Mauerfall und Computersex

Gefährliche Orte LXXVII: Mit dem Spiel "Berlin Connection" durchlebt man den gesamten Wende-Wahnsinn noch einmal: Kalter Krieg, Stasi und hysterische Ostler.

Die Ausrufe "Das ist Wahnsinn" oder "Das ist ja der helle Wahnsinn" gehören mit zu den widerlichsten Phrasen, die das zu Ende gehende Jahrhundert hervorgebracht hat. Geäußert wurden sie meist von DDR-Bürgern, die die Grenze nicht gerade erst überquert haben mussten, sondern sich noch Tage später verpflichtet fühlten, diese Sätze in jedes Mikrofon und in jede Kamera westlich des "Eisernen Vorhangs" zu brüllen.

Ungefähr eine Woche nach der Maueröffnung wurde der sprachliche Wahnsinn dann zwar durch das eilfertige "Wir gehen wieder zurück, woll'n bloß ma gucken" ersetzt, denn da hatte sich herumgesprochen, dass nur der drüben bleibende Ostler ein guter Ostler ist. Aber da war es schon zu spät. Die Bilder von überforderten Grepos und stinkenden Trabbis auf westdeutschen Straßen werden für immer mit diesem nervenden, stets in einem hysterischen, manchmal sogar zusätzlich sächselnden Tonfall vorgetragenen "Das ist ja Wahnsinn" verbunden bleiben. Oder mit "Das ist ja der helle Wahnsinn".

Schön ist das nicht. Zumal man in Berlin dieser Tage immer und überall daran erinnert wird, dass bald das zehnjährige Jubiläum des 9. "Das ist ja Wahnsinn"-Novembers bevorsteht und dann zu jeder Tageszeit Gefahr laufen wird, beim Einschalten irgendeines Radio- oder Fernsehsenders unversehens irgendeinen blonden Ost-Pudel ansehen zu müssen, der, besoffen von irgendeiner alkoholhaltigen DDR-Plörre, eine der beiden Wahnsinns-Varianten von sich gibt. Noch unschöner: Selbst zu Hause vor'm eigenen Rechner ist man derzeit nicht sicher.

Der Tagesspiegel hat nämlich ein Computer-Spiel herausgebracht: "Berlin Connection". Für alle Systeme kompatibel und mit ziemlich viel Wahnsinn versehen. Was sich zunächst so anhört wie eines jener x-beliebigen Adventures, in denen es darum geht, im Wettlauf gegen das Böse zu gewinnen, um a) die Welt, b) die schöne Alexandra und c) vor allem das eigene Leben zu retten, ist in Wirklichkeit ein einziges Mauerfall-Dokumente-Recycling-Unternehmen, gepaart mit Berlin-Werbung und einem Schuss Kalter Krieg.

Die erste Szene von "Berlin Connection" spielt im Atelier von Roger Premrose, einem preisgekrönten englischen Fotografen. Per Mausklick kann man sich dort umsehen, erfährt eine Menge über den Mann, als plötzlich das Telefon klingelt. Roger hat einen Auftrag. Er soll sofort nach Berlin kommen, dort ist Unglaubliches im Gange, das Flugticket treffe jeden Moment ein.

Premrose steigt in Kreuzberg ab, am Heinrichplatz, in einem kleinen abgeranzten Hotel mit verwinkelten Gängen. Das lässt den erfahrenen Player nichts Gutes ahnen, denn so sehen normalerweise die Locations aus, in denen es zum Show-down kommt. Diesmal geht alles gut, Premrose kann sich mit Hilfe des Stadtplans daran machen, Berlin zu erkunden.

Nicht nur er: Der Spieler muss mit dem Fotografen durch die Stadt reisen, mit der virtuellen Hand - zu der der Cursor wird, sobald irgendetwas Interessantes passieren könnte - auf die Fotos der Sehenswürdigkeiten klicken, sich den dazugehörigen Text (Dieses Gebäude wurde im Jahr x vom Architekten y errichtet, die Berliner prägten rasch den Spitznamen z dafür) anhören und dann mitsamt dem Fotografen ratlos herumstehen. Denn Fotografieren darf man nur, wenn die zum Inventar gehörende Kamera entfesselt zu blinken beginnt und obendrein noch lospiept, was meistens jedoch nicht der Fall ist. Was soll das?

