Grass versus Reich-Ranicki Literatur, frontal

Noch Fragen, Grass? Ja, Reich-Ranicki!

Die Auszeichnung für den schönsten Schaukampf der vergangenen Woche haben sich der designierte Nobelpreisträger Günter Grass und sein hartnäckigster Kritiker Marcel Reich-Ranicki verdient. Begründung: Beide Kontrahenten der in Spiegel, Woche und FAZ ausgetragenen Debatte verzichteten angenehmer Weise von vornherein darauf, den Anschein zu erwecken, es ginge ihnen nicht darum, den anderen persönlich zu beleidigen. Schließlich hatte Reich-Ranicki, laut Grass ein Agent des sozialistischen Realismus, das "Tischtuch zwischen uns beiden zerrissen" (Grass) und, schlimmer noch, den Fonty-Roman "Ein weites Feld" verrissen, und "wahrscheinlich wird es auch jetzt kein Gespräch zwischen uns geben" (Reich-Ranicki).

Das von der Nachricht aus Stockholm aufgeschreckte Feuilleton hatte sich gerade mühevoll darauf geeinigt, Grass habe den Preis verdient, aber sicher! klar! gar keine Frage!, und zwar für sein, nennen wir es mal: Frühwerk - das im Grunde aber auch nur aus einem einzigen Roman besteht, der jedoch im Ausland mächtig viel Eindruck hinterlassen hatte und auch in Stockholm noch in guter Erinnerung geblieben war, und dann gab es da auch noch diese wunderbare Parallele, schließlich hatte selbst Thomas Mann den Nobelpreis ausdrücklich für ein einzelnes Buch, seine "Buddenbrooks" erhalten.

Günter Grass?

Thomas Mann?!! Welch ein Unfug wurde da eigentlich geredet!

Immer schon hatte Reich-Ranicki darauf hingewiesen, dass man die ersten beiden Teile der "Blechtrommel" noch durchgehen lassen könne, keinesfalls aber den dritten, den Düsseldorfer Part, der völlig missraten sei, obwohl auch der ein paar gute Stellen und mindestens ein sehr schönes Kapitel enthalte. Die Existenzialisten-Parodie "Der Zwiebelkeller" sei "genial", sodass man sich darauf einigen könne, Grass habe in der "Blechtrommel" Glanzvolles geschrieben, "ich sage deutlich: in der 'Blechtrommel'", keinesfalls aber sei der Roman als Ganzes geglückt, auch nicht die "Hundejahre", auch nicht die "Rättin", auch nicht der "Butt".

Reich-Ranicki im Spiegel: "Grass ist als Romancier weltberühmt geworden, aber er ist eigentlich überhaupt kein Romancier."

Grass in der Woche: "Ich kenne seine (Reich-Ranickis) Grenzen, und ich weiß, dass er seine beste Zeit noch in der Gruppe 47 hatte, als andere Kritiker ihm widersprachen und er sich diesem Widerspruch stellen musste."

Reich-Ranicki im Spiegel: "Sein (Grass') Verhältnis zu mir hängt immer nur davon ab, wie ich sein letztes Buch beurteilt habe."

Grass in der Woche: "Ich habe Jahrzehnte unter ihm (Reich-Ranicki) leiden müssen (...)."

Reich-Ranicki im Spiegel: "Ich bedauere außerordentlich, dass dieser Verriss (des Romans 'Ein weites Feld') mit einem Titelbild verbunden wurde, auf dem ich ein Buch zerreiße."

Grass in der Woche: "Er behauptet, die Fotomontage sei ohne sein Wissen entstanden, aber er hätte dieses Bild verhindern können."

Reich-Ranicki im Spiegel: "Die Kraft, die man braucht, um ein dickes, ordentlich gebundenes Buch zu zerreißen, die habe ich gar nicht."

Grass in der Woche: "Er kann das nicht wie einen Lapsus behandeln. Das hat mich tief verletzt. So einfach ist das nicht zu begradigen."

Die Sache scheint also gelaufen. Und dennoch wünscht sich der Spiegel ein Gipfeltreffen zwischen dem Kritikerpapst und dem Nobelpreisträger.

Reich-Ranicki: "Sagen Sie das dem Grass."

Grass: "Es ist nicht so, dass ich ihm aus dem Weg gehen oder um die Ecke schleichen würde."