Von Bildern erschlagen

Nach den jüngsten Angriffen auf die Wehrmachtsausstellung werden nicht nur die Fotos neu sortiert. Die ideologischen Prämissen des Bilder-Streits.

Seit zwei Wochen erfährt der Streit um die Wehrmachtsausstellung eine Neuauflage. Der polnisch-deutsche Historiker Bogdan Musial, Historiker am Deutschen Historischen Institut Warschau, versucht in seinem in den Vierteljahresheften für Zeitgeschichte erschienenen Aufsatz "Bilder einer Ausstellung" den Nachweis zu führen, dass neun von 800 Fotos, die im Ausstellungsband veröffentlicht sind, keine Wehrmachtsverbrechen dokumentieren, sondern Erschießungen von Strafgefangenen durch den sowjetischen Geheimdienst NKWD. Bei 24 weiteren Fotos kann seiner Ansicht nach die Täterschaft der deutschen Wehrmacht nicht eindeutig bewiesen werden.

Noch härter greift die "quantitative und qualitative Analyse" des ungarischen Historikers Kriszti‡n Ungv‡ry die Ausstellung und ihre Macher an. Ungv‡ry behauptet, dass nur zehn Prozent der Bilder eindeutig der Wehrmacht zuzuordnen seien. Eine Reihe von Fotos dokumentierten Verbrechen ungarischer Sicherheitskräfte.

Ungv‡rys Behauptung liegt die unhaltbare Annahme zu Grunde, innerhalb der Wehrmacht seien lediglich die Feldgendarmerie und die Geheime Feldpolizei für Exekutionen zuständig gewesen. Die Ausstellung beschäftigt sich dagegen sowohl mit Verbrechen von Wehrmachtseinheiten als auch von Angehörigen der SS, des SD und der Polizeibataillone.

Sowohl Musial als auch Ungv‡ry stellen die Hauptaussagen der Ausstellung - die Wehrmacht war am Holocaust beteiligt, sie spielte eine aktive Rolle bei der Plünderung der besetzten Gebiete, beim Massenmord an der Zivilbevölkerung und bei der Vernichtung sowjetischer Kriegsgefangener - nicht in Frage. Was sie dagegen bestreiten, ist die Aussage, dass der deutsche Krieg im Osten und Südosten Europas kein normaler Krieg, sondern ein Rassen- und Vernichtungskrieg war und als solcher von der Wehrmacht und den Nazis geplant und durchgeführt wurde.

Dementsprechend ziehen die beiden Historiker nicht nur einzelne Bilder in Zweifel, sondern kritisieren die Gesamtkonzeption als "vorurteilsbeladen" und "agitatorisch". Die Ausstellungsmacher würden die Verbrechen der Wehrmacht "eindeutig instrumentalisieren", sagte Musial der Welt am Sonntag. "Die Methode ist mir nicht fremd. So wurden im kommunistischen Polen Ausstellungen gemacht."

Auch Horst Möller, Leiter des Münchner Instituts für Zeitgeschichte (IfZ) und Herausgeber der Vierteljahrshefte wirft in einem Focus-Interview den Organisatoren der Ausstellung Agitation vor. "Sie erschlagen den Besucher mit einer Fülle von zum Teil dramatischen Bildern." Ausstellungsleiter Hannes Heer sei "kein harmloser Mensch". Heer habe diesen "Einhämmerungseffekt", den schon Hitler gekannt habe, beabsichtigt.

Viel aufschlussreicher als die angeblich sensationellen neuen Dokumente über die Verbrechen des NKWD ist daher die jüngste Debatte um die Wehrmachtsausstellung selbst. Schließlich ist es keine neue Erkenntnis, dass der sowjetische NKWD beim hastigen Rückzug der Roten Armee Ende Juni, Anfang Juli 1941 eine Reihe von Massakern verübt hat. Dies wurde immerhin sofort von der Nazi-Propaganda zur Rechtfertigung von so genannten "Vergeltungsmaßnahmen" benutzt. Die aktuelle Debatte in Deutschland wendet sich damit einer Sicht der Dinge zu, die bereits dem Nationalsozialismus zu Eigen war.

Dieter Stein, der Chefredakteur der Jungen Freiheit, erkannte dies sofort: "Dass die falsch zugeordneten Bilder ausgerechnet Opfer des sowjetischen NKWD und nicht der Wehrmacht zeigen, ist eine unbeabsichtigte Chance zur Erweiterung des historischen Blickes. Einer der Hauptmängel der Wehrmachtsausstellung ist es nämlich, die Rolle des Kriegsgegners völlig zu unterschlagen."

