Welcome to Hell

Ein Besuch bei dem zum Tode verurteilten Mumia Abu-Jamal.

Welcome to God's country - Willkommen im Land Gottes" begrüßt ein verrostetes Schild am Straßenrand die Besucher im südlichsten Zipfel des US-amerikanischen Bundesstaates Pennsylvania. Neben jeder Ansiedlung von mehr als zehn Häusern findet sich hier eine eigene Kirche. Die Bevölkerung ist mehrheitlich weiß, konservativ und tief religiös. Seitdem es mit dem heimischen Kohlebergbau rasant bergab ging, liegt die Arbeitslosigkeit in der Region weit über dem US-amerikanischen Durchschnitt von knapp fünf Prozent. Doch seit einigen Jahren verzeichnet zumindest die Kreisstadt Waynesburg einen bescheidenen wirtschaftlichen Aufschwung. Der neue Arbeitgeber: ein Hochsicherheitsgefängnis für rund 1 500 Gefangene, deren Bewachung, Versorgung und Besucher die lokale Wirtschaft ankurbeln.

Der weitläufige graue Gebäudekomplex versteckt sich in einer Talsenke hinter meterhoch zu Zäunen aufgetürmten glitzernden Stacheldrahtrollen, zwischen denen feingeharkte Sandstreifen jeden Fußabdruck zeigen. Mit Wachtürmen in allen vier Himmelsrichtungen, in denen sich schemenhaft die Wärter mit ihren Schusswaffen abzeichnen, erinnert die Anlage an den Todesstreifen entlang der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze. Besucher werden durch endlose Gänge eskortiert, vor ihnen öffnen sich ferngesteuert schwere Türen, die sich mit lautem Knall hinter ihnen wieder schließen, bis sie sich in einem fensterlosen und - von zwei Schließern abgesehen - menschenleeren Raum wiederfinden.

"Welcome to hell - Willkommen in der Hölle", sagt Mumia Abu-Jamal, als einer der beiden Schließer die Glastür zu der kleinen Besucherzelle öffnet. Der klassische amerikanische Hand-shake entfällt hier. Stattdessen klopft der fast zwei Meter große Mann im schwarz-weiß gestreiften Gefängnisoverall mit den Handschellen, die seine zur Begrüßung ausgestreckten Hände umklammern, gegen eine zerkratzte, mehrere Zentimeter dicke Sicherheitsglasscheibe. Sie trennt die Todeskandidaten von ihren Besuchern.

Die Hölle - der Todestrakt im Hochsicherheitsgefängnis von Waynesburg. Hier lebt die Mehrheit der insgesamt 226 Todeskandidaten des Bundesstaates Pennsylvania. Über die Hälfte von ihnen, um genau zu sein, 139 Männer sind Afroamerikaner aus Pennsylvanias Großstädten Philadelphia und Pittsburgh, obwohl der Anteil der Afroamerikaner an der Gesamtbevölkerung Pennsylvanias gerade einmal neun Prozent beträgt. Der heute 45jährige ehemalige Black-Panther-Aktivist und Radiojournalist Abu-Jamal ist einer von ihnen, er wurde 1982 wegen Mordes an dem weißen Polizeibeamten Daniel Faulkner zum Tode verurteilt.

Je nach Sichtweise der Kommentatoren gilt der Mann mit dem durchdringenden Radiobass als "Stimme der Unterdrückten", "kaltblütiger Mörder", "Hollywoods Lieblingskrimineller" oder "revolutionärer Schriftsteller". Kaum ein anderer der landesweit 3 500 Todeskandidaten hat in den letzten Jahren soviel internationale Aufmerksamkeit erhalten wie Abu-Jamal. Amnesty-international-Präsident Pierre Sane und Danielle Mitterand haben ihn besucht und ein neues Verfahren gefordert, DemonstrantInnen in aller Welt finden sich regelmäßig vor den US-amerikanischen Botschaften und Konsulaten ein, um für seine Freilassung zu demonstrieren.

