Gian Trepp

»Die Schweiz war schon immer rechts«

Erst Österreich, nun die Schweiz. Bei den Wahlen zum Nationalrat am vergangenen Sonntag gab es nur einen großen Gewinner: Den Rechtspopulisten Christoph Blocher samt seiner nationalkonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP). Selbst ein jüngst veröffentlichter Brief Blochers, in dem er die Arbeit eines Holocaust-Leugners lobte (Jungle World, 43/99), konnte dem Milliardär nichts anhaben. Im Gegenteil: Die EU-feindliche SVP gewann mehr als sechs Prozent an Wählerstimmen hinzu und wird im neuen Parlament künftig 44 statt 29 Sitze einnehmen.

Die Schweizerische Volkspartei (SVP) ist im Schweizer Parlament zur zweitstärksten Kraft aufgestiegen. Andere Rechtsparteien wie die chauvinistische Freiheitspartei oder die offen rassistischen Schweizer Demokraten sind praktisch bedeutungslos geworden. Handelt es sich nur um eine Umgruppierung innerhalb der Schweizer Rechten? Oder gibt es einen deutlichen Rechtsruck?

Was am Sonntag geschehen ist, ist ein markanter Rechtsruck. Die SVP hat 15 Mandate gewonnen. Zudem gibt es auch innerhalb der SVP deutliche Verschiebungen. Der rechte Flügel der SVP, das heißt vor allem die Kantonalsektion in Zürich, der Christoph Blocher vorsitzt, ist gestärkt. Kandidaten, die eher zum so genannten liberalen Flügel der Partei gehören, wurden nicht mehr gewählt, in Bern beispielsweise gab es mehrere solcher Abwahlen. Dafür wurden die Exponenten des rechten Flügels innerhalb der SVP gewählt. Im Parlament wird sich dieser Rechtsruck bei Sachfragen sehr deutlich zeigen.

Wie erklären Sie sich, dass die Freiheitspartei alle Mandate verloren hat?

Die Wähler der Freiheitspartei haben sich wohl gesagt, wir sind besser aufgehoben in einer großen Rechtspartei. In der Schweiz gab es bisher eine gespaltene Rechte, hier die SVP, dort die Freiheitspartei und die Schweizer Demokraten, beides schöne Namen, aber die waren ganz rechtsaußen. Nun sind die Wähler der Rechtsaußen-Parteien in die SVP hineingekommen. Das bedeutet eine Stärkung durch Einheit. Auch sind in einigen Kantonen in der letzten Zeit Prominente der Freiheitspartei abgesprungen und haben dann bei der SVP angeheuert.

Wenn rechte Parteien stärker werden, übernehmen häufig die anderen Parteien Teile der rechten Forderungen und setzen sie um. Allen voran die Sozialdemokraten.

Die Schweizer Sozialdemokraten sind da wohl ein Sonderfall. Bisher haben sie so etwas nicht mitgemacht. Die SP ist nicht auf der Schröder-Blair-Linie, sie ist eher links und orientiert sich an Jospin. Nun haben sie eine böse Schlappe erlebt, es ist offen, wie sie sich nun positionieren werden. Das hängt eng mit der Regierungsbildung zusammen.

Insgesamt war die Schweiz politisch schon immer eher rechts. Das hat sich jetzt akzentuiert. Nun müssen sich die vier großen Parteien, die 80 Prozent aller Stimmen abdecken, entscheiden, ob die große Koalition, die es schon seit 40 Jahren gibt, weiter bestehen soll.

Welche neuen Regierungskoalitionen wären denn möglich?

Es gibt zwei Optionen: Entweder eine Mitte-Links-Regierung von Sozialdemokraten, der liberalen FDP und der Christlichen Volkspartei (CVP) ohne die SVP. Oder es gibt eine Mitte-Rechts-Regierung von FDP, CVP und SVP, dann wären die Sozialdemokraten draußen. Das wäre eine epochale Neuerung für die Schweiz, denn die SP regiert seit 1943 mit und ist tief in den staatlichen Institutionen verankert. Entscheiden wird sich das Anfang Dezember, wenn die Schweizer Regierung - der Bundesrat - vom Parlament gewählt wird.

Die SVP hat die üblichen Postulate europäischer Rechtsparteien: weniger Staat, weniger Steuern, eine restriktive Asyl- und Flüchtlingspolitik. Was ist das Besondere an ihr?

Die Partei ist strikt gegen die EU und einen Schweizer Beitritt zu dieser Institution. Ihr geht es um die Perspektive, dass im Herzen der EU die Schweiz als finanzieller Off-Shore-Platz bleibt, ein Luxemburg in größerem Maßstab, das sich nicht in die EU integrieren lässt. Alle Kräfte in der Schweiz, die für diese Option stehen, sind durch den Wahlausgang gestärkt worden. Daneben steht die SVP aber auch für ein Wirtschaftsprojekt: den voll globalisierten Kapitalismus. Blocher ist als Milliardär ja selbst ein Global Player. Das ist ein Widerspruch zu dem Bild von Trachten und Jodlern, das er seinen Wählern so gern vermittelt, und zu den konservativen und reaktionären Parolen, die das SVP-Wahlvolk so gerne hört.