In einem Interview, das Stein mit Ungv‡ry führte, erläutert der Historiker die Motivation für seine Forschungen: "Mich hat der deutsche Hang zur Singularität immer geärgert." Er behauptet, "dass anscheinend gar keine Ideologie zu diesen Untaten nötig war", dass die Wehrmacht "in das Kriegsverhalten der anderen Armeen eingeordnet" werden müsse. "Eine Armee verhält sich nie moralisch, sondern zweckmäßig. Und so verhielt sich auch die Wehrmacht, aber auch andere Armeen. Das hat mich eigentlich am meisten geärgert - immer dieser deutsche Hang zur Singularität, der vor 1945 als 'positiver' und nach 1945 als 'negativer' Nationalismus funktioniert."

Jetzt also sind die anderen dran mit der "Aufarbeitung der Vergangenheit", die Deutschen haben ihr Schuldsoll längst übererfüllt. Ganz im Sinne der Jungen Freiheit kommentiert denn auch Eckhard Fuhr in der FAZ: Die Organisatoren der Ausstellung betrieben keine Geschichtswissenschaft, sondern "Geschichtspolitik". Der Ausstellung gehe es "nicht mehr um die Grautöne der Wahrheit, sondern um Gut oder Böse". "Akribische Geschichtsforschung ist das eine, die geschichtspolitische Großwetterlage ist das andere - und die hat sich durch die deutsche Beteiligung am Kosovo-Krieg drastisch verändert. Die Frage nach deutscher Schuld ist endgültig in die Frage nach deutscher Verantwortung übersetzt. Die Ausstellung und der Streit um sie sind selbst Geschichte geworden."

Dass sich die FAZ zum jetzigen Zeitpunkt gegen die Wehrmachtsausstellung engagiert, folgt einem politischen Kalkül. Im nächsten Jahr wird die Ausstellung in mehreren Städten der USA und Kanadas gezeigt, damit stehen wieder einmal "deutsches Ansehen" und deutsche Exporte auf dem Spiel. Mehr "Grautöne" und die Einordnung der Wehrmachtsverbrechen in den Nolteschen "Europäischen Bürgerkrieg", in dem prinzipiell immer die Kommunisten die eigentliche Bedrohung und die Täter darstellen, stehen damit dringlicher denn je an.

Zu befürchten ist, dass das Hamburger Institut den Forderungen ihrer Gegner teilweise entgegenkommen wird. Die Ausstellung steht in der Konzeption des Hamburger Instituts für Sozialforschung im Rahmen der Geschichte "unseres Jahrhunderts", der "Gewalt und Destruktivität des 20. Jahrhunderts". Im Kontext der Arbeit an diesem Projekt hat sich das Institut der Totalitarismustheorie geöffnet. Mit den Konsequenzen dieses Ansatzes sind die Ausstellungsmacher jetzt konfrontiert.

Die Auseinandersetzung mit Funktion und Rolle der Wehrmacht im NS-Staat wurde sowohl in der Ausstellung als auch in der wissenschaftlichen Arbeit des Hamburger Instituts vernachlässigt. Dabei ist evident, dass gerade die Wehrmacht es war, die mit insgesamt 18 Millionen Soldaten während des Zweiten Weltkriegs die wichtigste Säule des Nationalsozialismus darstellt. Die Wehrmacht war die Institution, in der die Mehrheit der männlichen Bevölkerung aktiv dem NS-System zuarbeitete - eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass tatsächlich von einer faktischen Identität von NS-Staat und deutscher Gesellschaft gesprochen werden kann.

Die Wehrmacht war dabei keineswegs nur dem Willen der NS-Führung unterworfen, im Gegenteil. Wehrmacht und Generalstab stellten bereits in den zwanziger Jahren unter der Leitung des Generals Hans von Seeckt, dem Chef der Heeresleitung der Reichswehr, die Pläne für ein Kriegsheer bereit, die vom NS bis 1939 erfüllt wurden. Hitler gewann die Unterstützung der Generäle erst, nachdem er ihnen 1932 und erneut 1934 nach dem "Röhm-Putsch" die Erfüllung bzw. Übererfüllung ihrer eigenen Pläne zur Aufrüstung zugesichert hatte. Seit 1933 war die Wehrmacht nicht nur in die Pläne der Nationalsozialisten eingeweiht, sie gestaltete diese Pläne zur "Volksvernichtung" in Osteuropa aktiv mit.

Für das US-amerikanische Publikum, das die Ausstellung ab Januar in New York besichtigen kann, wurde die Ausstellung um den Prolog "The German Army in the National Socialist State, 1933-1939" erweitert. Darin wird die Entwicklung der Wehrmacht im NS-Staat und die systematische Vorbereitung eines Vernichtungskrieges seit 1933 und dessen Umsetzung 1939 in Polen dargestellt. Ob das Institut nach den Angriffen an dieser dringend notwendigen systematischen Analyse der Verquickung von Wehrmacht und NS-Staat festhält oder sich der Totalitarismustheorie annähern wird, kann als Indikator dafür gelten, ob es überhaupt noch möglich ist, der Normalisierung der deutschen Geschichte etwas entgegenzusetzen.