Pässe und Schüsse

Schwedens militante Neonazi-Szene setzt ihren angekündigten "Krieg für eine weiße Nation" in die Tat um.

Drei Morde, ein Mord- und ein Bombenanschlag in einem halben Jahr: Als Hauptgegner haben Schwedens Neonazis Staatsbeamte, aktive AntifaschistInnen und JournalistInnen ausgemacht. Zuletzt wurde am vergangenen Freitag - dem Vortag von Schwedens größter Anti-Nazi-Demonstration - der Sitz der syndikalistischen Gewerkschaft SAC in Gävle, 200 Kilometer nördlich von Stockholm, durch eine Bombe verwüstet. Es entstand erheblicher Sachschaden, verletzt oder getötet wurde diesmal niemand. Zehn Tage zuvor war das noch anders: Das vorerst letzte Opfer der schwedischen Neonazis ist der 41jährige Björn Söderberg. Am 12. Oktober wurde der Gewerkschafter vor seiner Wohnung in Sätra bei Stockholm mit sechs Kopfschüssen ermordet. Der antifaschistischen Zeitung Expo gelang es - trotz einer Nachrichtensperre der schwedischen Reichspolizei Säpo - den politischen Kontext der Täter zu recherchieren.

Söderberg war in der SAC aktiv und schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch. Im Sommer dieses Jahres arbeitete er in einer Lagerhalle in Stockholm. Schnell stellte sich heraus, dass einer seiner Kollegen zu Schwedens bekanntesten Neonazis gehört: Robert Vesterlund ist Redakteur der Neonazi-Zeitung info-14 und Kader der schwedischen Anti-Antifa (Anti-AFA).

Vesterlund gilt als Mitorganisator eines 1993 gescheiterten Anschlags auf eine linke schwedische Politikerin. Zwischen dem Neonazi und dem Gewerkschafter kam es öfter zu Auseinandersetzungen. Söderberg beschwerte sich, weil Vesterlund während der Arbeit Nazi-Musik spielte und offen NS-Propaganda verbreitete. Nachdem Vesterlund zur Vertrauensperson für die Gewerkschaft Handels gewählt wurde, informierte Söderberg die Leitung von Handels und die Medien. Vesterlund musste von seinem Gewerkschaftsposten zurücktreten und erhielt wenig später die Kündigung.

Am selben Tag, als die syndikalistische Zeitung Arbetaren die Geschichte veröffentlichte und auch andere Zeitungen Vesterlunds Aktivitäten untersuchten, ging beim zuständigen Einwohnermeldeamt eine Anfrage ein, Söderbergs Pass-Antrag - inklusive Bild und Adresse - an ein Postfach der Anti-AFA zu schicken. Pass-Anträge sind in Schweden für die Öffentlichkeit zugänglich. Für Neonazis eine probate Informationsquelle, um ihre Anti-Antifa-Datenbanken zu füllen.

Zwei Tage nach den tödlichen Schüssen auf Söderberg verhaftete die Polizei drei bekannte schwedische Neonazis, darunter den 23jährigen Hampus Hellekant, Inhaber des Postfachs und Mitglied der Neonazi-Organisation Nationale Jugend/Schwedischer Widerstand (NU). Auch die beiden anderen Verdächtigen kommen aus dem Umfeld der NU: Der 21jährige Jimmy Niklasson fiel erstmals auf, als er vor knapp zwei Jahren bei einem Naziskin-Konzert der US-Band Max Resist in Schweden zusammen mit über 300 Neonazis festgenommen wurde. Der ebenfalls verhaftete 23jährige Björn Lindberg-Hernlund ist seit längerem in der militanten Neonaziszene aktiv. Sein Hobby ist das Sammeln von Daten über "Rassenfeinde". Er war Mitglied in der inzwischen aufgelösten Nationalen Allianz und schloss sich dann der NU an.

