Rote Bänder für Ben Ali

Tunesiens neuer Präsident ist der alte: Zine El Abidine Ben Ali, der sich sogar um die Opposition sorgt.

Wie riesige Geschenkpakete sehen sie aus, die weißen Bürogebäude, über die rote Bänder mit der Fahne Tunesiens gespannt sind. Schon Wochen vor der Präsidentschafts- und Parlamentswahl erinnerten die Straßen von Tunis mit den roten Wimpelchen an eine Kirmes. Der Schmuck ist Zeichen des nationalen Stolzes über das Wahlereignis. Rot ist die Landesfahne, Rot ist aber auch die Farbe des Rassemblement Constitutionnel Démocratique (RCD), der Partei des nun wiedergewählten Präsidenten Zine El Abidine Ben Ali.

Mit 99,42 Prozent wurde der seit 1987 amtierende Ex-General vergangene Woche im Amt bestätigt - nun feiert er sich als erster Gewinner pluralistischer Wahlen in der Geschichte Tunesiens. Die über fünf Millionen Stimmberechtigten hatten zwei weitere Kandidaten zur Auswahl. Die aber erklärten schon vor dem Votum, dass ihre Kandidatur vor allem einen pädagogischen Sinn habe und die tunesische Bevölkerung an den Pluralismus gewöhnen solle.

Auch ihre Programme waren der Bevölkerung kaum bekannt. Somit ist an dieser Wahl nicht erstaunlich, dass Ben Ali wiedergewählt wurde, sondern nur, dass das Ergebnis wieder so gut ausgefallen ist. Schließlich munkelte man vor den Wahlen von Mahnungen ausländischer Regierungen an Ben Ali, den begonnenen Pluralismus nicht durch ein unglaubwürdiges Wahlergebnis zu zerstören.

Ob nun Wahlfälschung hinter der Zustimmung steckt oder nicht - die Ursache für das Ergebnis ist vor dem Geschehen am Wahltag zu suchen: Staatliche Einrichtungen und der Parteiapparat des RCD sind häufig verwoben, besonders in den ländlichen Gebieten. Im Wählerverzeichnis taucht nur auf, wer einen Antrag gestellt und eine Wählerkarte erhalten hat. Häufig wird auch der Erhalt staatlicher Leistungen vom Vorzeigen der Wählerkarte oder gar der Parteimitgliedschaft abhängig gemacht. Angst vor der Polizei und vor Spitzeln hält viele Menschen beim RCD.

Wo der soziale Druck kein Grund für die Zustimmung zu Ben Ali ist, sind es die sozialen Maßnahmen, die er als sein persönliches Geschenk vor allem an die Bevölkerung der "zones d'ombre", der "Schattengebiete" in den ländlichen Regionen, zu verkaufen weiß. Finanziert wird der Bau von Wasserleitungen oder die Einrichtung von Krankenstationen durch Gelder aus dem Solidaritätsfonds 26-26.

Aus Pflichtabgaben von Unternehmen, Angestellten, Spenden und Staatsgeldern kommt hier jährlich eine Summe von rund 60 Millionen Mark zusammen, die ohne parlamentarische Kontrolle ausgegeben werden kann. Ein Erfolgsrezept, das Ben Ali bei der Arbeitslosigkeit ausweiten will: Offiziell mit 15 Prozent beziffert, nach inoffiziellen Schätzungen weit höher, soll sie durch einen neuen Fonds (21-21) bekämpft werden, der vor allem Ausbildungsmaßnahmen und Unternehmensgründungen finanzieren soll.

Die tunesische Wirtschaft weist zur Zeit Rekordzahlen auf. Mit einem Wirtschaftswachstum von über fünf Prozent des Bruttoinlandprodukts und einem jährlichen Durchschnittseinkommen von 3 800 Mark liegt das Land an der Spitze des afrikanischen Kontinents, nur übertroffen von Südafrika. Der Internationale Währungsfonds lobt die fortschreitende Liberalisierung und bemängelt nur die staatlichen Interventionen und das auf kurzfristigen Konsum ausgerichtete Kreditsystem.

