Operation Chill Out

In Ägypten fand das Großmanöver "Bright Star" statt. Jungle World war dabei.

Wir stehen hier auf historischem Boden", brüllt der niederländische Marineinfanterie-Kommandeur Van der Til in El Alamein. Vor 57 Jahren, am 23. Oktober 1942, war dies der Schauplatz der entscheidenden Panzerschlacht um Afrika zwischen den Generälen Rommel und Montgomery. Nun wird in der ägyptischen Einöde "Bright Star" gegeben, das weltweit größte Manöver dieses Jahres.

Ursprünglich war Bright Star ein ausschließlich ägyptisch-US-amerikanisches Manöver, das 1981 als Teil des Friedensabkommens in Camp David zwischen Ägypten und Israel beschlossen wurde. Mittlerweile ist es zu einem großen multinationalen Kriegsspiel angewachsen, das alle zwei Jahre stattfindet. Geopolitisch ist Bright Star gegenwärtig das wichtigste Manöver der Welt. Neben Ägypten und den USA beteiligen sich nicht nur weitere Nato-Länder, sondern auch Kuwait, Jordanien und die Vereinigten Arabischen Emirate.

Während seiner 18jährigen Geschichte hatte Bright Star stets eine Doppelfunktion. Einerseits diente es der Friedensstiftung zwischen Israel und Ägypten - andererseits spielte der Militär-Test auch eine große Rolle im Kalten Krieg. Die Präsenz der US-Marines entzog Ägypten schließlich dauerhaft dem sowjetisch-russischen Einflussbereich. In den achtziger Jahren war Bright Star auch eine Warnung an arabische und nordafrikanische Länder, die sich an der UdSSR orientierten. Dem Becken des Roten Meeres und dem Suezkanal wurde zu dieser Zeit noch essenzielle geopolitische Bedeutung zugemessen.

1981 inszenierten Russland und Äthiopien eine entgegengesetzte Demonstration der Stärke. Ihre Offensive gegen eritreische Guerillas wurde "Red Star" genannt. Red Star erreichte jedoch das Gegenteil des angestrebten Zwecks und zeigte, wie schwach Äthiopien tatsächlich war. Wegen taktischer Fehler der äthiopischen Militärs gewannen die Eritreer die Schlacht. Nach dieser Niederlage schraubte Russland seine militärische Unterstützung für Äthiopien langsam zurück.

Bright Star '99 hat seine geopolitische Zielsetzung verlagert. Zwar geben noch immer die arabische Welt und die Anrainer des Roten Meers die Zuschauer ab. Aber heute stehen sie viel eher unter islamischem als unter kommunistischem Einfluss. Und der islamische Fundamentalismus spielt für die USA die Rolle des Schwarzen Mannes.

In diesem Monat beteiligen sich an dem Kriegsspiel 67 000 Militärs, darunter 18 000 aus den USA und 30 000 Ägypter. Es beteiligen sich insgesamt zehn Länder, rund 20 weitere Länder haben Beobachterstatus. Ob auch Israel Beobachter entsandt hat, wird wohl ein militärisches Geheimnis bleiben. Deutsche sind nicht dabei, dafür zum ersten Mal rund 500 holländische Marines. Normalerweise üben sie in Norwegen. Auch dort ist Einöde, aber 50 Grad kälter. "Das ist eine gute Gelegenheit", sagt der Kommandeur. Ägypten besteht zu 95 Prozent aus Wüste, und die Holländer haben eine Schussweite von rund 120 Kilometern.

Im ägyptischen Wüstensand hat die niederländische Elite-Einheit eine ganz besondere Offensive zu schlagen. Der Tagesbefehl lautet: "Imagepflege!" Denn bald soll im niederländischen Parlament über den neuen Verteidigungshaushalt abgestimmt werden, und dabei stehen erstmals seit langem auch Einsparungen beim Marine-Korps an. Ein ganzes Flugzeug voll Journalisten hat das Verteidigungsministerium deswegen nach Ägypten fliegen lassen. Die meisten von ihnen arbeiten für rechte, populistische Blätter und werden ihrer Leserschaft berichten, welch heldenhaften Kampf die gut trainierten holländischen Jungs in der Ferne schlagen.

