Freundliche Nachbarn

In der tschechischen Stadt Usti nad Labem sollen zwei Roma-Häuser hinter einer Mauer verschwinden.

In der Maticni-Straße in der tschechischen Großstadt Usti nad Labem soll wieder Ordnung herrschen. Und dafür haben sich die städtischen Behörden etwas ganz Besonderes einfallen lassen: 1,80 Meter hoch und 62 Meter lang soll die Mauer werden, die sie seit letzter Woche quer durch das Wohngebiet bauen lassen. Die tschechischen Anwohner hatten sich zuvor über den Lärm beschwert, auch drohe die Straße angeblich im Dreck zu versinken. Die Ursache all dieser Übel, da sind sich Anwohner und Verwaltung einig, sind die Roma-Familien, die hier von der Stadt in zwei Häusern einquartiert wurden. Die Mauer soll jetzt für klare Verhältnisse sorgen: Auf der einen Seite werden die Roma-Familien leben, auf der anderen die Tschechen.

Die Idee, das "Roma-Problem" regelrecht einzumauern, ist nicht neu: Bereits im Mai 1998 hatten die Städte Plzen und Usti nad Labem verkündet, Siedlungen mit überwiegender Roma-Bevölkerung abzugrenzen. Zwar hatten daraufhin staatliche Behörden versucht, das Projekt aufzuhalten; die Mauer würde doch nur die Unfähigkeit belegen, mit den Roma umzugehen. Überzeugen konnten sie damit niemanden. Alle Versuche, das Umfeld der Wohnhäuser - etwa durch den Bau eines Spielplatzes - aufzubessern, seien schließlich fehlgeschlagen, erwiderte die Stadtverwaltung in Usti. Bürgermeister Pavel Tosovsky weist den Vorwurf des Rassismus von sich und tröstet die zukünftig Eingemauerten: "Sie können die Mauer dekorieren, wie Sie wollen."

Das Ghetto-Modell könnte sich möglicherweise auch in anderen Teilen Tschechiens durchsetzen. Die Städte Rokykany und Vsetin fordern bereits Zäune gegen Roma-Mitbürger. Roma-Kinder würden auf dem Spielplatz die anderen Kinder terrorisieren und die Büsche als Toiletten missbrauchen, behaupten einige Nachbarn in Vsetin. Jetzt wollen sie auch ein Gitter.

Abfall, Lärm und freche Kinder sind jedoch meist nur vordergründige Anschuldigungen. Antiziganismus ist in Tschechien durchaus salonfähig und macht auch vor den Institutionen nicht Halt. Nach der friedlichen Teilung der Tschechoslowakei 1993 fand sich nach Schätzungen des European Roma Rights Center (ERRC) rund ein Drittel der 300 000 tschechischen Roma ohne Staatsbürgerschaft wieder. Die beiden neuen Teilstaaten versuchten, sich die Minderheit gegenseitig zuzuschieben: Prag stufte die Roma plötzlich als Slowaken ein, in Bratislava galten sie wiederum als tschechische Staatsbürger. Ohne die Staatsbürgerschaft können die Roma jedoch eine ganze Reihe von Bürgerrechten sowie die staatlichen Sozialleistungen nicht mehr in Anspruch nehmen.

Die neue Gesetzgebung traf eine Bevölkerungsgruppe, deren Lebensbedingungen ohnehin desolat sind. Roma haben kaum Chancen auf eine gute Ausbildung, ihre Kinder werden häufig nur zu Sonderschulen zugelassen. Die Arbeitslosigkeit unter den Roma liegt weit über dem tschechischen Durchschnitt. Ihr Lebensstandard ist entsprechend niedrig.

Zudem müssen die Roma mit einer ständigen physischen Bedrohung leben. Eine militante Neonazi-Szene terrorisiert, so berichtet das ERRC, vor allem die Roma-Minderheit. Immer wieder werden Fälle von gewaltsamen Übergriffen bekannt. Allein in den letzten zehn Jahren haben Skinheads in der ehemaligen Tschechoslowakei mehr als 31 Roma umgebracht (Jungle World, Nr. 14/99).

Dass die Gewalt gegen Roma vom Großteil der tschechischen Bevölkerung toleriert wird, zeigen die milden Urteile, die die Gerichte bei solchen Anlässen fällen. Nach Angaben des ERRC wenden die tschechischen Gerichte sogar ein Gesetz gegen rassistisch motivierte Straftaten, das die Minderheiten schützen soll, gegen die Roma an. Bei so viel etabliertem Antiziganismus kann der Versuch, die Roma in den Städten zu ghettoisieren, kaum noch verwundern.

Kritik an der geplanten Mauer wird inzwischen auch im Ausland laut. Das US-amerikanische Außenministerium und die Europäische Kommission haben eine verstärkte Integration der Roma in Tschechien angemahnt. Die Warnungen aus dem Westen kommen nicht von ungefähr. Grund sind die wachsenden Flüchtlingsströme, die der Rassismus in Tschechien ausgelöst hat.

Denn offenbar hofft man in Prag, dass sich das "Roma-Problem" durch Auswanderung von selbst erledigt. Als ein Film über eine Roma-Familie in Kanada vor zwei Jahren eine regelrechte Auswanderungswelle auslöste, stellte die Stadtverwaltung von Ostrava den ausreisewilligen Roma in Aussicht, für einen Großteil der Flugkosten aufzukommen (Jungle World, Nr. 25/98). Kanada hatte daraufhin eine Visumspflicht für alle Tschechen eingeführt.

Auch in Europa wächst der Druck auf die tschechische Regierung. Im September hat der britische Premierminister Tony Blair damit gedroht, dem kanadischen Vorbild zu folgen. Schließlich haben allein in diesem Jahr rund 1 000 tschechische Roma Asyl auf der Insel beantragt.

Um die europäischen Nachbarn wenigstens von ihrem guten Willen zu überzeugen, hat die tschechische Regierung vergangene Woche ein Vorzeige-Projekt angekündigt. Sie will in der Nähe von Ostrava mit Hilfe internationaler Gelder eine "Stadt der Koexistenz" errichten. Dort sollen Tschechen, die bei einem Hochwasser vor zwei Jahren ihre Häuser verloren haben, und Roma, deren Asylanträge in Großbritannien abgelehnt wurden, gemeinsam angesiedelt werden.

Nicht ganz ohne Schwierigkeiten läuft unterdessen der Bau der Mauer in Usti nad Labem. Fünfzig Roma blockierten letzten Mittwoch die Baustelle und demontierten friedlich den bereits errichteten Teil der Mauer. Um eine Eskalation zu vermeiden, hielt sich die Polizei zurück. Ein Sprecher der Roma in der Maticni-Straße nannte die Demontage einen "Akt der Selbstverteidigung" und kündigte an: "Je vehementer die Stadt die Mauer bauen will, desto entschiedener werden wir dagegen sein."

Möglicherweise ist der Widerstand nicht mehr lange nötig. Denn auch Präsident Vaclav Havel und Regierungschef Milos Zeman haben sich gegen die Trennmauer ausgesprochen. Noch im Oktober soll im Parlament darüber abgestimmt werden.