Kleiner, aber nicht feiner

Der türkisch-griechisch-deutsche Frauen-Fußball-Club Agrispor leidet nicht nur unter dem mangelnden Interesse von Sponsoren.

So begrüßt man jemanden, der gerade etwas Schlimmes erlebt hat: Man schaut ihn halb mitleidig, halb abwartend an, drückt dann seine Hand ganz fest und fragt mit unsicherer Stimme: "Na, wie geht's?", während man gleichzeitig darauf achtet, ob der Begrüßte vielleicht gleich in Tränen ausbricht und man ihn dann tröstend in den Arm nehmen muss. Auch frisch gefeuerten Fußballtrainern, die bei ihrem ehemaligen Club auf der Tribüne erscheinen, sagt man so Guten Tag.

Uwe Heilmann, seit Samstag vor zwei Wochen nicht mehr Coach von Agrispor, des Tabellen-Letzten der Berliner Frauen-Regionalliga, wird auch so begrüßt, von den meisten Spielerinnen ebenso wie von den Offiziellen des Kreuzberger Vereins, bricht jedoch nicht in Tränen aus, obwohl er, wie er zugibt, sehr traurig ist. "Ein bisschen verstehe ich die Entscheidung des Vorstands natürlich", sagt er und erzählt von den Schwierigkeiten, die man als Trainer mit einem Kader von zwölf Spielerinnen hat.

Seit dem letzten Spieltag liegt Agrispor am Tabellen-Ende, dabei, da ist sich Heilmann sicher, "sind wir gar nicht so schlecht". Er sagt immer noch "wir", wenn er von seinem Ex-Team spricht, das er seit Juli trainierte. "Ich wünsche es mir wirklich sehr, dass wir heute drei Punkte machen", beteuert er, er sei ja schließlich nicht im Bösen mit dem Verein auseinandergegangen. Auch Ismail Dogan, Geschäftsführer von Agrispor, ist nicht glücklich über Heilmanns Entlassung: "So etwas tun zu müssen ist ein Scheißgefühl."

Aber Verein wie Trainer, erklären Dogan und Heilmann übereinstimmend, sei nichts anderes übrig geblieben: "Die Alternativen lauteten, entweder den Coach zu entlassen oder die Mannschaft vom Spielbetrieb abzumelden." Denn es gab nach der Suspendierung einer Spielerin durch Lindemann Unruhe im sowieso schon zu kleinen Team, eine weitere Reduzierung der Mannschaft sei faktisch unmöglich gewesen. Und darum musste der Trainer weg, "obwohl ihm fachlich wirklich nichts vorzuwerfen war, denn er musste hier unter sehr schwierigen Bedingungen starten", wie Dogan bedauert.

Dabei hatte alles für das Team einst so gut begonnen. 1991 gründete Agrispor eine Mädchenmannschaft, die, trainiert von Aram Somciyan, sportlich gut startete. Und deswegen auch rasch von den überregionalen Medien entdeckt wurde: Dass auch Türkinnen Fußball spielen können, war für manche eine Sensation. Wer jedoch bei Agrispor eine Kombination aus Schleier und Fußballkluft erwartete, wurde enttäuscht. Nein, ihre Eltern fänden es fast alle gut, dass sie kickten, gaben die Spielerinnen regelmäßig zu Protokoll, ihre Mütter seien beinahe noch begeisterter als ihre Väter, und Schwierigkeiten gebe es nur, wenn die Schulnoten nicht stimmten.

Auch untereinander gab es keinen Ärger, im Team von Agrispor kickten Griechinnen, Türkinnen und Deutsche gleichberechtigt zusammen. "Eigentlich sind wir alle miteinander befreundet", sagten die jungen Frauen, und gemeinsam wollten sie in die erste Bundesliga aufsteigen. Dort würde man sicher für die DFB-Damen-Nationalmannschaft entdeckt werden, was kein Problem sei, denn die meisten hätten schon deutsche Pässe oder würden sich halt welche besorgen.

Trainer Somciyan, der von der Mannschaft stets sagte: "Dies sind alles meine Kinder", bestätigte die Kickerinnen in ihrem Ehrgeiz, und vordergründig gab es von den Agrispor-Damen nur noch zu berichten, dass sie am Ende jeder Saison wieder eine Klasse aufgestiegen waren.

