Linksbündnis wird stärkste Kraft in Uruguay

Tupamaros im Senat

In Lateinamerika, so scheint es, vollzieht sich ein Linksruck. Was die parlamentarische Opposition in Mexiko (PRD mit C‡rdenas) und Brasilien (PT mit Lula) in mehreren Anläufen vergeblich anstrebte, gelingt im Südkegel des Kontinents auf Anhieb: Die traditionellen Rechtsparteien werden an der Urne besiegt. Zuerst wählte Argentinien den Sozialdemokraten Fernando de la Rœa zum Präsidenten. In Uruguay wurde nun das Linksbündnis Encuentro Progresista-Frente Amplio (EP-FA) zur stärksten Partei im Land, und sein Kandidat Tabaré V‡zquez hat Chancen, Ende November die Stichwahl um das höchste Staatsamt zu gewinnen. Im Dezember schließlich hat R'cardo Lagos beste Aussichten, nach Salvador Allende das zweite sozialistische Staatsoberhaupt Chiles zu werden.

Zu Allendes Zeiten stand jedoch auch ein sozialistisches Programm zur Wahl, heute bloß die so genannte moderne Sozialdemokratie mit technokratischem Flair. Rückten PRD und PT erst mit jeder Wahlniederlage ein Stückchen weiter nach rechts, hat die Opposition im Conosur ihre Hausaufgaben bereits vorab erledigt: Besonders in Wirtschaftsfragen bietet sie außer ein bisschen sozialer Rhetorik keine Alternative. Das Vertrauen in den Markt ist derart, dass nicht nur wegen des Drucks internationaler Institutionen Kontinuität in der Wirtschaftpolitik gesichert ist.

Dennoch sind diese Wahlergebnisse nach zwei Jahrzehnten steigender Armut und Ausgrenzung ein wichtiger Einschnitt, zumal in der Vergangenheit die wenigen Erfolge der lateinamerikanischen Linken auf Regierungsebene fast immer mit Gewalt niedergeschlagen wurden. Die traditionellen, durch und durch korrupten Eliten sind eindeutig das größere Übel.

Und auch diese drei so ähnlichen Wahlen können nicht über einen Kamm geschoren werden. Sind Chile und Argentinien auf dem besten Weg zum Zweiparteiensystem, so ist in Uruguay eine Kraft entstanden, die das althergebrachte Machtgeschiebe von "konservativen" Colorados und "liberalen" Blancos in Frage stellt. Schon vor der Diktatur (1973 bis 1985) war die Frente Amplio entstanden, deren Gründer das heute siegreiche Bündnis aus Kommunisten, Ex-Guerilleros, sozialen Bewegungen bis hin zu Christdemokraten schon damals angestrebt hatten. Wahl für Wahl verdoppelte die Allianz ihren Stimm-Anteil. Den bisher größten Erfolg feierte die Frente 1992, als sie 72 Prozent der Bevölkerung dazu motivierte, gegen die Privatisierung der Staatsbetriebe zu stimmen. Ein einmaliger Vorgang, der allerdings nicht Schule machte, da die Welt - wie der Schriftsteller Eduardo Galeano meint - das kleine Uruguay schlicht ignoriert: "Wir Uruguayer neigen zu der Meinung, dass unser Land existiert, doch niemand kriegt es mit."

Auch die drei Millionen UruguayerInnen sind, sollte V‡zquez wirklich Präsident werden, nicht vor Enttäuschungen sicher. Die Frente ist in Flügel zerstritten, wobei sich die der Mitte Zugeneigten zumeist durchsetzen. Dennoch wurden bei dieser Wahl die - ihrerseits gespaltenen - Ex-Guerilleros der Tupamaros innerhalb der Frente drittstärkste Kraft. Und zwei ihrer Protagonisten, die zu Diktaturzeiten jahrlang in Geiselhaft saßen, werden in den Senat einziehen.

Wie schon bei der Frage der Privatisierung stellt die EP-FA mit ihrer Forderung nach höherer Vermögenssteuer und Senkung der Mehrwertsteuer die neoliberalen Dogmen zumindest in Frage. Deshalb vergleicht der frühere Wirtschaftsminister unter Allende, José Cademartori, die Wahl in Uruguay auch nicht mit den Nachbarländern, sondern mit Venezuela, und die Frente Amplio mit dem Polo Patri-tico des umstrittenen Präsidenten Hugo Ch‡vez. Auch der löste ein Zweiparteiensystem ab und propagiert die Umverteilung von oben nach unten.

"Uruguay bereitete den Neoliberalen die zweite große politische Niederlage auf dem Kontinent", hofft der überzeugte Kommunist Cademartori. Dass Ch‡vez bereits zum Schreckgespenst für die ganze Region gemacht wurde, liegt allerdings nicht an seinem autoritären Führungsstil, sondern an der wirtschaftlichen Bedeutung des Erdöllandes Venezuela.