Heiße Luft in Bonn

Nationale Kontingente statt Pro-Kopf-Berechnung der Emission: Auf dem Klimagipfel haben die Forderungen der NGOs aus dem Süden schlechte Karten.

Cop5 hält nicht, was es verspricht. Nein, Cop5 ist kein neuer Vorabend-Krimi, mit dem die ARD den Privatsendern den Rang ablaufen will. Cop5 läuft zur Zeit in Bonn und ist eine eher trockene, technische Angelegenheit. Die "Conference of the Parties", Vertragsstaaten-Konferenz oder schlicht Klimakonferenz genannte Versammlung ist die fünfte ihrer Art. Delegierte aus 150 Ländern verhandeln zwei Wochen lang darüber, wie es gehen kann, "die Treibhausgas-Konzentrationen in der Atmosphäre auf einer Höhe zu stabilisieren, die gefährliche Einwirkungen des Menschen auf das Klimasystem verhindert".

Dieses Ziel einer völkerrechtlichen Vertragsgrundlage für den internationalen Klimaschutz war 1992 auf der legendären Rio-Konferenz, dem ersten Weltgipfel über "Umwelt und Entwicklung", festgehalten worden. In Bonn wird jetzt vor allem an der Ausformulierung der Texte gefeilt - eine Woche lang informell unter Experten und Expertinnen, bevor dann in der zweiten Woche, im "hochrangigen Teil" 80 Minister und Ministerinnen anreisen, um die Vorschläge auseinanderzunehmen.

Was aber seit Jahren auf solchen Gipfeln ausgehandelt wird, ist längst überholt. Darüber sind sich die Umweltschutz-Verbände einig. So schreibt etwa Greenpeace in einer Stellungnahme zu dem Kongress, "die geplante Reduktion der Emissionen" sei "viel zu gering und greift viel zu spät". Mit konkreten Reduktionszielen konnte erstmals Cop3 vor zwei Jahren in Kyoto dienen: Die Industrieländer müssten demnach ihre Emissionen von sechs Treibhausgasen zwischen 2008 und 2012 um rund fünf Prozent gegenüber dem Stand von 1990 reduzieren. "Mindestens 20 Prozent bis zum Jahre 2005 sind nötig, um die Auswirkungen der Klimaveränderung langfristig in einem erträglichen Rahmen zu halten", kommentiert Greenpeace diese Verpflichtung.

Doch nicht nur die zu niedrig gesteckten Ziele sind schuld daran, dass das Kyoto-Protokoll, noch bevor es in Kraft treten wird, eigentlich Makulatur ist. Vor allem die Kapitel, die die USA in den letzten Runden in Kyoto ins Vertragswerk einfügen ließen, haben es in sich. Die so genannten "flexiblen Mechanismen" machen aus Klimaschutz in erster Linie eine komplizierte Rechenaufgabe. Artikel 17 des Vertrags erlaubt den Handel mit Emissionen unter Industrieländern, andere Schlupflöcher heißen: "Joint Implementation" oder "Clean Development Mechanism". Gemeint sind damit gemeinsame Klimaschutz-Projekte der Industrienationen untereinander und ein Freikauf von Emissionseinsparungen durch entsprechende Projekte in Entwicklungsländern.

Unterm Strich könnte das internationale Klimaschutz-Abkommen dank internationalem freiem Handel mit "heißer Luft" dazu führen, dass künftig noch mehr Dreck in den Welthimmel gepustet wird. Etwa so: In Russland, wo die Industrie in den letzten Jahren weniger aktiv ist, sind die CO2-Emissionen bereits um mehr als 30 Prozent gesunken. Im Kyoto-Protokoll wurde dem Land für die Zeit zwischen 2008 und 2012 jedoch die gleiche Menge Emissionen wie 1990 zugestanden. Russland hat also "heiße Luft" im Überschuss und kann diese fehlenden Emissionen verkaufen. An die USA zum Beispiel, die nach demselben Klimavertrag ihre Emissionen zwar um sieben Prozent reduzieren müssen, sich so jedoch von Einsparmaßnahmen freikaufen könnten.

