Armseliger Gewinner

Argentiniens neuer Präsident de la Rœa muß mit einer peronistischen Zwei-Drittel-Mehrheit in den Provinzen regieren.

Schon nach dem ersten Wahlgang stand er als Sieger fest. Bei der vierten Präsidentenwahl in Argentinien nach dem Ende der Militärdiktatur erhielt Fernando de la Rœa mehr als 48 Prozent der Stimmen. Die regierenden Peronisten kamen mit ihrem Kandidaten Eduardo Duhalde auf gerade mal 38 Prozent, der ehemalige Wirtschaftsapostel von Präsident Carlos Menem, Domingo Cavallo, sammelte zehn Prozent der Stimmen ein.

Schon seit Monaten hatten die Umfragen de la Rœa zum Wahlsieger erklärt. Obwohl alle drei Kandidaten erklärten, den gegenwärtigen Wirtschaftsplan fortführen zu wollen, trauten die Wähler dem Kandidaten des Oppositionsbündnisses Alianza am ehesten zu, diesen Kurs mit der von ihm angekündigten "Transparenz und Glaubwürdigkeit" auszustatten. Dies schlug sich auch in großzügigen Beiträgen einiger Unternehmen zu seiner Wahlkampagne nieder, der aufwendigsten aller drei Kandidaten. Dabei wurde eh nicht geknausert: Allein in den letzten zwei Monaten wurden im Wahlkampf nach Schätzungen etwa 150 Millionen Dollar ausgegeben. Hatte de la Rœas Radikale Bürgerunion (UCR) bei den letzten Präsidentschaftswahlen noch das schlechteste Ergebnis in ihrer siebzigjährigen Geschichte eingefahren und sich mit dem dritten Platz begnügen müssen, wird sie nun vermutlich die Regierung dominieren.

Entscheidend für diesen Stimmungsumschwung waren die Konflikte auf Regierungsseite: Cavallo zog einen Teil des Wählerpotenzials ab, das eigentlich Duhalde für sich einkalkuliert hatte. Vor allem aber hatte die peronistische Partei bis zuletzt ein heftiger Machtkampf zwischen Präsident Menem und Duhalde zerrissen, der sich schließlich als Kandidat durchsetzte.

So versuchte Menem, dem die 1994 um eine präsidiale Wiederwahl erweiterte Verfassung ein drittes Mandat untersagte, die Sache mit verschiedenen Mitteln doch noch umzubiegen: Anfangs sondierte er die Möglichkeit eines neuen Abkommens mit der Opposition für eine weitere Verfassungsreform - was von dieser jedoch fast panisch zurückgewiesen wurde.

Darauf versuchte er es auf juristischem Wege. Obgleich der Obersten Gerichtshof mit einer sicheren Mehrheit von Menem-Gefolgsleuten besetzt ist, sorgten seine Gegner und auch einige seiner Freunde dieses eine Mal für ein ungünstiges Urteil. Bis endgültig klar war, dass eine weitere Kandidatur Menems nicht in Frage kam, war es schon Februar geworden. Duhalde hatte nur noch wenig Zeit, um die zahlreichen peronistischen Strömungen und Seilschaften auf seine Linie zu bringen.

Hinzu kam, dass die meisten Gouverneurswahlen in den Provinzen vor den nationalen Präsidentschaftswahlen stattfanden. Wahltermine sind in Argentinien das Ergebnis einmaliger Übereinkünfte, ihr genauer Abstand ist vom Gesetz nicht festgelegt. Üblich ist allerdings, dass regionale und nationale Urnengänge zusammen abgehalten werden. Ein Präsidentschaftskandidat kann somit wegen des gemeinsamen Wahlzettels von den Stimmen für seine Partei auf Provinzebene auch bei der nationalen Entscheidung profitieren.

Diesmal indes hatten Umfragen beider Seiten festgestellt, dass de la Rœa zwar auf mehr Zustimmung stieß als Duhalde, die Peronisten bei den Gouverneurswahlen aber dennoch vorn lagen.

Daher zogen es die meisten peronistischen Kandidaten für die Provinzwahlen vor, getrennte Wahlen abzuhalten. Bei den Gouverneurswahlen in Duhaldes Herkunftsprovinz Buenos Aires - einer der wenigen, die zeitgleich mit der Präsidentschaftswahl ausgetragen wurden - forderte der peronistische Kandidat, Vizepräsident Carlos Ruckauf, die Wähler de la Rœas sogar offen zum Stimmensplitting auf: Er gewann in der Provinz, ohne dass Duhalde auf nationaler Ebene von diesen Stimmen profitieren konnte.

Wichtiger aber war, dass de la Rœa als Kandidat der Alianza ins Rennen gegangen war, eines 1997 durch ein Abkommen zwischen UCR und Frepaso ("Front für ein solidarisches Land") entstandenen Wahlbündnisses. Frepaso hatte sich 1994 als Sammelbecken verschiedener Strömungen konstituiert - Ex-Peronisten, Unabhängige, Sozialisten und Christdemokraten. Die kritisierten übereinstimmend die Korruption auf Regierungsebene, die hohen Ausgaben des Präsidenten und die Begünstigungen großer Unternehmen.

