Wir sind nicht am Ende

Knarf Rellöm Ism will das politische Songwriting neu erfinden: Als Verzweiflung ohne Larmoyanz, als Rock'n'Roll plus Sozialismus.

Man kennt ihn noch gut, den Typus Männlicher-Songwriter-um-die-Zwanzig. Eigentlich ist er eine etwas überlebte Figur aus der ferneren Vergangenheit, die sich bis in die Achtziger hinein eine Existenzberechtigung erhalten konnte, da die Protestbewegungen seiner Songs bedurften. Deren Zeit ist aber vorbei, somit auch die des Protestsängers - und der andere Standort der Singersongwriters, der Bereich des Gefühls, ist komplett im Pop aufgegangen. Kein Platz mehr also für den Mann oder die Frau mit Gitarre.

Es gibt ihn aber noch. Er tritt in einigen Sparten-Fenstern des Musikfernsehens auf und lässt dort die Welt um sich drehen. Er beherrscht die Seiten vieler Fanzines und verkündet dort die Lehre von der postpubertären Bitterkeit. Er verfügt zwar nur über eine kleine Fangemeinde, doch diese ist ihm treu ergeben, und in ihr geht er auf. Seine Songs handeln davon, dass er gern viel Geld hätte, aber dass er doch bitte keins verdienen mag. Davon, dass er gern eine feine Liebe hätte, nur klopft leider gerade keine an seine Tür. Davon, dass er gerne House-Tunes produzieren würde, dass das aber mit einer Gitarre nicht geht. Und davon, dass ihm nach Kurt Cobains Tod die Schokolade nicht mehr schmeckt. "Er steht vor dem Fenster und singt seine Songs, die davon handeln, nicht in diese Wohnung reinzukommen."

This kind of Selbstmitleid ist schwer zu ertragen. Das sagt Knarf Rellöm, und er weiß, wovon er spricht, denn er teilt mit den Vorm-Fenster-Stehern Sozialisation und Vorbilder. Er ist genau wie sie mit Bob Dylan und Hank Williams großgeworden, aber auch mit Mark E. Smith und New Wave. Aber er mag sich deshalb noch lange nicht mit denen gemein machen, die jetzt aus dem Technohubschrauber herausschauen und weise auf den Songwriter herablächeln: "Die anderen, die jetzt applaudieren: Einige von Euch sind doch nur zufällig auf dieser Seite, Ihr habt dafür nichts getan! Ihr Schmerzleugner, was wisst Ihr schon? Stinkende Jasager, die sich hinter Modernität verstecken."

Der Song, aus dem diese Zitate stammen, hieß noch vor einem Jahr "Warum der Titel 'Paradies der Ungeliebten' ein Scheißtitel ist" und fand sich auf der Compilation "Paradies der Ungeliebten", auf der Deutschlands Vorzeigeleider Tom Liwa eine Auswahl prominenter deutscher Singer-SongerwriterInnen versammelt hatte. Zu diesen selbstmitleidig Ungeliebten mag sich Rellöm nicht zählen, er kann sich aber - seiner Herkunft wegen - nicht einfach aus dem Lager der Songwriter herausbewegen.

Auf seinem neuen Album "Fehler Is King" findet man das gleiche Stück unter dem Titel "N.M.V." (Nicht mein Verein). Das Stück ist hier extrem verzerrt, die Stimme ist mickymousehaft ins Kreischige gepitcht, und es ist kein klassischer Song mehr. Es ist kaum mehr als ein Sprechgesang über einem Soundteppich. Denn für diesen Sänger gibt es keine Vereinsbildung. Mit "Fehler Is King" ist er zu einer singulären Stimme geworden und ist unter Sammelbegriffe wie "Hamburger Schule" oder "Neue Deutsche Einsamkeit" nicht mehr zu subsumieren. Jeder Song springt durch die Genres, von Country über Punk bis hin zu New Wave. Und aus diesem Stil-Brei heraus entwickelt er seine Einmaligkeit, es entsteht eine Art Post-Songwriting.

Hinter dem Namen Knarf Rellöm Ism steckt - im Unterschied zu Rellöms vorhergehenden Projekten Esperato Knarf Rellöm, Athletico Knarf Rellöm oder Ladies Love Knarf Rellöm - eine Band mit drei Mitgliedern und der Produzent Tobias Levin, der der Platte - trotz aller Vielschichtigkeit - einen einheitlichen Sound verliehen hat. Dabei ist sie, anders als alle Alben von Rellöms ehemaliger Band Huah! und anders als seine bisherigen Solo-Produktionen, frei von Albernheiten und quasi-authentischen Anreden an das Publikum. Rellöm muss sich nicht länger als Bühnenkasper aufführen und sich zum Weirdo machen, um das Gefühl zu bekommen, wohlgelitten zu sein. Rellöms Arbeitsweise, einen Song erst auf der Bühne zu testen und dann noch ein paar Wochen ruhen zu lassen, arbeitet auf "Fehler Is King" nicht gegen die Platte, im Gegenteil, dank Band und Produktion hat man nun mehr als nur eine Ansammlung verschiedener mehr oder minder fertiger Demoversionen.

Der Titel des Albums ist trotzdem Programm: Auf "Fehler Is King" geht es Rellöm weniger um Vierspur-Aufnahmen und andere Lo-Fi-Soundverliebtheiten, als darum, den Zweifel an seiner Arbeit, den Zweifel an seiner eigenen Authentizität und den Zweifel am politischen System, wieder im Songwriting zu reinstallieren. Gerade weil Songwriting ein Genre ist, das eine hohe Verbindlichkeit hat. Und Rellöm weiß, dass er nicht weiß, wie es richtig geht. Daher lässt er Verzweiflung in seinen Songs sehr wohl zu; mindestens die Hälfte seiner Lieder handeln von der Unmöglichkeit, das Richtige zu tun. Jedoch verweigert sich Rellöm gleichzeitig jeglichem Selbstmitleid, eben um sich nicht in einer großen Antwortlosigkeit einzurichten.

Die gesamte Platte handelt davon, dass sehnsüchtig auf eine Antwort, wenn nicht gar auf eine Parole gewartet wird. "Das war kein Sozialismus/ Das war Spießerkram/ Wir sind nicht am Ende/ Wir fangen an" heißt es programmatisch, während im Hindergrund der Chor auffordert: "Hey everybody, come on!" Es klingt, als versuche er, sozialistischen Sprechgesang mit Rock'n'Roll zu verbinden. Die Platte ist im besseren Sinne retro, indem sie sich - nicht nur im Musikalischen - auf die Sprache der Siebziger und frühen Achtziger zurückbesinnt und von da aus einen neuen Weg sucht, das Songwriting ins nächste Jahrtausend zu retten. Das Bewahren bzw. die Aufforderung zur Neukonstruktion einer sozialen Utopie. Davon und von nicht mehr singt Knarf Rellöm. Nach dem Post-Rock ist das ein Anfang.

Knarf Rellöm Ism: "Fehler Is King". What's So Funny About/Indigo
Knarf Rellöm Ism: "Soulpunk Remixe". 7'' auf Kaleido, Tel. 030 - 28 38 80 06