Hitler, williger Vollstrecker

In ihrer Studie zum Vernichtungskrieg beschreiben die beiden Historiker Carl Dirks und Karl-Heinz Janßen Hitler als ein Werkzeug der Wehrmacht. Über eine Nebenrolle im Krieg der Generäle.

Die Aufregung der letzten Wochen um die Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1945" des Hamburger Instituts für Sozialforschung machte aufs Neue deutlich, wie wichtig der Mythos der "sauberen Wehrmacht" für das kollektive Bewusstsein der deutschen Nation war und ist. Dass die Wehrmacht in Mittel- und Osteuropa einen verbrecherischen Vernichtungskrieg führte, will immer noch ein bedeutender Teil der Bevölkerung nicht wissen und nicht wahrhaben. Fast ein Konsens besteht aber darüber, dass es ohne die Nationalsozialisten und insbesondere ohne Hitler den Krieg und die Verbrechen nicht gegeben hätte.

Die Auffassung, der Nationalsozialismus oder gleich der gesamte Faschismus sei ein "Produkt des Führers", des "radikal Bösen" (Joachim Fest), bildete in den fünfziger Jahren unter dem Vorzeichen des Antikommunismus und der Westintegration der BRD die unverzichtbare Grundlage für die "Vergangenheitsbewältigung" der Deutschen. An diesem Bedürfnis, das eigene nationale Kollektiv durch Verweis auf den "Führerstaat" freizusprechen, hat sich bis heute wenig geändert.

Im Grunde bleibt auch die Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht" und ihre Rezeption bei der These der "Verstrickung" der Wehrmacht in die Verbrechen des Nationalsozialismus stehen. Kommissarbefehl, Vernichtungskrieg, Massenmorde durch Wehrmachtsangehörige, Vernichtungskrieg im Osten - im Grunde konnte mit diesen Belegen die konservativ-nationalistische These von der überragenden Bedeutung Hitlers, seiner Befehle und Anweisungen, nicht beseitigt werden. Und der Weg zur Entlastung des nationalen Kollektivs blieb offen: Ohne Hitler hätte es keinen Holocaust gegeben.

Die Studie "Der Krieg der Generäle. Hitler als Werkzeug der Wehrmacht" von Carl Dirks und Karl-Heinz Janßen räumt mit dem Mythos der sauberen Wehrmacht gründlich auf. Zwar ist das meiste, was die Autoren an Material über die Kriegs- und Aufrüstungspläne der Reichswehr / Wehrmacht ab Mitte der zwanziger Jahre aufbereitet haben, schon länger bekannt, in dieser Dichte und Systematik aber wurde es bisher nicht präsentiert. Dirks und Janßen, so können ihre Thesen zusammengefasst werden, beschreiben Hitler als ein "Werkzeug der Wehrmacht". Hitler war hinsichtlich Aufrüstung, Bruch des Versailler Vertrages und Kriegsführung zumindest bis 1942 der Vollstrecker der Pläne des Generalstabs der Wehrmacht, die dieser schon Mitte der zwanziger Jahre aufgestellt hatte.

So, wie Hitler auf einem der Nürnberger Parteitage äußerte, er sei glücklich darüber, dass er das deutsche Volk und das deutsche Volk ihn gefunden hatte, so weisen Dirks und Hansen nach, dass die Wehrmacht mit Hitler den idealen Vollstrecker ihrer Pläne gefunden habe. Die Planer der Aufrüstung der Reichswehr konzipierten die Wiederaufrüstung nach den 1923 erstellten Vorgaben eines Planungsstabes unter der Leitung des Generals Hans von Seeckt, dem Chef der Heeresleitung. Ihr Ziel: ein Heer mit 2,8 bis zu drei Millionen Soldaten in 102 Divisionen, aufgeteilt in 39 Grenzschutzdivisionen und 63 Felddivisionen. Am 1. September 1939, zu Beginn des Zweiten Weltkriegs also, hat das deutsche Heer genau diese "Kriegsstärke" erreicht - bis in die Details stimmen die Größe, Ausstattung und Aufgliederung der Wehrmacht Ende 1939 mit dem Generalplan von 1923 überein.

