwischen als Abnehmer begehrt. Schon im Vorfeld bauten RWE, Viag-Bayernwerk, Veba-PreussenElektra, VEW und Energie Baden-Württemberg (EnBW) insgesamt rund 40 000 Arbeitsplätze ab. Begründung: Man müsse wettbewerbsfähig werden. Insgesamt etwa 900 Unternehmen - Energieversorgungsfirmen, Kraftwerksbetreiber und Stadtwerke - bilden den deutschen Strommarkt.

Das Bundeskartellamt, das im Energiebereich die Oberaufsicht führt (mit gerade mal zehn Stromexperten), hat keine Bedenken. Präsident Dieter Wolf ließ durchblicken, dass man bei der beschlossenen Fusion der Düsseldorfer Veba (PreussenElektra) und der Münchner Viag (Bayernwerke) keine Schwierigkeiten sieht. Solange ein Wettbewerb stattfinde, seien selbst Großfusionen akzeptabel.

Der Veba-Viag-Zusammenschluss ist die größte Industriefusion der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Der neue Konzern wird die Nummer eins in Deutschland und die Nummer drei in Europa. Das Unternehmen soll völlig umstrukturiert werden. Mit wenigen Ausnahmen will man alle Unternehmensbereiche und -beteiligungen, die nicht mit der Energiebranche zusammenhängen, verkaufen - samt 100 000 Arbeitsplätzen mit unklarer Zukunft.

Die Beschäftigten bei PreussenElektra und den Bayernwerken wissen dagegen schon, was auf sie zukommt: 2 500 von 100 000 Arbeitsplätzen werden sicher verschwinden; gemunkelt wird von bis zu 7 000. Veba-Chef Ulrich Hartmann und Viag-Kollege Wilhelm Simson haben ihren Aktionären versprochen, jährlich 800 Millionen Mark einzusparen.

Kleineren Versorgern wie den Stadtwerken geht jetzt schon das Licht aus, und die Hilfeversprechen der Bundesregierung dürften nur symbolisch sein.

Die Bankenanalysten schätzen, dass in den nächsten Jahren noch einmal 40 000 Arbeitsplätze in der Energiebranche verloren gehen werden - vorrangig bei den kleineren Anbietern und Betrieben. Einzige Chance, dem zu entgehen, wäre für die Stadtwerke, selbst mitzumischen im großen "Liberalisierungs"-Geschäft. Dazu müssten sie sich bundesweit zusammenschließen und einen mächtigen Partner suchen. Nur: Teurere umweltfreundlichere Energieleistungen sowie eine einigermaßen sozialverträgliche Personalpolitik sind dann natürlich noch weniger realistisch als heute.