Zwischen Apo und Mohammed

Während Öcalan Friedenserklärungen produziert, macht die türkische Regierung bereits gegen einen anderen Feind mobil: Die "islamische Gefahr".

Vor der Verhaftung von PKK-Chef Abdullah Öcalan wurde die Türkei in PKK-Kreisen nur sehr abfällig als "TC" bezeichnet. Die Initialen "TC" stehen für "Türkiye Cumhuriyeti" - Türkische Republik - mit der Verkürzung des offiziellen Staatsnamens machte sich die PKK darüber lustig, dass eine demokratische Republik in der Türkei nur dem Namen nach bestehe.

Um so eigenartiger mutet die neueste Friedensbotschaft des zum Tode verurteilten Öcalan zum 76. Jahrestag der Türkischen Republikgründung an. Die Feierlichkeiten hielten sich in diesem Jahr wegen der Erdbebenkatastrophe in bescheidenem Rahmen. Man hütete sich davor, die Waffenstärke der türkischen Armee protzig vorzuführen, um nahe liegender Kritik über ein Ungleichgewicht zwischen Rüstungsausgaben und Einsatzstärke im Katastrophengebiet vorzubeugen.

Nur in Ankara marschierte der Generalstab geschlossen zum Mausoleum des Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk. Es war der zweite gemeinsame Auftritt der obersten Militärs innerhalb kurzer Zeit. Erst eine Woche zuvor hatten sich die Generäle schon einmal versammelt. Anlass war das Begräbnis des am 21. Oktober in Ankara bei einem Bombenanschlag getöteten ehemaligen Kulturministers und prominenten kemalistischen Autors der Tageszeitung Cumhuriyet, Ahmet Taner Kislali.

Kislali wurde an dem Tage ermordet, an dem der Revisionsprozess gegen das Öcalan-Todesurteil begann. Die Polizei nahm mehrere Personen aus dem Umfeld der obskuren islamistischen Organisation IBDA-C fest, die nur in der Türkei existiert und im Verdacht steht, der semi-staatlichen Kontraguerilla anzugehören.

Von der Gefängnisinsel Imrali aus bezeichnete Öcalan das Attentat umgehend als barbarisch und von dunklen, die Demokratie boykottierenden Kräften in der Türkei gesteuert. Die Rückkehr der "islamischen Gefahr" kommt dem PKK-Chef äußerst ungelegen. Sie könnte das innenpolitische Klima in der Türkei zusätzlich verschärfen - und das in einer Zeit, in der Öcalan alles daran setzt, für seine Entspannungpolitik zu werben.

So flogen am Freitag vergangener Woche acht PKK-Funktionäre von Wien nach Istanbul und ließen sich dort demonstrativ festnehmen. Damit sollte die Ernsthaftigkeit des Friedensaufrufs betont werden, den Öcalan zum Jahrestag der Republik veröffentlichen hatte lassen. Mit der Formel: "So sehr die Sprache der siebziger Jahre die Gewalt war, so sehr muss die Sprache der Neunziger auf Demokratie und Erneuerung angelegt sein", erklärte der PKK-Führer den bewaffneten Kampf erneut für beendet - um dann festzustellen, dass die Türkei sich an einem Scheideweg befinde: Entweder sie wähle den Weg der Demokratie oder den der oligarchischen Republik. Die Kurden forderte er auf, sich als "Militante des Friedens" in einer demokratischen Türkei zu integrieren.

Während Öcalan sich als Friedenstaube an die Weltöffentlichkeit wendet, werden PKK-Kreise und auch der türkische Staat die Nachricht wohl verstehen: Die PKK gibt zwar den aussichtslosen bewaffneten Kampf auf, ohne Reformen und demokratisierende Maßnahmen wird es jedoch keine Ruhe geben.

