Revisionsverfahren gegen Egon Krenz

Last Man Standing

Der heute 62jährige Egon Krenz erinnert nicht unbedingt an Bruce Willis, doch wie sich der Ende der achtziger Jahre nach Erich Honecker und Erich Mielke vielleicht mächtigste Mann der DDR seit Jahren mit bundesdeutschen Gerichten und Staatsanwälten herumschlägt, das hat schon was von "Last Man Standing". Bei diesem Neo-Western trickst Schlitzohr und Pistolenvirtuose Willis gleich zwei Gangsterbanden aus - meist beidhändig feuernd. Nur einer bleibt übrig.

Nun, die Zeiten, da auch Egon Krenz als Mitglied des Politbüros und der für Sicherheitsfragen verantwortliche Sekretär des SED-Zentralkomitees an der Grenze feuern ließ, die liegen lange zurück. Seine Mitangeklagten in den Mauer-Prozessen sind, wie Honecker, Harry Tisch, Kurt Hager, Erich Mückenberger, längst tot, Staub der Geschichte. Stasi-Chef Mielke verabschiedete sich in geistige Umnachtung. Berlins SED-Chef, der langjährige Chefredakteur des Neuen Deutschland, Günter Schabowski, gefällt sich in der Rolle des reumütigen Büßers. Seine Anwälte verkaufen ihn jetzt gar als einen "Mitläufer im Politbüro", dem damals jede Detailkenntnis vom DDR-Grenzregime gefehlt habe. Kurz, die DDR-Führungsspitze ist tot, demoralisiert, zerschlagen. Lediglich der gelernte Dorfschullehrer Egon Krenz kämpft scheinbar ungebrochen weiter um seinen Kopf und den guten Ruf der DDR.

Als der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes letzte Woche in Leipzig die Revision der im August 1997 vom Berliner Landgericht verhängten Haftstrafen gegen Krenz, Schabowski und Kleiber verhandelte, reiste nur Krenz an. Seine Mitangeklagten ließen sich durch ihre Anwälte vertreten. Für den einst als Honecker-Kronprinzen gehandelten Mann wohl undenkbar. Er kann nicht einfach zuschauen, er kann sich nicht ergeben. Zumal das für den 8. November angekündigte Urteil ihn ausgerechnet am 10. Jahrestag des Mauerfalls für die bereits vor zwei Jahren verhängten sechseinhalb Jahre hinter Gitter bringen könnte. Für Krenz ist dieser Termin kein Zufall: "Es wäre Geschichtsklitterung, wenn man entscheiden würde, dass ich am 9. November im Gefängnis sitze." Vielleicht ist es nur eine Art von Juristenhumor.

Denn wen interessiert dieser Prozess eigentlich noch? Die aufgelöste Bürgerrechtsbewegung vielleicht? Oder etwa die Arbeitslosen und Aufsteiger im Osten? Selbst die haben heute andere Probleme. Trotzdem schmetterte Krenz sein letztes Wort vor Gericht als nicht nur für die Richter gedachte politische Erklärung ins Land. Er bekennt darin, kein Mitläufer im Politbüro gewesen zu sein und über den Grenzdienst Bescheid gewusst zu haben. Doch wenn es um die Erschossenen Horst-Michael Schmidt, Michael Bittner, Lutz Schmidt und Chris Gueffroy geht, dann besteht er darauf, dass nicht bewiesen werden könne, dass er Mitschuld am Tod der Männer trägt.

Stattdessen versteckt er sich hinter Gesetzen, Sachzwängen und den letzten 50 Jahren Geschichte. Er besteht auf dem Rückwirkungsverbot des Grundgesetzes, sprich, einer Beurteilung seiner Handlungen nach DDR-Gesetzen. Er pocht auf die Dominanz und Verantwortung Moskaus. Seine Logik heißt: "Ohne kalten Krieg kein Eiserner Vorhang, ohne Systemauseinandersetzung keine deutsche Spaltung, ohne Beitritt der Bundesrepublik zur Nato kein Warschauer Vertrag, ohne deutsche Spaltung keine ausgebaute Grenze und keine Mauer, ohne Grenze keine Grenzopfer." So einfach ist das. Wenn Krenz darauf beharrt, dass er das Grenzregime allein nicht ändern konnte, dann stimmt das wohl. Doch andererseits hätte dieser Mann vor 1989 mit Sicherheit auch jeden derartigen Vorstoß derb als staats- und sozialismusfeindlich pariert.

Egon Krenz sagte in Leipzig, es sei eine der bittersten Niederlagen seines politischen Lebens, dass er die Opfer an der Außengrenze des Warschauer Vertrages nicht verhindern konnte. Gleichzeitig fühlt er sich "nicht schuldig". Schizophren. Und ein Stück Überlebensstrategie eines geschichtlichen Verlierers.