Demokratie in Marsch

Der Putschist General Musharraf hat die Macht in Pakistan übernommen und will sie so schnell auch nicht wieder hergeben.

Würde an Militärakademien das Putschen gelehrt, General Pervez Musharraf wäre ein gefragter Dozent. Der Sturz der pakistanischen Regierung am Dienstag vergangener Woche verlief idealtypisch: Wenige Minuten, nachdem Ministerpräsident Nawaz Sharif den Armeechef für abgesetzt erklärt hatte, setzten sich dessen Truppen in Bewegung, um Sharif zu verhaften und im ganzen Land die Kontrolle zu übernehmen.

Die Bevölkerung schien den Coup entweder zu begrüßen oder gleichgültig aufzunehmen. Was in den letzten elf Jahren offiziell als Demokratie bezeichnet wurde, stellte sich ihr als Wechsel zwischen korrupten Ministerpräsidenten mit autokratischem Gebaren dar, der meist auf Druck der Armee erfolgte. Auf den Straßen herrschte am nächsten Tag der übliche Betrieb, die Militärpräsenz blieb gering.

Kein Wunder: "Weg mit Sharif" war noch vor einem Monat die Parole gewesen, unter der sich die zerstrittenen Oppositionsparteien in verschiedenen Städten zu Massenprotesten und Generalstreiks zusammenfanden. Die Ausweitung der Unruhen konnte der bankrotte Premier damals nur durch den Einsatz von bewaffneten Kräften und durch Hunderte von Verhaftungen verhindern.

Der Niedergang Sharifs begann, als er im Juli auf Drängen der USA den Rückzug aus der indischen Kaschmir-Region anordnete. In Anbetracht der hysterischen Erfolgsmeldungen der pakistanischen Medien, in denen die Schlacht als Revanche für die früheren Niederlagen dargestellt worden war, empfanden dies viele als Demütigung - umso mehr, als die Rivalität mit Indien das Leitmotiv des pakistanischen Nationalismus ist.

In der Folge des Krieges ging es mit der maroden Wirtschaft des hoch verschuldeten Landes weiter bergab. Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer - ein Wunsch des IWF - brachte auch jene gegen Sharif auf, die seinem Despotentum neutral gegenüber gestanden hatten. Sharif hatte nicht nur Journalisten und nichtstaatliche Organisationen verfolgen lassen und eine Islamisierungspolitik vorangetrieben, sondern auch die Macht von Justiz, Präsidialamt und Präsidenten beschnitten.

Seine derzeitige "Schutzhaft" ist unter anderem Folge dieses Machtausbaus, denn zuvor hatten die Militärs eine elegantere Methode vorgezogen: Sie pflegten dem Präsidenten die Entlassung des Premiers nahezulegen. Sharif ließ dieses Recht des Präsidenten aus der Verfassung streichen und zwang die Armee so zu einem direkteren Vorgehen - ironischerweise unter Führung eines Generals, den Sharif eingesetzt hatte, weil er sich von dessen Vorgänger bedroht fühlte.

Nicht nur die perfekte Choreografie deutet darauf hin, dass die Reaktion auf die Entlassung Musharrafs schon länger geplant war. Ein ehemaliger Spitzendiplomat hatte bereits Mitte September erklärt, der Militäreinsatz gegen Indien in der ersten Jahreshälfte sei ein Versuch gewesen, Sharifs Friedensbemühungen zu konterkarieren; der Premier selbst sei erst Wochen nach Beginn der Operation informiert worden.

Der Vertraute des Premiers provozierte damit einen Eklat zwischen Regierung und Streitkräften. Die Schuld für die Niederlage wurde öffentlich dem Generalstab zugewiesen, dessen Macht in der Feindschaft mit Indien liegt. Drei Tage nach den Enthüllungen des Ex-Diplomaten flog Sharifs Bruder nach Washington, gefolgt von Geheimdienstchef Ziauddin Khawaja, dessen Beförderung zum Armeechef in der letzten Woche verhindert wurde und der als Hauptlieferant der Taliban-Armee in Afghanistan gilt. Die Gespräche, die Khawaja mit CIA, Pentagon und Außenministerium führte, veranlassten die US-Regierung, die pakistanische Armee öffentlich vor einem Putsch zu warnen.