Haupthandelspartner ist die Europäische Union, die 1995 mit Tunesien als erstem nordafrikanischem Mittelmeerland ein Handelsabkommen abschloss. Nächstes Ziel ist eine Freihandelszone, die bis 2010 rund ums Mittelmeer entstehen soll. Für Handel und Tourismus ist das Image wichtig, das Ben Ali mit allen Mitteln aufrecht erhalten will: Tunesien als Insel der Demokratie und der Ruhe in einem stürmischen Maghreb.

Menschen- und besonders Frauenrechte sind wiederkehrende Themen seiner Ansprachen. Glaubt man der tunesischen Gesetzgebung und den Ratifizierungen internationaler Konventionen, sind in Tunesien alle bürgerlichen Freiheiten gewährleistet. Doch da sind auch noch die Berichte internationaler Menschenrechtsorganisationen über Willkürjustiz, systematische Folterungen und ungeklärte Todesfälle von Inhaftierten.

Die tunesische Sektion von amnesty international, die tunesische Menschenrechtsliga oder die Vereinigung Demokratischer Frauen dürfen weder veröffentlichen noch Konferenz- und Büroräume anmieten, Telefone und Vorträge werden abgehört. Hinzu kommen Pass-Entzüge, Festnahmen und Verhöre, Gerichtsverfahren und lange Haftstrafen für aktive Mitglieder. Andere Organisationen werden offiziell gar nicht erst anerkannt: Im Dezember 1998 bildeten Oppositionelle einen Nationalrat für die Freiheiten in Tunesien, dem bis heute die Zulassung und damit jede öffentliche Stellungnahme verweigert wurde.

Die parlamentarische Opposition hat die gleiche Alibifunktion wie Ben Alis Gegenkandidaten. Bereits im April hatte der Präsident per Dekret und im Namen des Pluralismus die neue Zusammensetzung des Parlaments verkündet: Die Opposition sollte 20 Prozent der Mandate erhalten. Da 142 Sitze über die Direktstimmen in den Wahlbezirken vergeben werden, war vor den Wahlen klar, dass der RCD diese 142, die Opposition 34 zusätzliche Sitze erhalten würde.

Damit aber traten die Oppositionsparteien nicht gegen die Regierungspartei, sondern gegeneinander an und versuchten gleichzeitig, ihre Übereinstimmung mit der Regierung zu betonen. Abweichende Parteien waren schon vor der Wahl ausgeschaltet: Die islamistische Ennahda ist seit 1989 verboten, die meisten ihrer Anführer befinden sich im Exil. Während die frühere kommunistische Partei unter dem Namen Ettajdid ("Die Erneuerung") zur Wahl Ben Alis aufrief, ist die Partei der tunesischen Arbeiter PCOT verboten. Im Sommer wurde ihr Chef in Abwesenheit zu neun Jahren Haft verurteilt.

Auch in den Medien finden keine kontroversen Auseinandersetzungen statt - selbst Ben Ali spricht von einer unnötigen Selbstzensur der Journalisten und kündigt Änderungen im Pressegesetz an. Eine Gefahr für sein Regime dürfte sich kaum ergeben: "Wenn jeder, der bei uns in der Redaktion für das Innenministerium arbeitet, im Anzug zur Arbeit kommen würde, würde ich mir vorkommen wie in einer Bank", erklärt ein Journalist.

Die Wimpel in den Straßen von Tunis können noch eine Weile hängen blieben: Am 7. November wird das Land Ben Alis zwölfjährige Herrschaft, nach offizieller Diktion den "Beginn der neuen Ära", feiern. Vor zwölf Jahren war der damalige Präsident Habib Bourgiba durch ein ärztliches Attest für regierungsunfähig erklärt worden. Ben Ali schaffte die lebenslange Präsidentschaft ab und begrenzte

die Amtszeit auf drei Mandate. Doch darauf scheint kein Verlass: "Am meisten fürchte ich", erklärt Munira, eine Jura-Studentin in Tunis, "dass er dieses Gesetz vor seinem Mandatsende in fünf Jahren ändert. Dann werden wir ihn nicht mehr los."