Tretminen im Sicherheitsrat

Leichenfledderei: Zunehmend profilieren sich die angeschlagenen Sozialdemokraten auf Kosten des lädierten Koalitionspartners.

War da was? Koalitionskrach? Krise? Bruch? Auf jeden Fall war es "alles andere als eine einfache Woche", sagte Joseph Fischer. Ausstiegsgelüste? Nein, darüber will Fraktionschefin Kerstin Müller nicht reden. So weit geht ihre Empörung über den dem türkischen Militär auf Probe geschickten Panzer dann doch nicht. Aber merken sollten die Sozialdemokraten schon, dass man nicht alles mit sich machen lasse. Für richtig klare Verhältnisse sorgte dankenswerterweise Militärpolitikerin Angelika Beer am Freitag im Berliner Reichstag: Bestehende Krisenregionen dürfen nicht auch noch von außen durch Rüstungsexporte aufgeheizt werden. Darüber seien sich die Koalitionäre so einig, dass man "zwischen Rot und Grün kein Blatt, und auch keinen Leo, schieben" könne.

Ach so. Mittlerweile ist "Leo" wohl längst Richtung Bosporus abgereist, und die restlichen 999 Kampfpanzer werden im Jahr 2001 folgen. Vorausgesetzt natürlich, wie Außenminister Fischer mit nachdenklicher Miene im "Bericht aus Berlin" betonte, dass sich "die Menschenrechtslage verändert". Zumindest die Optik sollte möglichst nicht erst in zwei Jahren, sondern schon im Dezember stimmen, denn dann wird sich der informelle Grünen-Chef in Helsinki für den EU-Beitritt der Türkei stark machen. Und der eine oder andere gefolterte Kurde würde da doch schlecht ins Bild passen.

Zunächst aber kündigte Fischer jetzt "eine ganze Reihe schwer wiegender Exportentscheidungsfragen" an. Das klingt nach weiteren anstrengenden Wochen im Bundessicherheitsrat, ist aber nichts als normaler Regierungsalltag in einem Staat, der nach Angaben des Stockholmer Friedensinstitutes Sipri derzeit Platz vier auf der Liste der weltweit größten Waffenlieferanten einnimmt. Von Mitte der achtziger bis Mitte der neunziger Jahre erteilte die Bundesregierung 680 solcher Ausfuhrgenehmigungen für Mordwerkzeug aller Art.

Wohin das in nächster Zeit zur Debatte stehende Rüstungsmaterial gehen soll, wollte Fischer freilich nicht verraten, auch wenn seine Parteifreundin Beer vehement ein "transparenteres Verfahren im Rüstungsexport" einklagt. Ein Blick auf die Tops des deutschen Waffenhandels lässt allerdings erahnen, was ansteht: zu den wichtigen Kunden zählen Indonesien, Chile und eben die Türkei. Ob Militärputsch oder Demokratur, schon immer hat sich die Regierung in Ankara deutsche Wertarbeit einiges kosten lassen. Erst im Juli unterzeichnete ein Bremer Werften-Konsortium unter Absegnung des Bundessicherheitsrates einen Vertrag über die Lieferung von sechs Minenjagd-Booten. Kostenpunkt: eine Milliarde Mark.

Auf etwa 13 bis 14 Milliarden Mark darf sich die Münchner Panzerschmiede Krauss-Maffei-Wegmann freuen, wenn der Deal mit dem Leopard II erst einmal unter Dach und Fach sein wird. Eine erkleckliche Summe, mit der die deutschen Waffenhändler für die nächsten Jahre wieder zu den wichtigsten Lieferanten des Folterregimes gehören dürften. Immerhin: Etwa 6 000 Arbeitsplätze will man in der bayerischen Hauptstadt durch den geplanten Export sichern. Wen würde da stören, dass am Bosporus jede Lira für die Hilfe von Erdbebenopfern fehlt - zumal die türkischen Politiker wild entschlossen sind, bis zum Jahr 2007 etwa 58 Milliarden Mark in moderne Waffen zu stecken. Knapp 300 Milliarden Mark will Ankaras Regierung in den nächsten Jahren für Rüstungsgüter ausgeben.

Wer da nicht mitzieht, hat schlechte Karten. Schon deshalb wirken die Bekundungen lächerlich, mit denen Beer vergangene Woche die deutsche Unterstützung des Aufbaus eines Labors für chemische Kampfstoffe als "Schutz für die Bevölkerung" verteidigt hat. Dass mit dem gelieferten technisch-wissenschaftlichen Know-how "unter Umständen C-Waffen" hergestellt werden können, wie medico international befürchtet, weiß die Militärpolitikerin genau. Ebenso dürfte Beer, die sich regelmäßig gegen die Diskriminierung und Verfolgung von Kurden stark gemacht hat, nicht entgangen sein, dass türkische Militärs unter dem Verdacht stehen, mit aus Deutschland geliefertem CS-Gas gegen die PKK vorgegangen zu sein. 20 Guerilleros sollen dabei nach einem aktuellen Bericht der ZDF-Magazins "Kennzeichen D" im Mai dieses Jahres bei einem Armee-Angriff umgekommen sein. Dennoch dominierte bei den Grünen die Abwehr, während die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch eine klare Forderung stellte: "Wenn Deutschland diese Munition der Türkei geliefert hat, dann hat die deutsche Regierung eine Verantwortung dafür, dass dieser Vorfall untersucht wird."

