Hegemonie des Bösen

Was tun, wenn linke Gegenkultur out ist und die Ästhetik der Auflehnung von Neonazis kopiert wurde? Ein Diskussionsbeitrag zum Leipziger »Verstärker-Kongress«.

Zehn Jahre nach der Vereinigung hat sich das Leipziger Bündnis gegen Rechts (BGR) daran gemacht, einer Tendenz des gesamtdeutschen Zeitalters auf den Grund zu gehen: der spürbaren Hegemonie rechter Alltagskultur und der allgegenwärtigen Bedrohung abweichender Lebensformen durch Nazi-Gruppen und marodierende Normalbürger. Neben Strukturdebatten um autonome Selbstverwaltung in den eigenen und gegnerischen Reihen wollen die Organisatoren des so genannten Verstärker-Kongresses in der Messestadt das Handeln staatlicher Organe und der Sozialarbeit thematisieren. Ein anderes Forum soll sich mit politischen Bedeutungen im Bereich der Subkultur und Symbolik befassen.

Wer sich mit Neonazis beschäftigt, muss sich immer auch mit subkulturellen Strukturen und ästhetisierten politischen Codes und der Vereinnahmung ehemals rebellisch durchgesetzter Codes konfrontieren lassen. Diese Erscheinungsformen des Neofaschismus können jedoch in die Irre führen, wenn die in ihnen enthaltenen kulturellen Elemente vom sozialpädagogisch oder kulturtheoretisch geschulten Blick nicht mehr wahrgenommen werden. Klammert man die Frage nach sozialer und kultureller Ordnung der Nazi-Szene dagegen aus, werden wichtige Strukturmerkmale übergangen und Analysen verzerrt. Natürlich lässt sich die Frage auf die eigene Praxis zurückführen: Wieviel Subkultur benötigt linksradikale Politik? Wieviel linksradikale Politik verträgt Subkultur? Dass sich das Leipziger BGR diesem Verhältnis sowohl in der eigenen Arbeit als auch im Kampf gegen Nazis kritisch stellen will, gehört mit zu den interessanten Fragen des Verstärker-Kongresses.

Die Zeiten haben sich geändert: Der Faschist, der seine Pistole entsichert, wenn er das Wort Kultur hört, ist längst von der entsicherten Kultur abgelöst worden. Damit ist der Linken das Feld genommen, auf dem sie sich viel zu lange unangefochten fühlte. Leider führt der an Antonio Gramsci angelehnte Teil des Untertitels - "kulturelle Hegemonie" - zunächst auf ein falsches Gleis. Nachdem spätestens seit Ende der achtziger Jahre die bisherigen Subversionsmodelle scheiterten, die an der fortschrittlichen Überwindung der bürgerlichen Wertvorstellung orientiert waren, geht es nicht mehr um eine Durchsetzung von Gegenkultur.

Vielmehr wird man sich mit einer neuen Form der Dominanzkultur befassen müssen: Beginnen Neonazis, eine führende Rolle im Bereich der Jugendkultur zu spielen, um so ihre Inhalte den Ressentiments der Normalbürger anzunähern, wirkt sich die entstandene repressive Kultur nicht nur in den Nischen der Jugendlichkeit aus. Ein so erreichter Wertekonsens antizipiert die versöhnte Volksgemeinschaft in den Familien. Ein bisschen rechts zu sein wird zum neuen Jugendtrend; sekundiert von gesellschaftlichen Institutionen wie Schule, Stadtrat, Disko und Jugendpflege - inszeniert mit der Schock-Ästhetik, die allen Protestkulturen eigen ist. Dem entspricht die durchschnittliche Berichterstattung der Medien. Der Schwerpunkt der Analyse in TV und Printmedien liegt in der Regel nicht bei den postulierten Überzeugungen der Jugendlichen, sondern bei der Struktur ihrer Gruppen und des sozialen Umfelds. Die Wahrnehmung des kulturellen Phänomens dominiert die des politischen.