Die Reise der PKK-Kader in die türkischen Gefängnisse war nicht die erste ihrer Art: Erst Anfang Oktober war eine achtköpfige PKK-"Friedensgruppe" in die Türkei gekommen und hatte sich im Südosten des Landes ergeben. Öcalan hatte die Rebellen zuvor aufgerufen, die Kämpfe einzustellen und die Türkei zu verlassen. Während des OSZE-Gipfels Mitte November in Istanbul soll eine dritte Gruppe prominenter PKK-Funktionäre in die Metropole am Bosporus reisen.

Öcalan setzt darauf, dass steter Tropfen den Stein höhlt: Wenn es in der Türkei ein Übermaß an inhaftierten "Hochverrätern" gibt, deren Verfahren sich in die Länge ziehen und häufig vor dem Europäischen Gerichtshof enden, dann wird diplomatischer Druck die Regierung zwingen, auf seine Friedensaufrufe zu reagieren. Bislang ist Ankara für solche Töne auf beiden Ohren taub und verfährt mit den Friedensboten kategorisch: Die Staatsanwaltschaft in Van will für die PKK-Mitglieder, die sich Anfang Oktober gestellt haben, insgesamt 120 Jahre Gefängnis beantragen.

Für den 25. November wird die Entscheidung des Berufungsgerichts im Öcalan-Prozess erwartet. Das Todesurteil dürfte bestätigt werden - auch wenn es nicht vollstreckt wird. Zum Auftakt des Revisionsverfahrens verlasen die Verteidiger eine 30seitige Stellungnahme, in der der nicht anwesende PKK-Chef erneut zum Ende der Gewalt aufrief. Diese Erklärungen unterstützte der PKK-Exekutivrat mit der Forderung, die Türkei in die EU aufzunehmen, weil der dadurch beschleunigte Demokratisierungsprozess auch den Kurden nützen würde.

Die dringend erwünschte Demokratisierung sieht Öcalan durch den Mord an Kislali bedroht. Er reagierte darauf zwar mit der Empörung des Gerechten. Doch das staatlich initiierte Spektakel nach dem Mord an dem streitbaren pro-kemalistischen Intellektuellen stimmt bedenklich; es erinnerte fast an die Massen-Demonstrationen nach dem Bombenattentat auf den Starjournalisten Ugur Mumcu von 1994. Damals waren Hunderttausende auf die Straße geströmt und hatten mit der Parole protestiert, die Türkei dürfe "kein zweiter Iran werden".

Für das Attentat wurden sofort religiöse Fanatiker verantwortlich gemacht, da Mumcu mehrere spöttische Bücher über die Verstrickungen von Islamisten mit dem türkischen Staat geschrieben hatte. Doch der Mumcu-Mord war damals nur der Auftakt und Auslöser für eine politisch nationalistisch aufgeladene Atmosphäre, die den kollektiven Wunsch nach einem starken Staat weckte, der vor dem Islamismus und Separatismus schützen sollte.

Auch jetzt kommt die Rückkehr der "islamistischen Gefahr" nicht ungelegen - eine Woche nach der Ermordung Ahmet Taner Kislalis und einen Tag nach der Sitzung des durch die Militärs dominierten "Nationalen Sicherheitsrates" nutzte der Präsident des Revisionsgerichtes, Vural Savas, die Gelegenheit, um in einer Rede harte Anti-Terror-Maßnahmen zu fordern. An eine Abschaffung der Todesstrafe sei unter diesen Umständen nicht zu denken. Stattdessen sollen die Befugnisse der Sicherheitsorgane ausgeweitet werden: So sollen beispielsweise Telefone künftig ohne gesetzliche Einschränkungen abgehört und Briefe geöffnet werden dürfen.

Zwar ging ein Aufschrei der Empörung über dieses offene Plädoyer für Notstandsgesetze durch die türkische Öffentlichkeit, und alle Parteivorsitzenden distanzierten sich von dem Juristen. Doch sollten die Kompetenzen der Polizei tatsächlich erweitert werden, würden sich diese natürlich nicht nur auf die "islamische Gefahr" beschränken, sondern insgesamt eine Verschärfung des Klimas nach sich ziehen. .