Märkte und Menschenrechte

Asienpfanne XI: Bei den Verhandlungen zur Aufnahme Chinas in die Welthandelsorganisation gibt es Stress.

Klappt es noch? China, "kommunistische" Supermacht auf kapitalistischem Kurs, soll Mitglied der Welthandelsorganisation (WTO) werden. Verhandelt wird darüber seit 13 Jahren, doch jetzt bleiben noch zwei Wochen, um den Deal perfekt zu machen. Dann treffen sich in Seattle die 134 Mitgliedsstaaten der WTO, um die Themen der Millenniumsrunde festzulegen und - vielleicht - darüber zu entscheiden, ob das Land mit fast 1,3 Milliarden Einwohnern in Verhandlungen eintreten darf. Verstreichen die zwei Wochen ohne Ergebnis, werden sich die Beitrittsgespräche wahrscheinlich noch über Jahre hinziehen.

An mangelnder Reiselust kann es nicht liegen, dass bisher noch keine Einigung zwischen der chinesischen KP und den Vertretern der westlichen Welt erzielt wurde. Chinas Präsident Jiang Zemin kam nach Europa - Teekränzchen mit der Queen, Schlossbesichtigung bei Jacques Chirac, Gala-Empfang in Portugal. Der US-amerikanische Finanzstaatssekretär Lawrence Summers schlug sich für ein Treffen mit dem chinesischen Ministerpräsidenten Zhu Rongji sogar bis ins chinesische Hinterland durch. Gerhard Schröder liebte es konventioneller: Autos streicheln im Volkswagen-Werk von Shanghai und ergriffenes Bestaunen der Verbotenen Stadt. Hauptthema bei all diesen Ausflügen waren nicht die Menschenrechte, sondern die Öffnung der chinesischen Märkte für die Unternehmen des kapitalistischen Auslands und der geplante Beitritt Chinas zur WTO.

Letzte Woche ging es in Peking dann weniger um die Produktion von medienwirksamen Bildern als um harte Fakten. Eine hochrangige Delegation aus den USA kam in die chinesische Hauptstadt, um sich über die Details zu streiten. Und die werden es wohl kaum bis in das chinesische Staatsfernsehen schaffen: Die Regierung Clinton, unter Druck von Menschenrechtlern und Kommunistenjägern im US-Kongress, fordert einen hohen Preis für die Zustimmung zur Aufnahme Chinas in das Welthandelssystem. Peking soll den Agrarsektor öffnen, aber eine Beschränkung des Exports von Textilwaren in die USA akzeptieren.

Dazu verlangen Clintons Handelspolitiker das Recht, Strafzölle gegen chinesische Billigprodukte zu verhängen, damit diese nicht den US-Markt überschwemmen. Außerdem soll China ausländische Investitionen in seinen Telekom- und Internetmarkt ermöglichen und Konzessionen bei Banken und Finanzdienstleistungen, Wertpapierhandel und dem audiovisuellen Sektor machen.

Im April wollte der chinesische Ministerpräsident Zhu die meisten der Forderungen aus Washington akzeptieren, wurde aber abgewiesen. Jetzt ist unklar, ob die Pekinger Führung das Angebot wiederholen wird, für das Zhu sich zu Hause derbe Vorwürfe einhandelte. In China befürchten viele den Ausverkauf an das Ausland, wenn die Märkte zu rasch geöffnet werden.

Unklar ist auch, wer auf chinesischer Seite überhaupt als ernsthafter Verhandlungspartner angesehen werden kann. Nach einem Bericht der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) wurde Zhu durch Jiang Zemin teilweise entmachtet. Jiang wiederum sei zwar der starke Mann in Staat und Partei, habe aber vermutlich keine eigene Strategie zur Liberalisierung der Wirtschaft und für den WTO-Beitritt.

Auf jeden Fall weiß Jiang um die Probleme im eigenen Land. Das lange Zeit rekordverdächtige Wirtschaftswachstum schwächt sich ab. Schon die angeblich 7,8 Prozent von 1998 - eine Zahl, der nur wenige externe Beobachter Glauben schenkten - waren das schlechteste Ergebnis der neunziger Jahre. Als Folge der Asien-Krise sinken inzwischen auch die Exporterlöse.

Anders als die Währungen der Nachbarländer ist der chinesische Renminbi ein Vorbild an Wertbeständigkeit. Kein Wunder: Der Wechselkurs wird nicht durch einen Devisenmarkt festgelegt, sondern durch die chinesische Zentralbank.

Während der Asien-Krise verzichtete China auf eine Abwertung, während in den Nachbarländern die Wechselkurse abstürzten. Enorme Devisenreserven der chinesischen Zentralbank machten die Verteidigung des Wechselkurses und die Profilierung Chinas als "Rettungsanker der Region" möglich. Dafür gab es viel Lob aus dem Westen - eine Abwertung hätte die Abwärtsspirale der asiatischen Währungen weiter beschleunigen können. Die Wirtschaftskrise in den ehemaligen Tiger-Staaten und die schwache Konjunktur in Japan hat zu einer geringeren Nachfrage nach chinesischen Produkten geführt, außerdem können die Konkurrenten aus den Nachbarländern nun ihre Produkte verbilligt auf den Weltmärkten anbieten. Chinas Exportindustrie wird ihrer Wettbewerbsfähigkeit beraubt.

Die Belohnung für das Festhalten am Renminbi-Wechselkurs sollte die Aufnahme in die WTO sein, so dachte man sich das in Peking. Dies wäre nicht nur der vorläufige Höhepunkt von 20 Jahren wirtschaftlicher Reformpolitik. Japan würde als Führungsmacht in Asien weiter an Bedeutung verlieren.

Im Westen hat man aber noch Probleme mit den Verhältnissen in China: Nicht nur mit autoritärer Politik und zu schwachen Zugeständnissen bei der Marktöffnung, sondern auch mit fehlender Rechtssicherheit für ausländische Geschäftemacher. Viele von ihnen bereuen mittlerweile ihren Ausflug ins Reich der aufgehenden Sonne. Erstmals seit 1989 werden die ausländischen Direkt-Investitionen nach China wohl zurückgehen.

"Betrug, Übervorteilung, ausbleibende Gewinne und behördliche Schikanen" beklagt die NZZ. So hatte man sich die Eroberung neuer Märkte nicht vorgestellt. Die DaimlerChrysler AG etwa hat 30 Milliarden Dollar in ein Lkw-Joint-Venture investiert, ohne dass die Produktion je in Gang gekommen wäre: Die Versprechung der chinesischen Partner, die notwendigen Genehmigungen beizubringen, erwies sich als unerfüllbar. Das Projekt ist gestorben, selbst die Abwicklung wird von den chinesischen Behörden noch behindert.

Als WTO-Mitglied wäre China den Regeln des Internationalen Handelsrechts verpflichtet und müsste die WTO-Schiedsgerichtsbarkeit anerkennen. Allein Chinas Größe und die zunehmende Bedeutung als Handelspartner machen die Aufnahme auch aus Sicht der WTO nötig. Als Anwälte für Demokratie, Menschenrechte oder Umweltschutz haben sich die Genfer Handelsadvokaten allerdings bisher nicht gerade ausgezeichnet. In der Millenniumsrunde soll - vielleicht - über derartige Themen gesprochen werden. Am wahrscheinlichsten ist jedoch, dass die WTO erst einmal das bleibt, was sie ist: eine Organisation zur Durchsetzung von Zollsenkungen und Handelsliberalisierung.