Sportlich sah alles gut aus für das Team, aber Spaß machte das Kicken in der ostdeutschen Provinz nur bedingt. Manchmal blieb es nicht bei blöden Sprüchen, und so kam es, dass schließlich eine Spielerin für fast zwei Jahre gesperrt wurde. Sie hatte sich gegen rassistische Sprüche gewehrt, ein Umstand, der im Regelwerk des Berliner Fußballverbandes nicht vorkommt. Süfiye Cock erhielt mit der Suspendierung vom Spielbetrieb die härteste Strafe, die je gegen eine Spielerin in Deutschland ausgesprochen wurde.

Mittlerweile ist sie wieder dabei, und bis Juli dieses Jahres hatte alles auch noch sehr gut für ihre Mannschaft ausgesehen. Als Nachrücker für die Damen des FC Lübars, die nicht aufsteigen wollten, war man in die Regionalliga gewechselt und hatte mit Uwe Heilmann, der sechs Jahre lang erfolgreich das Frauenteam von BSC 92 trainiert hatte, einen erfahrenen Coach verpflichtet. Mit dem alten Trainer der Agrispor-Frauen, Aram Somciyan, wurde eine Aufgabenteilung vereinbart, Somciyan sollte die Damen organisatorisch betreuen, Heilmann sie trainieren.

Somciyan, der das Team vor acht Jahren aufgebaut hatte, stellte nach einigem Hin und Her jedoch seine Mitarbeit ein, sieben Spielerinnen verließen mit ihm den Verein. So musste Heilmann mit einem Mini-Kader auskommen, einem, der außerdem bisher ausschließlich auf Kunstrasen gespielt hatte und mit dem größeren Rasenplatz im Kreuzberger Katzbachstadion zunächst ziemliche Probleme hatte. Hinzu kommen finanzielle Schwierigkeiten, Agrispor hat immer noch keinen Sponsor für die Damen gefunden, dabei hatte man fest mit dem deutschen oder türkischen Mittelstand gerechnet.

Ismail Capkin, Trainer der männlichen A-Jugend, kann das Desinteresse der Wirtschaft ebenfalls nicht verstehen: "Ganz Berlin hat sich doch mittlerweile an Fußball spielende Frauen gewöhnt, und das hier, das ist doch etwas ganz Besonderes. Eine richtige Mischmasch-Mannschaft, hier spielen Türkinnen, Deutsche, Griechinnen, Deutsch-Türkinnen - und die haben das geschafft, was einem Berliner Männerteam schon länger nicht mehr gelungen ist, sie sind in die Regionalliga aufgestiegen."

Plötzlich stöhnen die Zuschauer auf. Hertha Zehlendorf hat das 1:0 geschossen. Ob der Gegentreffer auch Aram Somciyan traurig gemacht hat, ist nicht bekannt, aber klar ist, dass seine Anwesenheit auf der Tribüne nicht nur Dogan befremdet. "Muss man sich mal vorstellen: Er hat den Verein im Stich gelassen, Spielerinnen mitgenommen und sitzt dann hier und schaut zu, wie wir verlieren. Man muss die eigene Person doch auch mal zurücknehmen können", sagt er, "es geht doch um die Mannschaft."

Deswegen sei man über sein Verhalten sehr befremdet gewesen, "alle wussten doch, wie wichtig dieses erste Jahr in der Regionalliga ist, man muss sich erst eingewöhnen. Wenn man unbedingt einen Machtkampf starten will, dann ist dazu später immer noch Zeit, wenn man sich etabliert hat." Dass Somciyan das von ihm damals aufgebaute Team noch heute als sein Eigentum begreifen mag, findet Dogan unmöglich: "Alle arbeiten hier ehrenamtlich, nur der Trainer wurde vom Verein bezahlt. Und ausgerechnet der will Ansprüche stellen?"

Auch die Spielerinnen sind sauer auf den Ex-Coach, den sie so lange als Vaterersatz gesehen haben: "Mich motiviert, dass er da ist", sagt Cock, mittlerweile 21 Jahre alt, "dann will ich zeigen, dass es auch ohne ihn geht." Aber noch einmal von ihm trainiert zu werden, kann sie sich ebenso wenig vorstellen wie ihre Mannschaftskameradinnen: "Er hat uns im Stich gelassen. Er wusste bestimmt, was er da tat - alle haben verloren. Wir, er, der Verein, die anderen Mädchen, die nun nicht mehr Fußball spielen können. Und daran ist nicht nur die Mannschaft kaputtgegangen, sondern auch

viele Freundschaften sind zerstört worden."