Ein Meister für Österreich

Der Erfolg von Jörg Haider ist nicht auf Deutschland übertragbar. Denn hier bedienen schon die etablierten Parteien dessen Klientel.

Dass man vor ihm warnt, hat Jörg Haider immer gehofft. Und seine Gegner haben ihm den Gefallen getan. Schon 1986 drohte er: "Wenn jetzt die Haider-Nazi-Kampagne losgeht, dann krieg' ich zehn Prozent." Haider behielt Recht - er bekam damals bei den Nationalratswahlen in Kärnten nur einen Bruchteil weniger, als er prophezeit hatte. Mit Haider und verwandten Seelen ist es wie mit den Drogen: Wer den Zeigefinger aus pädagogischer und gut gemeinter Absicht hebt, vor dem Bösen abzuschrecken, kriegt nur Beifall von denen, die ohnehin zu den Guten gehören. Die anderen tun es trotzdem oder gerade deswegen - weil sie gewarnt wurden.

Doch wer Haider sagt, muss auch Le Pen in Frankreich sagen, Blocher in der Schweiz, Fini in Italien. Marschiert Europa nach Rechts? Nur in Deutschland bekommen die Neonazis organisatorisch nichts auf die Reihe. Franz Schönhuber, der Gründer der deutschen "Republikaner", beschwor deshalb schon flehentlich, aber erfolglos seine Gemeinsamkeit mit dem österreichischen Erfolgspolitiker: "Irgendwie sind wir Brüder."

Auf das "Irgendwie" kommt es an. Jörg Haider ist ein Geschenk für die Antifa. Man kann ihn nicht entlarven, weil er zugibt, was man ihm vorwirft. An Haider zerschellen aber auch die meisten der in Deutschland populären Erklärungsmuster: Den Alpenländlern geht es gut, die Arbeitslosigkeit ist ein geringeres Problem als in anderen Ländern. Die viel beschworenen Modernisierungsverlierer gibt es auch anderswo, das Proletariat wählt immer öfter rechte Populisten. Die Ultrarechte ist besonders bei Jungwählern aktiv. Gesichtslose Karrieristen und Technokraten können auch in einer Salonfaschisten-Partei wie der FPÖ ein Pöstchen ergattern. Was ist anders an Österreich? Oder droht uns Ähnliches?

Entscheidend für die Erklärung des Phänomens Haider sind die Juden. Die österreichische Gesellschaft war schon immer und bruchlos antisemitisch. Seit Kriegsende gab es - im Gegensatz zu Deutschland - keinen öffentlichen Disput über dieses Thema. Haider inszeniert sich als Vollstrecker des schweigenden Gesamtwillens. Er gibt denen eine Stimme, die jetzt sagen können, was sie sich vorher nur zu denken getrauten. Dem entspricht der Slogan der deutschen Ultra-Rechten, mit dem sie vor rund zehn Jahren zum ersten Mal wieder in die Parlamente einzogen: "Man kann wieder wählen." Die historischen Vorgänger der FPÖ nannten sich die Nationalfreiheitlichen. Die liefen schon vor dem Anschluss an Nazi-Deutschland mit fliegenden Fahnen zur NSDAP über.

Ein moderner Rechtsextremist formuliert die Tradition, auf die er sich bezieht, negativ und deshalb medienwirksam: Er habe, sagt Haider, "noch nie eine Schrift über das Dritte Reich gelesen". Das ist noch dreister als Le Pens "beiläufige" Bemerkung, Auschwitz sei nur eine "Fußnote" der Weltgeschichte. Doch die Frage ist nicht, was ein Politiker und Salonfaschist denkt, sondern warum ihn die Leute wählen, warum sie glauben, das, was er öffentlich von sich gibt, entspräche dem, was auch sie wollen.

Haider bestreitet, wie jeder moderne Nazi, nicht die historischen Tatsachen, sondern deren Bedeutung. Deshalb wird er sich kaum bei offen antisemitischer Polemik ertappen lassen. Seine Wähler wussten, was es bedeutete, wenn Haider eine Gedenktafel für den Massenmörder und Kriegsverbrecher Alexander Löhr forderte, den Oberbefehlshaber der Wehrmacht auf dem Balkan. Die Opfer werden verhöhnt, indem Haider die Täter bewundert oder bewundern lässt.

Eines hat Haider mit allen europäischen Führern ultrarechter Parteien gemeinsam, seien es Neofaschisten oder Populisten: Er rüttelt an der Legitimität der traditionellen - Haider würde sagen: etablierten - Parteien. Ihm kommt zugute, dass die Wählerinnen und Wähler ihre Stimmen mehr und mehr frei flottierend vergeben, mal hier, mal dort. Eine quasi-religiöse Konsistenz von festgefügten Ideologien und Programmen, in Parteiform gegossen, gibt es nicht mehr. Das war eine Fiktion, die aus der Klassengesellschaft des Frühkapitalismus rührt - hie die Herrschenden, dort die Unterdrückten. Heute jedoch hat jede europäische Partei, von Links bis Ultrarechts, ein Standardrepertoire: Ökologie, soziale Gerechtigkeit, usw. Nur die Grünen, auch in Österreich, sind konservativ und bedienen ausschließlich ein Milieu.