"Der Handel mit Emissionszertifikaten ist ein Schlupfloch, durch das die Emissionen von Treibhausgasen noch weiter ansteigen werden", meint Greenpeace, die aber trotzdem wie die meisten der weit über 100 nach Bonn gereisten Nichtregierungsorganisationen (NGOs) an das "Gute" in solchen Klimaverträgen glaubt. Auf einen Gegengipfel wurde diesmal ebenso verzichtet wie bei den drei letzten Cops. Wahrscheinlich würden sich die meisten der Organisationen dort schwer tun, weiterhin glaubwürdig zu wirken. Denn inzwischen sitzen NGO-VertreterInnen als Beobachter mit am offiziellen Verhandlungstisch.

Fundamentale Kritik am Gefeilsche um Reduktionsprozente äußern vor allem NGOs aus dem Süden. Statt nationaler Kontingente fordern sie eine Pro-Kopf-Berechnung der Emissionsmengen. In diesem Fall würden die Industrienationen schlecht aussehen: Obwohl sie nur ein Fünftel der Weltbevölkerung ausmachen, produzieren sie ein Drittel der klimaschädlichen Gase. "Diese Forderung ist zwar langfristig richtig", sagt Gerald Knauf vom Forum Umwelt und Entwicklung, zu dem sich 35 deutsche NGOs nach der Rio-Konferenz zusammengeschlossen haben. Allerdings, so Knauf, "gibt es im real ablaufenden Prozess keinen großen Anknüpfungspunkt für solche Vorstellungen".

"Wieso sollte ein Amerikaner das Recht haben, drei Mal so viel Kohlendioxid auszustoßen als ein Japaner?" kritisiert Jürgen Meier, ebenfalls vom Forum Entwicklung und Umwelt, die prinzipielle Grundlage der Klima-Rechnungen. "Sie werden für ihre verschwenderischen Emissionen der Vergangenheit belohnt." Dennoch plädiert auch er zunächst für nationale Budgets. Denn: "In einer Welt der Realpolitik müssen wir mit kleinen Schritten vorangehen."

Bislang besteht keine große Gefahr, dass es mit der Umsetzung der ohnehin schon überholten Maßnahmen schnell gehen wird. In Kraft treten wird das Kyoto-Protokoll mit all seinen Verpflichtungen und rechnerischen Ausgleichsmöglichkeiten erst 90 Tage, nachdem mindestens 55 Vertragsparteien das Übereinkommen nicht nur unterschrieben, sondern auch ratifiziert haben. Bis jetzt haben das erst 16 Staaten getan, darunter keine einzige Industrienation.

In Bonn vergeben unterdessen realpolitisch inspirierte Umweltschutz-Verbände bis zum Abschluss des Klimagipfels täglich die Auszeichnung "Fossil des Tages". Zu dieser Ehre kommen jene Teilnehmerstaaten, die an dem betreffenden Verhandlungstag als größte "Bremser" galten oder aber "die übelsten Vorschläge zur Sabotage eines wirksamen Klimaschutzes" machten. Am Mittwoch vergangener Woche waren beispielsweise die USA dran. Ihnen geht der Klimaschutz offensichtlich immer noch zu schnell voran. In den Gesprächsrunden hatten sie versucht, Cop6 vom Jahr 2000 auf 2001 zu verschieben.

Im Gespräch für den Titel ist auch Kanada, das eine besonders originelle Idee in die Diskussionen um die "Clean Development Mechanism" einbrachte: Das Land will "saubere" und klimaunschädliche Atomreaktor-Technologien in Entwicklungsländer exportieren und dafür CO2-Kredite bekommen. Unterstützt wird diese Forderung nach Angaben gut informierter Kreise der Umweltschutz-Verbände von der Internationalen Agentur für Atomenergie, aber auch von Ländern wie Belgien, Finnland, der Schweiz, den Niederlanden und Deutschland. Immerhin könnte ein solcher Transfer von Nukleartechnik nicht nur ein paar Prozente Kohlendioxid einbringen. Die Perspektive staatlich geförderter Reaktorexporte dürfte den Umweltministern als wertvolles Argument dienen, wenn sie zu Hause mit der Industrie über den Atomausstieg verhandeln.