Der Börsen-Glotzer

Unternehmen Forschung: Der Rektor der Erfurter Universität will Hochschulen zu Aktiengesellschaften machen.

Das Herz werde nicht an der Börse gehandelt, hatte Oskar Lafontaine nach seinem Eintritt in den Vorruhestand im Frühjahr dieses Jahres prosaisch verkündet. Das Herz Lafontaines nicht, aber vielleicht bald bundesdeutsche Universitäten. Zumindest, wenn es nach den Vorstellungen von Lafontaines Talk-Partner bei der Fernsehshow "Christiansen", Peter Glotz, geht. Bisher war allgemein angenommen worden, Bildung koste Geld, nun jedoch hat der einstige SPD-Bundesgeschäftsführer und heutige Rektor der Universität Erfurt im Focus das Gegenteil erkannt: "Mit Bildung ist Geld zu verdienen."

Und so schlägt Glotz, der laut Spiegel "als Querdenker gilt, seit es ihm gelang, mit vorgeschobener Unterlippe beide Brillenränder gleichzeitig anzuheben", vor, zunächst als Pilotprojekt zwei, drei "leistungsstarke" Universitäten nach dem Vorbild der Telekom zu privatisieren und sie dann langfristig als Aktienunternehmen an die Börse zu führen. Befreit von staatlichen Reglementierungen könnten professionelle Management-Strukturen und betriebswirtschaftliches Know-how eingeführt werden. Zudem lasse sich durch Studiengebühren, Sponsoreneinnahmen und Auftragsforschungsarbeiten die eine oder andere gute Mark machen. So könnten bundesdeutsche Hochschulen perspektivisch wieder international konkurrenzfähig gemacht werden.

Die Unis als Unternehmen? Ein auf den ersten Blick nicht ganz unsympathischer Gedanke. Ein Kandidat könnte beispielsweise die Hochschule sein, als deren Gründungsrektor Glotz seit 1996 fungiert - selbst wenn mit dem staatlich verordneten Standort Erfurt einige Nachteile in Kauf genommen wurden, die für ein gewöhnliches international ausgerichtetes Unternehmen unakzeptabel gewesen wären. Denn Erfurt liegt in der Zone - der national befreiten Zone. Angestellte und Auszubildende, die nicht deutsch aussehen, sehen sich daher Attacken des örtlichen Pöbels ausgesetzt. So sei eine Japanerin von drei Skinheads auf der Straße angegriffen und verletzt worden, berichtete der Historiker Kenji Oda in der vergangenen Woche. Ihn selbst hätten Skinheads in der Straßenbahn angepöbelt.

Vom kommenden Jahr an hätten auch einige japanische Studierende einen längeren Aufenthalt in Erfurt geplant, so Oda. Wäre die Erfurter Uni bereits ein Betrieb, könnte sie schleunigst wieder dicht gemacht und in einer etwas freundlicheren Gegend wieder aufgebaut werden. Betriebsleiter Glotz hat sich ohnehin bereits einen neuen Job gesucht. Obwohl sein Vertrag bis zum Jahr 2001 datiert ist, wird er die Hochschule noch in diesem Jahr verlassen und in der Schweiz eine Gastprofessur annehmen.

Aber Glotz selbst hat nicht seine eigene Hochschule, sondern die Technische Universität München und die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule (RWTH) Aachen als mögliche Börsenobjekte im Blick. Dort hält sich die Begeisterung über die innovative Idee des früheren Berliner Wissenschaftssenators allerdings in Grenzen. Das sei ein "Rückschritt, der sich modern gibt", kritisierte der Aachener Wirtschaftswissenschaftler Karl Georg Zinn den Glotz-Vorschlag. Bildung sei ein öffentliches Gut, das man nicht kapitalisieren könne. "Wir haben hierzulande ein hohes Niveau erreicht, eben weil der Staat Bildung zur Verfügung stellte", konstatierte der RWTH-Professor.

Auch die rot-grünen Bildungsministerien in Hamburg und Niedersachsen halten nichts von der Glotz-Idee. Die Erfahrung zeige, so die Hamburger Hochschulsenatorin Krista Sager, dass viele Privathochschulen, die mit dem Anspruch angetreten seien, sich selbst zu finanzieren, inzwischen doch wieder am staatlichen Tropf hingen. "Es gibt keine Indizien dafür, dass sich das ändern wird", so die Grüne. Wichtiger als eine solche Privatisierungsdiskussion sei es, dass Hochschulen handlungsfähige innere Strukturen, mehr Eigenständigkeit und mehr finanzielle Planungssicherheit erhielten. Und für den niedersächsischen Wissenschaftsminister Thomas Oppermann steht fest: "Staatliche Hochschulen bleiben auch in Zukunft überwiegend öffentlich finanziert."

Die Ablehnung Oppermanns verwundert nicht. So denkt er zur Zeit über die Einführung von gestaffelten Studiengebühren nach: Kinder aus Elternhäusern mit einem Brutto-Einkommen von weniger als 83 000 Mark im Jahr könnten dann zwar weiterhin kostenlos studieren, Studierende mit Eltern, die über ein höheres Einkommen verfügten, müssten jedoch kräftig löhnen. Bundesweite Einnahmen von 1,7 Milliarden Mark verspricht sich der Sozialdemokrat davon. Warum auch sollte dieses Geld in die private Wirtschaft abfließen? Allerdings ist das Oppermannsche Studiengebühren-Modell ebenso umstritten wie der Glotzsche Börsengang. "Es gibt keine Denkverbote. Aber denken heißt ja nicht gleich quasseln", beschied Niedersachsens Ministerpräsident Gerhard Glogowski (SPD) seinen Wissenschaftsminister. Auf Glotz hätte der Spruch auch gepasst.

Trotzdem hat sein Vorschlag bedenkenswerte Komponenten. Würde eine Firma ernsthaft für ein Jahr die grüne Bundestags-Vizepräsidentin Antje Vollmer mit einer Vorlesungsreihe über Staat und Gesellschaft auf ihre Auszubildenden loslassen, wie das die Universität Düsseldorf ab dem Sommersemester 2000 tut - und noch dazu behaupten, damit solle an Heinrich Heine erinnert werden? Ist ein Betriebsrat bekannt, der weibliche Neuankömmlinge mit einer Rose und männliche mit einem Lolli im Betrieb begrüßt, wie dies der Asta der Uni Greifswald macht?

Aber es gäbe dann auch nicht Ausbildungsleiter wie den Heidelberger Professor Hajo Schmidt. Der 62jährige Meeresbiologe absolviert sein gesamtes Lehrpensum - Vorlesung, Seminar und Praktikum - als einmalige zweiwöchige Tauchexkursion ins Mittelmeer. Für den Leiter des Zoologischen Instituts der Uni Heidelberg, Prof. Volker Storch, ist Schmidt deswegen ein "Sozialparasit", den man "in Frührente schicken und nur noch wie einen Arbeitslosen honorieren" solle. Das geht jedoch nicht. Denn der Tauchprofessor ist eben kein Angestellter eines Betriebes, sondern Beamter. Also unkündbar. Glücklicherweise. Bei den Studierenden ist sein Lehrangebot äußerst beliebt.