"Doch die Einsamkeit bleibt", sagt Abu-Jamal, der seit der Veröffentlichung seines Buches "Live aus der Todeszelle" vor vier Jahren zur Symbolfigur für die Anti-Todesstrafen-Bewegung wurde. "Manchmal befürchte ich, dass es einigen Leuten schwerfällt zu sehen, dass ich kein Symbol, sondern ein Mensch bin - mit Hoffnungen, Träumen und Ängsten", sagt Abu-Jamal auf die Frage, wie er sich mit seiner Rolle in der Anti-Todesstrafen-Bewegung fühlt, und wirft dann mit einer energischen Geste die hüftlangen Dread-Locks über den Rücken. "Meine größte Angst ist momentan, dass viele meiner UnterstützerInnen denken, meine sogenannte Prominenz würde mich davor schützen, hingerichtet zu werden. Ich kann nur hoffen, dass jetzt alle verstehen, dass meine Zeit abläuft und es dem Staat todernst ist, mich umzubringen."

Abu-Jamal sagt diese Sätze ruhig, aber eindringlich. Am nächsten Tag erwartet er die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA über den Berufungsantrag, den er im vergangenen Herbst gegen die Ablehnung eines neuen Verfahrens durch den Obersten Gerichtshof von Pennsylvania gestellt hat.

Abu-Jamal geht davon aus, dass der Supreme Court in Washington seinen Fall nicht anhören werde: "Nur fünf Prozent aller Fälle, die vor den Supreme Court gebracht werden, kommen zur Anhörung. Außerdem sitzt in diesem Supreme Court kein einziger Richter mehr, der grundsätzlich gegen die Todesstrafe ist - eine einmalige Konstellation in der Geschichte des Supreme Court, in dem es immer mindestens einen erklärten Gegner der Todesstrafe gab." 24 Stunden später lehnt es der Supreme Court tatsächlich ab, sich mit den Verfahrensfehlern in Abu-Jamals Fall zu beschäftigen.

Nur eine Woche danach nutzt Pennsylvanias Gouverneur Thomas Ridge die Gelegenheit, um zusammen mit zwei weiteren Hinrichtungsbefehlen auch den für Abu-Jamal zu unterschreiben und das Hinrichtungsdatum auf den 2. Dezember festzulegen. Der 54jährige Republikaner Ridge hat seit Beginn seiner ersten Amtszeit 171 Hinrichtungsbefehle unterschrieben - "vor allem, um die Gefangenen dazu zu zwingen, ihre Berufungsschritte aufzubrauchen und die langen Wartezeiten bis zur Hinrichtung zu beschleunigen", wie Tom Childs, der Sprecher des Gouverneurs, stolz erklärt. Dies sei auch notwendig, da in Pennsylvania nach Kalifornien, Texas und Florida landesweit die meisten Todeskandidaten inhaftiert sind. Seit 1995 hat Ridge drei weiße Todeskandidaten mit einer tödlichen Giftspritze in den staatlich angeordneten Tod geschickt - die ersten Hinrichtungen in Pennsylvania seit 1962.

Auch im Fall von Abu-Jamal gehe es darum, ihn zu zwingen, seine Berufungsmöglichkeiten endgültig auszuschöpfen, erwidert Ridge seinen Kritikern mit Unschuldsmiene. Tatsächlich ist Abu-Jamal jetzt gezwungen, seine letzten juristischen Chancen auf der Ebene der Bundesgerichte wahrzunehmen. "Auf dieser Ebene gibt es zwei Instanzen", erklärt Leonard Weinglass, Abu-Jamals Rechtsanwalt. "Zwei Tage nach der Unterzeichnung des Hinrichtungsbefehls haben wir beim Federal District Court in Philadelphia zwei Anträge gestellt. Zum einen haben wir die Aussetzung des Hinrichtungsbefehls beantragt. Zum anderen haben wir einen sechshundertseitigen Antrag auf ein neues Verfahren gestellt."

Das Wichtigste sei zunächst einmal, sagt Weinglass, dass der zuständige Einzelrichter am Bundesgericht die Hinrichtung unter Verweis auf die verbleibenden Berufungsmöglichkeiten aussetzt. Über das Ergebnis des Berufungsverfahrens mag er nicht spekulieren. "Seit der Gesetzesänderung 1996, die den Bundesrichtern, die bis dahin immerhin in fast 35 Prozent aller Fälle die Todesurteile der unteren Instanzen aufgehoben haben, wesentlich weniger Entscheidungsfreiheit einräumt, bin ich immer davon ausgegangen, dass Mumia vor einem Bundesgericht auf jeden Fall ein neues Verfahren bekommt. Jetzt hängt es sehr vom Mut des einzelnen Richters ab."