Wie sie das anstellen werden, ist im Moment noch unklar. Denn die Darbietung in El Alamein hat nur wenig Heroisches an sich. Während in der Ferne eine kleine Einheit die Mondlandschaft durchquert, ballern Mörser und schwere Maschinengewehre auf den imaginären Feind. Die Journalisten wurden mit Helmen und Uniform-Jacken ausgestattet. "Ohrstöpsel!" ruft der kommandierende Offizier. Weit weg ertönt ein dumpfer Schlag. Vielsagende Blicke werden gewechselt: "Wir sind nicht beeindruckt."

Ein amerikanischer Armeehubschrauber fliegt vorbei. Aus seinen Außenlautsprechern ertönt Soul-Musik. In der Wüste bewegt sich nichts. Irgendwo im Sand liegen zwei Scharfschützen, aber wo? Auf das Kommando "Feuer!" ertönt ein Schuss. Eine kleine Staubwolke steigt aus dem Sand auf. Näher als erwartet. Wäre das hier ein echter Krieg, wären wir schon tot. Bei näherer Betrachtung ähnelt der Scharfschütze einem Hungeropfer, das in einem flachen Grab beerdigt wurde. Wie lang liegst du schon hier? "Weiß ich nicht." Was, wenn du aufs Klo musst? "Dann piss' ich mir in die Hose." Irgendwie ist es für mich als Niederländer schwierig, diese Kerle als zurechnungsfähige Landsleute durchgehen zu lassen.

Drei amerikanische Kampfflugzeuge fliegen über die Wüste und bombardieren den Sand. US-Marines eilen herbei, um zu gucken. In der Staubwolke schimmern ihre Augen. Verglichen mit einem US-Marine sehen niederländische Marine-Infanteristen irgendwie gutmütig aus. Mit einem Leatherneck zu sprechen, ist eine andere Erfahrung. Sie schauen dich an, als würden sie über die verschiedenen Arten sinnieren, dich umzubringen, wobei sie zweifellos ein wenig bei den langsameren und schmerzvolleren verweilen.

Mit blauer See und weißen Stränden werben die Marines im niederländischen Fernsehen für sich. Einer ihrer beliebtesten Manöverorte ist die Karibik. Der Strand bei El Alamein sieht kaum anders aus als das Traumbild. Tatsächlich, meint der kommandierende Offizier eines Landungsbootes, sei das Leben als Marine-Infanterist allerdings ganz anders als in der Reklame. "Aber natürlich gehen wir schwimmen, wenn wir mal eine Stunde frei haben."

Die HMS Rotterdam, das neueste Schiff der niederländischen Marine, liegt zehn Kilometer vor der ägyptischen Küste. Der Marineinfanterie-Kommandeur nennt das Schiff ein Sprungbrett vom Meer zum Land. Der Kapitän meint dagegen, seine wichtigste Funktion sei die "Operation Chill Out". Es bietet den Soldaten gute Schlafplätze und warme Duschen. Zugegeben, die Duschen sollte man sich merken. In seinem ganzen Leben hat der Jungle World-Korrespondent nicht eine so schöne Dusche gehabt. "Wenn Sie sehen, was diese Marines in der Wüste machen", meint ein Offizier, "dann haben sie sich verdient, verwöhnt zu werden."

Verwöhnt werden sie nicht nur an Bord des Schiffes. Die Niederländer haben auch einen Trip nach Kairo arrangiert. Stolz zeigt der Kommandeur seinen Männern ein bisschen etwas vom Gastland. Ein Besuch bei den Pyramiden und im ägyptischen Museum, ein Essen mit Bauchtänzerin: alles komplett. Ebenfalls inklusive ist das Kriegspanorama vom Oktober 1973. "Wir haben immer nur die israelische Version dieses Krieges gehört. Es ist gut zu sehen, was nach Meinung der Ägypter passierte."

Die US-Marines sind in der Wüste wie zu Hause. Mubarak Military City hat jeweils einen McDonalds, Pizza Hut und Kentucky Fried Chicken emporsprießen lassen. Die Holländer haben ihre eigenen Maskottchen mitgebracht - eine Windmühle made in Cambodia, bemalt mit den Standard-Tarnfarben von der Versorgungskompanie. Im holländischen Basiscamp ist ein Wegweiser aufgestellt. Amsterdam ist 3 471 Kilometer entfernt, die nächste Kneipe 10,896, die Dünen nur zwei. Ein Wegweiser zeigt auf den Boden. "Naar de kloten" steht drauf - etwa: "auf die Eier", der holländische Macho-Ausdruck für "tot".