Warum soll das ein Widerspruch sein? Es scheint, als könne sich der Kleinstaat Schweiz ganz gut bei der Globalisierung behaupten. Ob mit oder ohne EU, ist dabei doch zweitrangig.

Die Schweiz ist trotz einer jahrelangen Wirtschaftskrise immer noch ein reiches Land. Und innerhalb der EU wäre die Schweiz ein Nettozahler. Das ist ein Grund für die SVP, gegen die EU-Mitgliedschaft zu sein. Wichtiger aber ist, dass sich die Partei materielle Vorteile von einem Alleingang verspricht: Die Schweiz soll eine Steuer- und Steuerhinterziehungs-Oase bleiben, ein Piratenhafen für Finanz-Halunken. Eine Rolle, die die Schweiz bekanntlich seit über hundert Jahren hat. In dem neuen Weltsystem soll das nach den SVP-Vorstellungen einfach so weiter gehen. Das klappt aber nur, wenn die Schweiz eigene Gesetze und eine eigene Währung hat und von Brüssel unabhängig ist.

Können die anderen Schweizer Großparteien, die allesamt eine Schweizer EU-Mitgliedschaft befürworten, weiterhin mit Blochers Volkspartei politisch zusammenarbeiten?

Es hat lange bilaterale Verhandlungen zwischen der EU und der Schweiz gegeben, deren Resultate im Schweizer Parlament gebilligt wurden. Die SVP hat sogar auf ein Referendum gegen die bilateralen Verträge verzichtet. Nur die jetzt marginalisierten Schweizer Demokraten setzten sich für das Referendum gegen die bilateralen Verträge ein. Das heißt, die SVP ist nicht gegen die bilateralen Verträge, da ein Übermaß an Isolationismus dem Produktionsstandort Schweiz schaden würde. So argumentieren sie, das ist die eine Sache. Die andere ist die Ablehnung eines Vollbeitritts zur EU. Die möglichen Koalitionspartner in einer Mitte-Rechts-Koalition, die FDP und die CVP, sind aber - wenn auch lauwarm - für einen Beitritt zur EU. Hier würden sich Probleme ergeben, und das könnte auch ein Grund sein, woran eine Mitte-Rechts-Regierung eventuell scheitert.

Auch in den Französisch-sprachigen Gebieten der Schweiz war die SVP - entgegen allen Voaussagen - erstmals erfolgreich.

Von den anderen großen Parteien wurde der SVP vorgehalten, sie sei eine Deutsch-Schweizer Regionalpartei. Also hat sie sich daran gemacht, in den französischsprachigen Gebieten neue Strukturen aufzubauen. Mit erstaunlichen Erfolgen, da die Rechtsgruppen dieser Regionen sich der SVP angeschlossen haben. Für die Diskussion, ob die SVP in der Regierung nun zwei Ministerposten bekommen soll, ist das ein wichtiger Aspekt. Die SVP ist zu einer nationalen Partei geworden.

Als im vergangenen Jahr ein Entschädigungs-Kompromiss zwischen Schweizer Banken und jüdischen Klägern geschlossen wurde, hat Blocher den Vergleich öffentlich gegeißelt. Ist das ein Grund für seinen Wahlerfolg?

Die SVP ist, was ihre Wähler betrifft, eine überalterte Partei. Vor allem auf die älteren SVP-Wähler dürfte Blocher Eindruck gemacht haben, als er sagte, die Schweiz soll den Holocaust-Opfern nichts zahlen, da sie sich nichts vorzuwerfen habe. Nun ist es so, dass die Wahlbeteiligung bei knapp unter 40 Prozent lag, da sind viele Rentner dabei. Insofern macht sich das bemerkbar.

Ist Christoph Blocher der Jörg Haider der Schweiz?

Es gab hier in der vorletzten Woche eine Kontroverse darüber, dass Blocher einen bekannten Schweizer Holocaust-Leugner lobte. Typisch für Blocher ist, dass er einen Rückzieher gemacht und sich explizit von dem Holocaust-Leugner distanziert hat. Haider hat mehr von solchen verbalen Annäherungen an die extreme Rechte hinter sich, darunter eine Rede bei einem SS-Veteranentreffen. So etwas gibt es eigentlich bei Blocher nicht. Blocher ist kein Faschist, er ist ein rechter Konservativer und Nationalist. Aber der Rand seiner Partei ist nach rechts offen, da franst es aus. Die Nachbarn der Schweiz tun gut daran, Blocher ganz genau auf die Finger zu schauen.