Außenminister Fischer hat freilich Besseres zu tun. Warum auch sollte sich ausgerechnet er um solche Vorwürfe sorgen? Schon im Sommer hatte der Grünen-Politiker die Sozialdemokratin Heidemarie Wieczorek-Zeul allein gelassen, als es galt, im Bundessicherheitsrat gegen die Lieferung der sechs Minensuchboote zu stimmen. Menschenrechte und deren Einhaltung sind eben relativ. Niemand weiß das besser als Fischer. Noch immer ist er damit beschäftigt, seine Rolle in den Diskussionen im Bundessicherheitsrat um schärfere Richtlinien für den Waffenexport ins richtige Licht zu stellen. Denn gegenüber der eigenen Klientel könnte es peinlich werden, wenn stimmen sollte, was vergangene Woche in diversen Zeitungen zu lesen war: Der Außenminister soll im Sommer gegen eine Verschärfung der Ausfuhrbestimmungen gestimmt haben.

So oder so, in Fischers Amt ist man jedenfalls seither bemüht, zu dementieren, was zu dementieren geht. Schließlich waren es die angekündigten Veränderungen dieser Richtlinien, mit denen die Grünen hausieren gehen mussten, nachdem die Sache mit dem "Leo" in den Sand gesetzt wurde. Trumpfen konnten die Alternativen aber auch hier nicht. So wurde nach den angeblich heftigen Wortwechseln zwischen Fischer und Kanzler Gerhard Schröder keineswegs präzise festgehalten, wie denn die Verbindung zwischen Einhaltung von Menschenrechten und Waffenexporten künftig aussehen soll. Aus den Reihen der SPD war letzte Woche zu hören, die Grünen machten sich falsche Hoffnungen, wenn sie glaubten, die Richtlinien würden künftig schärfer ausfallen. Also wieder Fehlanzeige.

Das Spiel ist zur Methode geworden: Jeder Versuch, an Essentials, wenn auch nur pro forma, festzuhalten, endet für die Grünen im Fiasko. Und während Wendehals Fischer auf den richtigen Zeitpunkt zum Sprung in die Sozialdemokratie zu warten scheint, profilieren sich die lädierten Genossen auf Kosten des halbtoten Koalitionspartners. Und das auch noch vollkommen pietätlos: Kaum hatten sich die Grünen von der Berliner "Panzerschlacht" erholt, zog Otto Schily nach und kündigte weitere Einschränkungen im Asylrecht an. Grünen Forderungen wie etwa der Anerkennung nichtstaatlicher Verfolgung erteilte der sozialdemokratische Innenminister eine deutliche Absage. Ebenso den nach dem Asylkompromiss gebliebenen Resten juristischer Absicherung für Flüchtlinge.

Dass sich die Grünen in Differenzen um die Asylpolitik durchsetzen können, damit rechnet in der Wählerschaft wohl ohnehin niemand mehr, ebenso wenig wie beim Atomausstieg. Die Glaubwürdigkeit der Partei tendiert seit Wochen gegen Null. Die Folge: Bis zur Hälfte ihrer Wähler und Wählerinnen haben die Grünen bei den Kommunalwahlen in der Hochburg Baden-Württemberg verloren. Bei den im Frühjahr in Nordrhein-Westfalen anstehenden Wahlen muss die Partei nach neuesten Umfragen sogar um die notwendigen fünf Prozent für den Einzug in das Landesparlament bangen.

Primetime für die PDS. Meinungsforscher versprechen den Ost-Sozis derzeit bundesweit acht Prozent der Stimmen. Grund genug, sich schon mal auf den Weg zu machen. Das Ziel: Regierungsfähigkeit. Das Motto: Schneller als die Grünen. So beschloss die PDS-Bundestagsfraktion vor zwei Wochen, einem militärischen Einsatz unter Uno-Führung zuzustimmen. Natürlich geht es hier, wie der außenpolitische Sprecher Wolfgang Gehrcke erklärt, "um Ausnahmen und nicht um Regelfälle".

Auch den Nutzen erfolgreich erprobter Menschenrechts-Rhetorik haben die PDS-Genossen mittlerweile erkannt. So erklärte Gehrcke letzte Woche den Teilnehmern eines türkischen Immigranten-Kongresses in Düsseldorf, worauf man sich am Bosporus gefasst machen kann: "Die Türkei muss den Krieg gegen Kurdinnen und Kurden sofort einstellen und der kurdischen Bevölkerung Autonomierechte einräumen. Für die Qualität dieser Rechte haben die Nato-Staaten bei den Rambouillet-Verhandlungen einen Standard gesetzt. Dieser muss auch für den Nato-Partner Türkei gelten." Und wenn nicht? Nicht zaudern. Einfach Joseph Fischer fragen.