Auch wenn der Oberste Gerichtshof in Washington gerade mit Anhörungen zu der Frage begonnen hat, welchen Spielraum Bundesrichter tatsächlich haben, sich von den Urteilen der Landesgerichte zu lösen: Mut braucht es allemal, um der Kampagne zu widerstehen, die die Polizeigewerkschaft Fraternal Order of Police, konservative Talkshow- und Nachrichtenmoderatoren und Politiker aus dem gesamten Parteien-Spektrum gegen Abu-Jamal und dessen Unterstützer entfacht haben.

"Niemand weiß, wie lange es dauert, bis die zwei Berufungsmöglichkeiten auf der Bundesebene ausgeschöpft sind", sagt Abu-Jamal. "Vielleicht sechs Monate, vielleicht anderthalb Jahre. Jetzt muss ich mich erst einmal wieder damit abfinden, in Phase Two zu kommen." Phase Zwei heißt das unmittelbare Warten auf die Hinrichtung - vierundzwanzigstündige Dauerüberwachung des Todeskandidaten, keine Post und keine Telefongespräche, Besuche nur von den engsten Angehörigen und dem Rechtsanwalt. Schon einmal hat Abu-Jamal fast sechs Wochen unter diesen Bedingungen verbracht. Im Juli 1995 hat Ridge das erste Mal einen Hinrichtungsbefehl unterschrieben, der dann nur fünf Tage vor dem Hinrichtungstermin ausgesetzt wurde.

Die Chancen, dass der neue Hinrichtungbefehl von dem Bundesgericht ebenfalls ausgesetzt wird, stehen zwar nicht schlecht. Auf der anderen Seite sind diese beiden Instanzen aber auch die letzte Möglichkeit, die Hinrichtung von Mumia Abu-Jamal auf juristischem Wege zu verhindern. Wird das Verfahren von einem der nicht besonders dünn gesäten konservativen Pro-Todesstrafen-Richter verhandelt oder fehlt dem betreffenden Richter der Mut, gegen alle Widerstände eine Anhörung anzuordnen und womöglich sogar für ein neues Verfahren zu entscheiden, wird es nicht lange dauern, bis ein neuer Hinrichtungsbefehl unterschrieben ist. Dieser kann dann von keinem Gericht mehr aufgehoben werden. "Die Auseinandersetzung mit dem Staat geht jetzt in die entscheidende Phase", sagt Abu-Jamal und appelliert an seine UnterstützerInnen, noch mehr Druck aufzubauen. "Ich habe gar keine andere Wahl, als diesen Kampf bis zum Ende zu führen."

Seit der Hinrichtungsbefehl unterschrieben ist, ist dieser Kampf zumindest an der Ostküste verstärkt zu spüren: Im Abstand von wenigen Tagen finden Demonstrationen statt, wie am vergangenen Samstag in Philadelphia. Abu-Jamals Fall wird von vielen Radiostationen aufgegriffen, und bei den UnterstützerInnen kommt mehr und mehr Bewegung auf. Sie erhoffen sich am meisten von möglichst breiten Protesten und setzen dabei insbesondere auf internationale Solidarität. "Es macht eben noch mal einen anderen Eindruck, wenn nicht nur die Menschen im eigenen Land, sondern auch in anderen Ländern überall auf der Welt für Mumia demonstrieren", erklärt eine Unterstützerin.

Aufgegeben hat hier noch niemand, am allerwenigsten Mumia Abu-Jamal selbst: "Ich kann immer noch nicht das Sprichwort vergessen, dass die Wahrheit dich frei machen soll. Ich glaube immer noch daran und ich wäre verrückt, wenn ich das nicht tun würde." Dann tönt aus dem Hintergrund die Stimme des Schließers: "Visiting time is over - Die Besuchszeit ist vorbei." Ein letzter Gruß, Handschellen und Fäuste schlagen gegen die Trennscheibe. "Bis zum nächsten Jahr. Stay on the move - Bleibt in Bewegung."