Dabei müsste das Verhältnis eigentlich umgekehrt betrachtet werden. Ein kurzer Blick auf die Geschichte soll das verdeutlichen. Tom Segev stellte in "Die Soldaten des Bösen", seiner Studie über ehemalige Kommandanten verschiedener Konzentrationslager, fest, dass die Biografien der Kriegsverbrecher erstaunlich unterschiedlich sind. In Alter, Herkunft, Bildung und Laufbahn gibt es keine auffallenden Analogien, außer der Entscheidung, in die SS einzutreten. Egal, ob ihr konkretes Verhalten aus Hingabe oder Opportunismus resultierte, die politischen Ziele ihrer Organisation teilten sie. Die individuelle Geschichte charakterisierte die Art und Weise, wie sie sich ihrer Aufgabe annahmen, erfüllt wurde die Aufgabe jedoch immer. Das Milieu, das sie prägte, war die deutsche Gesellschaft, nicht eine bestimmte Nazi-Kultur. Die entscheidenden Schritte wie Bewerbungen und Führerschulungen vollzogen sie aus eigenem Antrieb, teilweise brachten sie ihnen sogar materielle Nachteile ein.

Befragt nach den Umständen und Motiven für seine Taten, fasste Heinz Hüttig, Ex-Kommandant der Lager Sachsenhausen und Flossenbürg, zusammen: "Ich war ein Nazi." Grundlage aller Handlungen war das Einverständnis mit dem Weltbild des NS, erst auf dieser Basis trat man der SS bei, wo dann die letzten Korrekturen am Subjekt Nazi vollzogen wurden. Natürlich lässt sich eine durchschnittliche Kameraden-Gang nicht mit der SS vergleichen, der Kern bleibt aber die Entscheidung für rechte Inhalte. Die Subkultur ist schließlich die Äußerungsform, mit der diese Inhalte vermittelt werden. Daraus lässt sich aber noch nicht erklären, warum die einen lieber Auspuffrohre schweißen oder Hegel lesen, während andere eben Ausländer jagen.

Von der Prioritätensetzung in der Analyse sind auch die Gegenstrategien abhängig. In dieser Misere befindet sich die Antifa-Arbeit. Wie hat politische Gegenkultur auszusehen, nachdem das Pop-Modell gescheitert ist und die Ästhetik von Verweigerung und Auflehnung mitunter von den anderen einfach kopiert wird?

Die Erkenntnis, dass die Linke das Copyright auf die schöne Geste des Rebellischen nicht besitzt, schmerzt ebenso wie der Abschied vom Glauben an die eigene Jugendlichkeit. Dass Jugendbewegung längst nicht mehr die Alternative zu etablierten Strukturen zu bieten hat, sondern diese noch affirmieren und oder gar in ihren faschistischen Potenzialen übertreffen kann, hat sich inzwischen auch jenseits der Kulturindustrie herumgesprochen. Ebenso, dass ihr traditionelles Kapital im Angebot der besseren Freizeitgestaltung längst durch die totale Integration in den Mainstream entwertet wurde.

Im Rahmen einer kritischen Reflexion des Mythos Jugendkultur werden auch linke Konzepte, die sich bisweilen auf diesen berufen haben, neu zu verhandeln sein. Einem simplen "Reclaim the Streets" unter dem Label der roten Fahne wird es genau so ergehen wie dem einst nur für Punks garantierten Image des Staatsfeindes. Wo sie sich nicht selbst angesichts mangelnder realer Macht lächerlich machen, werden diese Formen der Übernahme durch konkurrierende Strömungen anheimfallen. Bleibt zunächst nicht viel als Basis für antifaschistische Arbeit

Weder durch die Adaption der Formensprache des sozialistischen Lagers noch durch Politisierung devianter Lebenskonzepte war es bisher möglich, genügend Potenzial zu schaffen, um die Rechtsentwicklung der deutschen Gesellschaft zu stoppen. Dass sich von AA/BO bis hin zu den Wohlfahrtsausschüssen niemand durchgesetzt hat, macht eine Klausur der Antifa über Formen und Wege umso notwendiger. Der Versuch, im Konzept des Kongresses sowohl theoretisch-analytische als auch praxisorientierte Schwerpunkte zu setzen, birgt die Chance eines tatsächlich neuen Ergebnisses ebenso wie die Gefahr, keiner der beiden Seiten gerecht zu werden.

Der »Verstärker-Kongress. Die postbananischen Zustände« findet vom 22. Bis 24. Oktober in Leipzig statt. Infos gibt es unter www.nadir.org