Gegründet wurde die NU 1997, um eine "breitere nationalistische Bewegung" ohne sichtbare Verbindung zur militanten Neonazi-Bewegung aufzubauen. Diese Verschleierungstaktik schlug fehl: Die NU wurde kurz nach ihrer Gründung als militante Neonazi-Gruppe geoutet. Ihr Propagandaorgan, die Volksstimme, wird von dem verurteilten Nazi-Terroristen Klas Lund herausgegeben. Die Organisation hat ihr Hauptquartier in Stockholm.

Gegner der NU leben gefährlich: Nachdem die beiden JournalistInnen Katarina Larsson und Peter Karlsson über Nazis in der schwedischen Armee berichtet hatten, wurden die beiden im Juni dieses Jahres Opfer eines Anschlags. Peter Karlsson wurde durch eine im Auto des Ehepaars platzierte Bombe schwer verletzt, Katarina Larsson und der achtjährige Sohn kamen mit einem Schock unverletzt davon.

Nur einen Monat zuvor wurden zwei Polizeibeamte bei einem Banküberfall, den Kader von Schwedens größter Neonazi-Organisation Nationalsozialistische Front (NSF) verübt hatten, erschossen. Bei den Ermittlungen kam heraus, dass der Banküberfall dazu diente, die Kriegskasse eines in kleinen Zellen organisierten Neonazi-Netzwerks zu füllen.

Der jüngste Mord hat das jahrelange Zögern der schwedischen Behörden beendet: Die schwedische Jusizministerin, die vor drei Jahren nur zufällig einem Briefbomben-Anschlag der Arischen Bruderschaft entging, kündigte härtere Strafen gegen rassistische und neonazistische Straftäter an. Folgenlos blieb der verharmlosende Umgang der schwedischen Reichspolizei Säpo mit Neonazi-Aktivisten. Die Säpo hatte nach dem Anschlag auf die Journalisten im Juni vor einem "Terror von Links" gewarnt.

Zwischen skandinavischen - insbesondere schwedischen und dänischen Neonazis - und ihren deutschen Kameraden gibt es schon länger enge Verbindungen. Jens Hessler aus Lingen, Torben Klebe aus Hamburg und Thorsten Heise aus Northeim - sie alle sind aktiv im Blood & Honour Netzwerk - das im letzten Februar ein Konzert mit der deutschen Neonazi-Gruppe Kraftschlag nahe der norwegischen Hauptstadt Oslo organisierte. Zusammengeführt wurden die Neonazis durch die Heß-Aufmärsche in Dänemark. Mit Hilfe des deutsch-dänischen Nazimusik-Produzenten Marcel Schilf und des in Schweden lebenden norwegischen Neonazis Erik Blücher entstanden neue Kontakte.

Auch wenn deutsche Neonazis in erster Linie auf die "politische Karte" setzen, ist in jüngster Zeit die Fraktion innerhalb der deutschen Szene gewachsen, die den "schwedischen Rassenkriegsphantasien" anhängt und Strukturen schafft, um sie in die Tat umzusetzen. Dabei ist das Hamburger Nazi-Duo Christian Worch und Thomas Wulff sowie ihr Umfeld aus dem Norddeutschen Aktionsbündnis.

Nachdem vor wenigen Monaten die Propagandapostille des Bündnisses, Hamburger Sturm, ein Interview mit einer so genannten "Braunen Zelle" veröffentlichte, in dem offen zum Untergrundkampf aufgerufen wurde (Jungle World, 34/99), folgten gezielte Angriffe auf Linke. Am 2. Oktober wurde ein Brandsatz auf ein Wohnhaus, in dem sich der Infoladen Schwarzmarkt befindet, geworfen. Im Briefkasten fand sich ein u.a. vom Hamburger Sturm 18, Lohbrügger Sturm 15 und "vielen Freien Nationalisten" unterzeichneter "Aktionsaufruf gegen die geplante Bauwagensiedlung der Chaoten in Hamburg-Nord".