Was in normalen Computerspielen einfach nur der Spielzeitverlängerung dient, nämlich entweder die User mit völlig nutzlosen Informationen zuzumüllen oder sie mit der Erkundung völlig irrelevanter Gegenden zu beschäftigen, hat bei "Berlin Connection" einen ernsthaften Hintergrund: Der Spieler darf sich nämlich auf keinen Fall bloß einen netten unterhaltenden Abend machen, sondern soll - das Game ist schließlich vom Tagesspiegel, einem Blatt, das Wert auf intelligente Leser legt - auch noch etwas lernen. Über Berlin, über die Nachkriegsgeschichte, über Architektur, über was-auch-immer.

Aber irgendwann muss doch mal was passieren! Sollte "Berlin Connection" nicht ein Thriller sein? So wird endlos durch die heutige Hauptstadt gerödelt, bis man schließlich am Potsdamer Platz, vor knapp zehn Jahren noch weitgehend unbebaut, landet. Dort steht eine Imbissbude ("Michalkes Bratwurst-Himmel") derart aufdringlich herum, dass auch derjenige, der noch nie in seinem Leben ein Computer-Adventure gelöst hat, sofort weiß: Hier passiert gleich was.

Zunächst kommt jedoch nur der aufdringlich berlinernde Wurst-Hotte, dem man eine Currywurst mit Pommes abkaufen muss, während der Fritten-Schmierlapp herumpalavert. Typisch Berliner Schnauze eben. Aber das ist kein besonders großes Problem, denn das tote Schwein im eigenen Darm ist virtuell, und nun kann es endlich, endlich losgehen. Denn angelockt durch eine Katze (der Fotograf ist Katzenfan) lässt sich der Engländer hinter den Stand locken und macht dort ein Foto. Von dem Kätzchen, aber unabsichtlich gerät ein großer schwarzer Koffer mit dem Radioaktivitätszeichen auf's Bild. Was jedoch nur der Spieler bemerkt, Premrose ist etwas dusslig. Klar, er kommt ja aus England und da gibt es keinen Tagesspiegel. Deshalb kann er jetzt nicht die Polizei rufen oder den Koffer öffnen, sondern muss weiter. Berliner Sehenswürdigkeiten betrachten.

Dann aber kommt es, wie es kommen muss: Roger landet auf dem Kurfürstendamm, hört viele Male "Das ist ja Wahnsinn" und "Das ist ja der helle Wahnsinn" und trifft schließlich auf sie. Eine junge gut aussehende Frau, die gerade aus dem "Prenzelberg" in den Westen gekommen ist, weil sie zufällig "beim Malern" ihrer Wohnung im Radio die Nachricht von der offenen Grenze gehört hat. Ein Bus mit der Werbung für Gorbatschow-Wodka fährt vorbei, hupende Trabbis bahnen sich ihren Weg durch die Menschenmenge, Leute lachen, sind fröhlich, prosten einander zu, und mittendrin stehen Roger und Katja.

Nicht lange, dann landen sie auch schon in Katjas Bett. Dort machen sie Sex, wie ihn sich der Tagesspiegel vorstellt: Der Bildschirm ist schwarz, die Cursorhand tappt irgendwie herum und Katja quietscht dazu.

Am nächsten Morgen wacht Roger allein auf. Katja sei von der Stasi entführt worden, wird ihm in einem Telefonat mitgeteilt, er könne sie aber retten, wenn er sofort auf den Fernsehturm komme. Dort wartet ein sonnenbebrillter Finsterling und droht: Film her oder Katja tot.

Anstatt Premrose einfach in die Eier zu treten und ihm den Film abzunehmen, gibt sich der Geheimdienst mit einer billigen Ausrede zufrieden. Roger muss nun den Film vollknipsen, bevor er ihn endlich zum Entwickeln geben darf (dann endlich wird ihm der Koffer auffallen), einen Stasi-Agenten vom Hoteldach schubsen, in Zeitreisen Gegenstände sammeln und schließlich den DDR-Geheimdienst besiegen. Und natürlich Katja befreien und heiraten.

Wahnsinn! Heller Wahnsinn!