Die Zukunft sieht gut aus

Die Konrad-Adenauer-Stiftung lud Autoren, Germanisten und Bücherfreunde zum Symposium, um über die "Deutsche Literatur an der Schwelle zum 21. Jahrhundert" zu diskutieren. Ihr Fazit: Das Verhältnis von Macht und Geist entspannt sich.

Wenn Arno Schmidt und Reiner Kunze in einen und denselben Kopf passen und dort gleichermaßen wohlgelitten sind, dann kann es sich nur um einen außergewöhnlichen Kopf handeln. Er heißt Arnold Vaatz. Als die Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin ein Symposion "Deutsche Literatur an der Schwelle zum 21. Jahrhundert" spendierte, wurden die Teilnehmer des abschließenden Podiumsgesprächs nach ihrem Lieblingsschriftsteller gefragt und nach den deutschsprachigen Autoren, die einen Nobelpreis verdient, aber nicht erhalten haben. Vaatz, inzwischen nur noch ein bescheidenes MdB und an diesem Tag ein glatter Ausfall, nannte erstens Schmidt und zweitens Kunze. Und niemand lachte.

Dabei hatten Jochen Hieber von der FAZ und Burkhard Spinnen, ein Schriftsteller, der während des ganzen Tages mit seinem Kollegen Thomas Hettche ein anmutiges Paar bildete, längst den ulkigen Teil der Veranstaltung eröffnet. Doch Vaatz wurde nicht vom Schalk getrieben, er gab sein Bestes und konnte doch nicht mithalten, als Hieber, Spinnen und der Germanist Wolfgang Frühwald die deutsche Literatur der letzten hundert Jahre im Stil des "Literarischen Quartetts" aufrollten.

1901, so hat Hieber beobachtet, schrieb Thomas Mann einen Roman, für den er Jahrzehnte später den Nobelpreis erhalten sollte, 1999 erhält Günter Grass den Nobelpreis für einen Roman, den er vor Jahrzehnten geschrieben hat. So rundet sich das Jahrhundert, von dem Fritz Stern sagte, es hätte ein deutsches werden können, wäre nur Hitler nicht dazwischengefahren. Allerdings werde der Nobelpreis für Literatur, gab Frühwald zu bedenken, nicht nach Verdienst verliehen, sondern nach politischem Kalkül. Dann werde er ihn nicht annehmen, erklärte Spinnen.

Wer sich nicht gewohnheitsmäßig im Umkreis der CDU aufhält, musste überrascht sein, wieviel Frohsinn noch immer aus der deutschen Einheit quillt. Dagmar Schipanski und Günter de Bruyn wussten von ihr zu singen. Aber auch in den wissenschaftlichen Beiträgen fand sich immer wieder der Gedanke, das größte Menschheitsproblem sei nun wohl gelöst. Am Beginn des Jahrhunderts, bemerkte in seiner Eröffnungsrede Wilhelm Staudacher, der Generalsekretär der Stiftung, "standen die literarischen Visionen der Expressionisten von künftigen Revolutionen und Apokalypsen. Ein fataler Irrtum ... Die revolutionären Ereignisse um 1989 waren von ganz anderer Art: hoffnungsvoller und vielversprechender." Und sogar das Wetter ist neuerdings besser: Denn es haben sich, wie Klaus Manger in seinem Vortrag über Paul Celans Lyrik feststellte, "die Himmel vor zehn Jahren merklich aufgehellt".

Wolfgang Frühwald liest in den Neunzigern keine Erzählungen von Endzeit und Untergan����hr, sondern "Rettungsgeschichten". Auch im Kino werde gerettet, was in der Geschichte nicht zu retten war. Wenn man etwa die US-amerikanische Fernsehserie über den Holocaust vergleiche mit Filmen wie "Schindlers Liste" oder "Das Leben ist schön", werde man kaum übersehen können, dass im kollektiven Bewußtsein unser schreckliches Jahrhundert längst vorüber ist. Und es war zugleich ein Jahrhundert unverhoffter Beschleunigung.

Das Wissen und die Möglichkeiten des Menschen seien in unerhörtem Tempo gewachsen: Zum ersten Mal habe er die Welt von außen und sich selbst von innen gesehen. Drittens aber habe "der Mensch" erkennen müssen, dass der Lebensstandard der westlichen Industriestaaten nicht "universalisierbar" sei. Und obwohl sich mit dieser Einsicht vielleicht schon die Schrecken des kommenden Jahrhunderts ankündigen, sah Frühwald keinen Anlass zum Pessimismus.

Auf die Frage, wo denn das Christentum in der gegenwärtigen und zukünftigen Literatur bleibe, antwortete er, Theologie und Poetik etwa einer Elisabeth Langgässer seien endgültig überholt, trotzdem sei "das Christentum in der Literatur manifest anwesend, indem sie die Frage stellt, ob es IHN gibt und was gilt". Günter de Bruyn, der christliche und preußische Werte im einigen Deutschland schmerzlich vermisst, saß daneben, mochte aber nichts sagen.

Der Romanist Harald Weinrich sprach vom "Erinnern und Vergessen in der Literatur des Zwanzigsten Jahrhunderts" am Beispiel der "Buddenbrooks" und der "Blechtrommel". Ohne Kunst und Literatur sei dem Vergessen nicht zu widerstehen. Zwar diene die Literatur, indem sie widerspenstige und wirkkräftige Bilder schaffe, dem Gedächtnis, andererseits sei aber gerade das Aufschreiben eine probate Technik des Vergessens. Am Ende ließ Weinrich die Frage unbeantwortet, ob die Literatur immer auf der Seite der Erinnerung steht oder nicht doch auch dem Vergessen dient.

Und weil dieses Symposium von der Konrad-Adenauer-Stiftung veranstaltet wurde, referierte Dagmar Schipanski, die thüringische Kultusministerin, die noch am selben Nachmittag mit dem Ehrentitel einer "Frau des Jahres" geschmückt werden sollte, über "Literatur und Politik - ein auch für mich noch ungewohntes Thema". Mit diesem Geständnis, im zweiten oder dritten Satz ausgesprochen, hätte sie ihren Vortrag auch schon wieder beenden können. Denn was folgte, war durchaus nicht ungewohnt. Der Totalitarismus wurde nach Strich und Faden verurteilt, hatte er die Literatur doch zum "ideologischen Transportmittel im System der Lügen" erniedrigt, und die Schriftsteller, wenn nicht ermordet, zur Anpassung oder ins Exil gezwungen.

Zwischen dem Dritten Reich und der DDR gab es da keinen Unterschied, und was diese an Brutalität vermissen ließ, das trug ersatzweise die Sowjetunion unter Stalin bei. Hermann Kant musste neben Hanns Johst, dem Führer der Reichsschrifttumskammer, Platz nehmen. Das Übel sei entstanden, als eine hybride Politik sich mit der Literatur verwechselte und, statt am Machbaren zu arbeiten, die Utopie in die Welt zwang. Damit aber habe es seit 1989 gottlob ein Ende, das Verhältnis von Geist und Macht entspanne sich, Literatur und Politik seien einander "Korrektiv und Dialogpartner", und beide seien sie "Dienstleister zum Wohl des Gemeinwesens".

Die Friedrich-Ebert-Stiftung hätte zum selben Thema vermutlich Peter Glotz aufgestellt, und dann hätte die Literatur für "Entschleunigung" sorgen müssen. Wohin man auch geht, immer ist es besser, man bleibt zu Hause.