Deshalb muss man kein Nazi sein, um Haider zu wählen. Es ist ganz gleich, was man denkt. Haider macht in Österreich vor, was in Deutschland nur im Bonsai-Format und vorwiegend im Osten existiert: Die Ultrarechte als Milieu, das sich nicht im mediengerechten Nazi-Klischee artikuliert. Der moderne Volksgenosse bedient sich einer politischen Ikonografie, die die Milieugrenzen überspringt. Marschmusik-Liebhaber oder Glatzen können Teil der Klientel sein, müssen aber nicht. Die Frage ist nicht, warum die Wähler Haider wählen, sondern warum sie die anderen Parteien nicht wählen.

Haider ist weniger gefährlich, weil er den unverbesserlichen Rassisten und Antisemiten eine Stimme verleiht. Er ist gefährlich, weil er die Abwesenheit von Moral und Geschichtsbewusstsein als politisches Programm verkauft. Es ist uninteressant, ob Haider ein Zyniker ist, der selbst nicht an seine Ideen glaubt, sondern aus purer Lust an der Macht das predigt, weswegen er gewählt wird. Er lebt davon, dass er klassische repräsentative Politik verachtet - und mit ihr die Parteien, die sich auf die Demokratie berufen. Dazu der Opfermythos: Auf uns hacken alle herum, und das Ausland sowieso. Das kommt an in Kleinstaaten und vergleichbaren, zumeist östlichen Regionen.

Rechtspopulistische Parteien haben vor allem dort zeitweiligen Erfolg, weil sie das "klassische" Nazi-Programm mit regionalen Partikularinteressen verknüpfen. Sie können dann in mehreren Milieus rekrutieren. Bestes Beispiel: Der Vlaams Blok in Belgien - Rassisten, Separatisten und der Rabauken-Rest. Frankreich zeigt hingegen, dass eine offen rassistische und antisemitische Rechte in Mitteleuropa langfristig keine Zukunft hat. Die Schweiz wiederum ist ein Sonderfall, auch aus eigenem Willen, weil sie sich der europäischen Dynamik des Kapitals - noch - verschließt: aus historischer Tradition, und weil sie es finanziell - noch - nicht nötig hat. Die jeweiligen Führer der europäischen Ultrarechten verschwinden nach einiger Zeit regelmäßig in der Versenkung, weil das scheinbare Charisma des Tabubruchs, mit dem sie antraten, sich schnell abnutzt. Die Funktionäre der deutschen DVU sind da nur eine Karikatur der Karikatur.

Das ist die gute Nachricht. Die schlechte: Die traditionellen demokratischen Parteien stehen die Offensive von Rechtsaußen nicht durch, sie knicken vor den potenziellen Wählern ein und übernehmen Segmente des Neonazi-Programms, insbesondere zum Thema Einwanderung. Darin sind die Deutschen europäischer Meister. Deutschland hat keine erfolgreiche Nazi-Partei, weil die "etablierten" Parteien diese Klientel schon bedienen. Ob das gut oder schlecht ist, darüber kann man streiten. Vielleicht täte eine deutsche FPÖ hierzulande der Politik gut, weil damit deutlich wäre: Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.

Der Boden, auf dem ein Jörg Haider gedeihen kann, ist jedenfalls in Deutschland und Östereich der gleiche. Man darf heute in Österreich behaupten, weil Haider es auch behauptet: Wir, die Nation, definieren uns über die "soziale Volksgemeinschaft", die "organische Gebundenheit des Menschen" im Volk - Originalton FPÖ-Programm. Die Großdeutsche Volkspartei Österreichs, auch eine nationalliberale Vorläuferin Haiders, formulierte das Kleingedruckte und das wahre Anliegen schon 1920: "Der Gedanke der Volksgemeinschaft hat auch eine negative Seite. In ihm liegt das Gebot der Abwehr volksfremder schädlicher Einflüsse und das Bedürfnis nach Schutz gegen Fremdkörper, die dem Volksorganismus gefährlich sind. Ein solcher Fremdkörper ist das Judentum." Ist das ein Skandal? Nein - auch keine Überraschung. Haider beweist, was man schon wusste: Antisemitismus ist im christlichen Abendland immer und trotz der Vergangenheit eine politische Option, als Einstellung und zweistellige Prozentzahl in Form von Wählerstimmen abrufbar. Die Wähler riefen und Haider kam, nicht umgekehrt.

Haider schrieb 1966 als Jugendlicher aus dem FPÖ-Parteiprogramm ab: "Die vornehmste dieser Aufgaben ist die Abwehr aller Bestrebungen, die auf eine Loslösung Österreichs vom Deutschtum gerichtet sind." Damit gewann er einen Redewettbewerb des rechtsradikalen Österreichischen Turnerbundes. Der "Anschluss" hätte natürlich auch seine Vorteile. Dann wäre die FPÖ eine im Sinne des Wortes randständige Krakeeler-Partei mit Lokalkolorit, irgendwo hinter den sieben Bergen, in der Nähe von Slowenien, und müsste sich mit den Bayern um den Länderfinanzausgleich prügeln. Dann könnte auch Stoiber endlich mit Haider koalieren, wie er es schon der ÖVP vorgeschlagen hat. Aber das ist natürlich nur ein Gedankenspiel.

Burkhard Schröder ist Schriftsteller und freier Journalist, lebt in Berlin-Kreuzberg und schreibt seit 1988 über die rechte Szene in Europa.

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