Schwerer als die militärische scheint den Offizieren die politische Gestaltung des Umsturzes zu fallen. Offenbar versuchte die Armee während der ersten Tage, dem Putsch einen verfassungsmäßigen Anstrich zu geben. Glaubt man den zahllosen "informierten Quellen", die sich derzeit in pakistanischen Zeitungen äußern, fanden Gespräche mit Staatsrechtlern und Präsident Rafiq Tarar statt, während gleichzeitig versucht wurde, Sharif entweder zum offiziellen Rücktritt zu zwingen und die Parlamentarier zu dessen Abwahl zu bewegen.

Erst am vergangenen Freitag rief Musharraf den Notstand aus, erklärte sich zum Staatschef und kündigte eine nicht weiter spezifizierte "Übergangsregierung" an. Dass dabei auf den Begriff "Kriegsrecht" verzichtet wurde, Gerichte und zivile Verwaltung intakt und Parteien - trotz Verhaftungen und Verhängung zahlreicher "Hausarreste" - legal blieben, deutet darauf hin, dass der Militärdiktator nach einer akzeptablen Lösung für Weltbank, IWF und die westlichen Staaten sucht.

Zunächst ließ Musharraf verkünden, die Wiederherstellung der Demokratie habe "oberste Priorität". Benazir Bhutto wird dabei aber kein Comeback feiern. Die Junta winkte dankend ab, als sich ihr die wegen Korruption angeklagte Ministerpräsidentin a.D. aus dem Londoner Exil anzudienen suchte.

Die "Wiederherstellung der Demokratie" aber hat ihre eigenen Gesetze. In seiner ersten Fernsehansprache - sie war von Samstag auf Sonntag verschoben worden - gab Musharraf die Bildung eines "Nationalen Sicherheitsrates" bekannt - bestehend aus sechs Offizieren und Juristen unter Vorsitz von Musharraf. Dem Sicherheitsrat soll ein beratendes "Expertengremium" angegliedert werden. Damit festigt das Militär seine Macht. Um seine Gegner auszuschalten und sich gleichzeitig der Zustimmung der Bevölkerung zu versichern, wurde eine Jagd auf korrupte Politiker eröffnet, an denen in Pakistan kein Mangel besteht.

Obwohl die US-Regierung nicht anders konnte, als die Vorgänge zu missbilligen, verzichtete sie in den ersten Tagen auf die Forderung, die ungeliebte Regierung Sharif wieder einzusetzen. Erst die Verhängung des Notstands zwang Washington, mittels Sanktionsdrohungen deutlich zu machen, dass schnauzbärtige Regierungschefs in Uniformen nicht telegen sind.

Aber Washington scheint sich mit dem Status quo arrangieren zu wollen. Das US-Außenministerium forderte Musharraf auf, möglichst bald einen "Zeitplan" für die angekündigte Rückkehr zur Demokratie vorzulegen. Ein medizinisches Hilfsprogramm im Umfang von 1,7 Millionen US-Dollar soll ausgesetzt werden - angesichts der Summe ein lediglich symbolischer Schritt. Und das US-Verteidigungsministerium erklärte, Musharraf werde als prowestlich bewertet. Die EU hat mittlerweile damit gedroht, Kredite internationaler Finanzinstitute zu blockieren, sollte "die Demokratie" nicht wiederhergestellt werden. Das Commonwealth drohte mit der Aussetzung von Pakistans Mitgliedschaft.

Den Wünschen von USA und EU - wie immer sie aussehen werden - wird sich die herrschende Klasse Pakistans kaum verschließen können: Bleiben die bislang noch nicht gestrichenen IWF-Kredite aus, hat das Land binnen der nächsten zwei Monate keine Devisen mehr; damit wäre der Import wichtiger Grundnahrungsmittel in Frage gestellt. Das würde die Verhältnisse wohl zum Tanzen bringen. Angesichts der Praxis, von innenpolitischen Problemen durch die Konfrontation mit Indien abzulenken, ist das eine unangenehme Aussicht für die ganze Region. Angesichts der Gefahr einer weiteren regionalen Destabilisierung wiegelte Musharraf zunächst einmal ab. Am Sonntag kündigte er einen einseitigen Truppenabzug aus dem Grenzgebiet zu Indien an.

Für die Bevölkerung wird es kaum einen Unterschied machen, ob eine parlamentarische Diktatur, ein Technokraten-Regime oder das Militär die Fassade abgibt. Die Allmacht der Armee kann nur eine militante Massenbewegung von unten brechen. Da es in dem Land, in dem jeder zweite unterernährt ist, gegenwärtig keine nennenswerte progressive Kraft gibt, sind es allerdings vor allem Islamisten, die mit sozialen Forderungen die Unzufriedenheit in Widerstand verwandeln.