Noch 1995, als die Radikalen Menems Währungspolitik und den Ausverkauf der Staatsbetriebe aktiv unterstützten, während die Folgen - steigende Arbeitslosigkeit und Lohnverfall - bereits deutlich spürbar waren, hatte die Anti-Korruptionskampagne Wirkung gezeigt und den Frepaso bei den Präsidentschaftswahlen überraschend auf den zweiten Platz gebracht. Duhalde war seinerzeit bei den Peronisten noch unumstritten, wenn auch niemand weitere Ambitionen Menems ganz ausschließen mochte.

Das Wahlbündnis Alianza wurde gegründet, um die Peronisten bei den Parlaments-Nachwahlen 1997 zu besiegen. Was tatsächlich gelang: Mit der Frepaso-Politikerin Graciela Fern‡ndez Mejide an der Spitze triumphierte man im meistumkämpften Wahldistrikt, der von Duhalde regierten Provinz Buenos Aires.

Seither ließ der Frepaso nichts unversucht, das Vertrauen des Establishments zu gewinnen und demonstrierte Kontinuität zum herrschenden Wirtschafts- und Politikmodell. Den Höhepunkt bildete die ablehnende Haltung Mejides - die Mutter eines von den Militärs ermordeten Sohnes ist - gegenüber dem Versuch einiger Frepaso-Gruppierungen, über die Rücknahme der Amnestie-Gesetze im Kongress abzustimmen. Das wäre lediglich ein symbolischer Schritt gewesen: Auf legalem Weg ist eine einmal gewährte Amnestie nicht mehr rückgängig zu machen.

Gemeinsam mit ihren UCR-Bündnispartnern kritisierte Mejide öffentlich diese Versuche: An eine Vergangenheit zu rühren, die man besser ruhen lassen solle, sei "infantil". Nachdem die Wähler dem Rechtskurs nach und nach ihre Zustimmung verweigerten und auch partei-intern Kritik laut wurde, erklärte Carlos "Chacho" Alvarez, der starke Mann des Frepaso, man sei schließlich Machtpartei und nicht mehr die Vertretung linker Minderheiten und ihrer Forderungen.

Doch trotz dieser Werbung um die Gunst der Wirtschaftsbosse blieben diese bei ihrer Präferenz für de la Rœa, der beim Establishment besser ankommt als die Ex-Linken vom Frepaso oder auch Gouverneur Duhalde. Schließlich war der verantwortlich für die gefährlichste Polizeibehörde der Republik, die in die Ermordung des Journalisten José Luis Cabezas ebenso verwickelt ist wie in andere Mord- und Korruptionsfälle sowie in die Bombenanschläge auf jüdische Einrichtungen. Duhaldes Unfähigkeit oder Unwille, die Polizeibehörde unter Kontrolle zu bringen, trug nicht dazu bei, ihn bei den großen Unternehmen beliebter zu machen.

Die Wirtschaftselite hatte es denn auch sehr eilig, dem neuen Präsidenten ihre Wünsche mitzuteilen. Bereits einen Tag nach der Wahl baten die Wirtschaftsberater des Finanz-Establishments Fernando de la Rœa darum, die von Menem hinterlassenen "Hausaufgaben" nicht zu vergessen. Damit meinten sie vor allem eine harte Haushaltssanierung, mit der allein die Zweifel der Investoren an der Zahlungsfähigkeit des argentinischen Staates auszuräumen sei. Auch wurde der neue Präsident an die goldene Regel erinnert - ein Peso gleich ein Dollar -, auf die er bereits im Wahlkampf zahllose Gelöbnisse abgelegt hatte.

So erklärte auch Roberto Alemann, Ex-Wirtschaftsminister der Militärdiktatur, dass der Triumph de la Rœas "den Märkten zugute kommt", und nannte als wichtigstes Ziel nach dessen Amtsantritt am 10. Dezember "den Ausgleich des Haushalts, um den internationalen Investoren ein deutliches Zeichen zu geben". Sollten sich diese Wünsche erfüllen, würde das einen weiteren Lohnverfall sowie im günstigsten Fall das Stagnieren der Arbeitslosigkeit auf dem höchsten Niveau der Geschichte Argentiniens bedeuten - bei 30 Prozent.

In diesem Jahr lag das Wachstum unter und die Staatsverschuldung über dem prognostizierten Wert - ein Ergebnis sinkender Steuereinnahmen und wachsender Zinsraten auf die Auslandsschulden. Zweifel sind daher angebracht, ob die Alianza ihren Wahlversprechen folgen und die Löhne der seit mehr als zwei Jahren streikenden Lehrer erhöhen, Arbeitsplätze schaffen und die Korruption bekämpfen wird. Oder ob sie nicht doch - wie zuvor Menem - den Leitlinien von IWF und Weltbank folgt.