Detailliert analysieren die Autoren die geheimen Rüstungsprogramme von 1925 bis 1935. Sie schildern die Idee einer Volksmiliz, die in der Ausbildung der SA durch die Reichswehr mündete; den politischen Durchbruch des Revanchegedankens, als Hitler der Reichswehr alles zugesteht, was sie sich wünscht: Wehrpflicht, Beseitigung der Demokratie, Tod für Landesverräter, Rüstung als Arbeitsbeschaffungsprogramm. Ihre Ziele waren die seinen, der NS-Staat sollte ein Staat werden, der alle Zwecke den Bedürfnissen des Miltärs unterordnen würde. Die Logistik des künftigen Krieges, einschließlich der Angriffsplanungen im Westen und Osten, lag bereits ausgearbeitet in den Schubladen.

Schon seit Herbst 1932 befand sich Deutschland auf dem Weg in einen Militärstaat, zu dessen Vollendung der militärischen Führungsspitze Hitlers Machtübernahme hoch willkommen war. Doch wäre, folgt man Dirks und Janßen in ihrer Argumentation, Hitler und die Machtergreifung der Nationalsozialisten gar nicht nötig gewesen: "Die Präsidialkanzler Brüning, von Papen und von Schleicher waren allesamt Revisionisten, mit denen die Wehrmacht ihre Ziele hätte erreichen können." Dies erklärt ihre anfängliche Zürückhaltung dem neuen Regime gegenüber. Im Februar 1933 schloss die Wehrmacht dennoch bereitwillig das Bündnis mit dem Nationalsozialismus und besiegelte es im August 1934 mit dem persönlichen Eid auf den Diktator.

Am 3. Februar 1933 machte Hitler seinen Antrittsbesuch bei der Reichswehrführung im Bendlerblock. Die Reichswehr war die einzige Institution, die nicht gleichgeschaltet wurde. Er versprach ihr die allgemeine Wehrpflicht, ein Aufrüstungsprogramm, die Wiedererlangung der außenpolitischen Macht und "Lebensraum im Osten". Die Reichswehr sollte sich allein auf die Führung des zukünftigen Krieges konzentrieren, die noch kommende innere "Abrechnung" sei Sache der Partei, so Hitler. Er sicherte den Militärs allerdings zu, dass sich die SA nicht in Reichswehrangelegenheiten einmischen werde. Und er gewann ihre Unterstützung nach anfänglicher Zurückhaltung der Generäle durch das Versprechen, ihre Aufrüstungspläne ins Zentrum seiner Politik zu stellen und sie nicht nur punktgenau zu erfüllen, sondern noch mehr für sie herauszuholen.

Der Vierjahresplan von 1936, mit dem der Umbau einer Verteidigungs- zu einer Angriffsarmee durchgeführt und mit der Deutschland innerhalb von vier Jahren kriegsfähig gemacht wurde, hatte ebenfalls einen Vorläufer: In den Papieren des Allgemeinen Heeresamtes finden sich in einem auf den 6. Mai 1935 datierten Heeresplanungspapier erneut die Vorgaben aus dem Jahre 1923, die nun zur Grundlage für den Vierjahresplan wurden.

Innerhalb weniger Jahre setzte der NS-Staat den Plan der Reichswehr in die Tat um. Am Vorabend des Krieges zählte die Wehrmacht 102 Divisionen mit 2,8 Millionen Mann. Beim Überfall auf Polen, beim Krieg gegen Frankreich und beim Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion, den Generaloberst Franz Halder lieber bereits im Herbst 1940 begonnen hätte - stets konnte Hitler auf die Pläne und auf das Drängen seiner Generäle setzen. Die Wehrmacht war 1938 endgültig mit der Führung unter Wilhelm Keitel, Alfred Jodl, Walther von Brauchitsch und anderen NS-treuen Generälen gleichgeschaltet worden bzw. hatte sich selbst gleichgeschaltet - die Personalvorschläge kamen allesamt aus Wehrmachtskreisen.

Nicht nur in rein militärischen Fragen, auch in außenpolitischen und gesellschaftspolitischen Vorstellungen bestanden keine wesentlichen Differenzen zwischen der Wehrmacht und Hitler und der NSDAP - bis Hitler sich selbst zum Oberbefehlshaber an der Ostfront machte. Zu diesem Zeitpunkt allerdings waren die wesentlichen Verbrechen bereits geschehen oder mit praktischer Unterstützung der Wehrmacht begonnen worden.

Carl Dirks/Karl-Heinz Janßen: Der Krieg der Generäle. Hitler als Werkzeug der Wehrmacht. Propyläen Verlag, Berlin 1999, 304 S., DM 39,90