Tränendrüse Balcerowicz

Noch-Finanzminister und Vize-Ministerpräsident und Star der rechtsliberalen polnischen Freiheitsunion Leszek Balcerowicz kündigte am Freitag seinen Rücktritt an, sollten seine Reformvorschläge nicht umgehend angenommen werden. Der Koalitionspartner Wahlaktion Solidarität (AWS) unter Vorsitz des Ministerpräsidenten Jerzy Buzek konnte sich bisher nicht dazu durchringen, den Spitzensteuersatz innerhalb der nächsten zwei Jahre auf 28 Prozent abzusenken.

Der "Vater des polnischen Wirtschaftswunders" und Chicago Boy Balcerowicz, der als wenig kompromissbereit gilt, hatte vor seiner Drohung bereits den Rücktritt eines AWS-Ministers durchgesetzt. Jerzy Kropiwnicki, Leiter des amtlichen Zentrums für strategische Studien, wurde von Buzek in einen ausgedehnten Urlaub geschickt. Kropiwnicki hatte am Dienstag eine seiner bekannt pessimistischen Prognosen über die wirtschaftliche Entwicklung Polens im nächsten Jahr abgegeben und damit einen starken Kursverfall des Zloty ausgelöst.

Hintergrund der anhaltenden Koalitionskrise ist die Angst der AWS-Führung vor ihrer Gewerkschafts- und Wählerbasis, die zunehmend weniger Neigung zeigt, das EU-orientierte Reformprogramm über sich ergehen zu lassen. Erst letzte Woche hatten Bergarbeiter der Gewerkschaft Solidarnosc mehrere Stunden Bahngleise besetzt. Die geschwächte AWS hat schon Kompromissbereitschaft gezeigt, denn Neuwahlen kann sie sich im Augenblick nicht leisten: Umfragen prophezeien ihr einen gewaltigen Stimmeneinbruch.