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Gefährliche Orte LXXX: Die Kriminalpolizei findet es scheiße und der Schutzpolizei macht es zuviel Arbeit - das Berliner Modell.

Berlin soll sicherer werden. Hier arbeiten und wohnen mittlerweile die Vips der Bundesrepublik. Und die Weltöffentlichkeit schaut ab und zu auch mal in der aufstrebenden Metropole vorbei. So eine Stadt muss man im Griff haben.

Doch wo kommt sie her, die Sicherheit? Und wer soll sich überhaupt sicher fühlen? In erster Linie der Bürger. Und wann fühlt sich der Bürger sicher? In erster Linie, wenn er nicht nur weiß, dass es die Polizei gibt, sondern wenn er sie auch sieht. Und wenn er ihr vertrauen kann.

Die Polizei dagegen kann das begehrte Sicherheitsgefühl nur schaffen, wenn sie viele rechtliche Freiheiten hat und ihren Job auch wirklich gerne tut - sich also gefordert fühlt und durch Erfolgsmomente Befriedigung in der Ausübung der Tätigkeit erhält. Weil das so ist, und weil man in diesem Land Polizei und Bürger gleichermaßen ernst nimmt, gibt es das so genannte Berliner Modell. Ziel des Modells, das seit Februar 1998 in der Direktion 5 (Kreuzberg, Neukölln) und seit Dienstag vergangener Woche auch in der Direktion 4 (Schöneberg, Steglitz, Tempelhof, Zehlendorf) getestet wird, ist eine "effizientere" Polizei - und mehr Präsenz auf der Straße.

Das funktioniert so: Die Schutzpolizei (Schupo) muss künftig mehr machen. Bisher eine Art Hilfsbulle, der Anzeigen aufnimmt, um sie dann an die Kollegen der Kriminalpolizei (Kripo) weiterzugeben, den Verkehr regelt, vielleicht auch mal einen Ladendieb festnehmen darf und immer dann mit Blaulicht ausrückt, wenn der besorgte Bürger 110 wählt, um einen Wasserrohrbruch zu melden, soll jetzt ein richtiger Polizist aus dem Schupo werden, der selbst ermitteln kann. Spuren sichern, Fingerabdrücke nehmen, erkennungsdienstliche Behandlung, Verdächtige ausquetschen, Zeugen vorladen und tagelang am Schreibtisch sitzen und in den Akten blättern - das alles dürfen die Schupos nun selbst machen.

Auch wenn sie es noch gar nicht können. Bei einer internen Umfrage unter 327 Beamten der Direktion 5 fühlte sich ein Großteil der Testpolizisten überfordert. Arbeit am Computer sowie das Sammeln und Auswerten von Beweisen - oder von etwas, das ein Beweis sein könnte, ist eben nicht jedes Polizisten Sache. Die Schupos machen lieber, was sie gut können: Razzien auf U-Bahnhöfen zur Ermittlung von "Fahrgeldhinterziehern" und "illegalen" Ausländern beispielsweise. Das wirkt sich auch besser auf die Statistik aus: Bei solchen Delikten gibt es eine Aufklärungsquote von fast 100 Prozent, und dafür muss man noch nicht einmal besonders viel ermitteln. Und der Effekt nach außen stimmt auch, die Polizei zeigt Präsenz - und wer kein Schwarzfahrer oder Schwarzer ist, kann sich ganz besonders sicher fühlen.

Insgesamt also, findet der Personalratsvorsitzende der Direktion 5, Detlev Rieffenstahl, sei das Berliner Modell eine feine Sache für die Innere Sicherheit: "Die Dienstabläufe der Polizei werden gestrafft, der Dienst am Bürger intensiviert." Und der Erfolg stelle sich bereits ein: Die Aufklärungsquote ist in der Direktion 5 auf gleich hohem Niveau geblieben, obwohl nun über die Hälfte aller Ermittlungsverfahren von der Schupo bearbeitet werden und die Beamten nach eigener Meinung gar nicht so richtig vorbereitet sind. "Wenn die Kollegen routinierter sind", freut sich Rieffenstahl schon jetzt, werde es bestimmt noch besser.

Rieffenstahl und Karl-Heinz Drobmann, der Personalratsvorsitzende der Direktion 4, finden den Modellversuch vor allem wegen der seit langem geforderten Aufrüstung der Schupo prima - denn beide sind auch im Landesvorstand der Gewerkschaft der Polizei (GdP) aktiv und, dieser liegt die Sicherheit von Beamten und Bürgern besonders am Herzen. 6,5 Millionen Mark bewilligte der Berliner Senat allein der Direktion 4 in diesem Jahr: Für die Ausstattung neuer Arbeitsplätze, die Anschaffung von Computern, u.a. auch Laptops für die Streifenwagen, und die bauliche Modernisierung der Polizeiwachen. Wie gesagt soll sich ja nicht nur der Bürger sicherer, sondern der Schupo sich zugleich total zufrieden fühlen.

Bisher aber funktioniert das nicht. Die Polizeireform mittels Berliner Modell, bedeutet für die Beamten nämlich nicht nur neue Ausrüstung und die Aussicht auf den gehobenen Dienst (und damit auf bessere Bezahlung), sondern auch eine Flexibilisierung der Arbeitszeit. Stand der polizeiliche Dienstplan bisher meist schon für Monate und Jahre im voraus fest, werden die Schupos nun je nach Bedarf und Fähigkeit mal im Außendienst, mal zu gesonderten Einsatzgruppen und mal zur Schreibtischarbeit abgeordnet. Das sorgt für schlechte Laune bei den Schupos - ist also eigentlich gar nicht im Sinne des Modells.

Und statt der erhofften Sicherheit für die Hauptstadt haben nun selbst die Polizisten Angst: Vor allem zu den nun personell schwächer besetzten Nachtzeiten, so äußerten die Beamten der Direktion 5 bei der internen Umfrage, fürchten sie eine Gefährdung für Leib und Leben. Deswegen fordert der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) den Abbruch des Modellversuchs. Die Kriminaler hatten sich die Polizeireform zur Wappnung gegen die ach-so-schlimme Kriminalität ohnehin anders vorgestellt: als Stärkung, nicht als Schwächung der Kripo.

Schupos sollten nach den Vorstellungen der Kriminalbeamten zur Kripo wechseln, und dort eine vernünftige Ausbildung bekommen. Vor allem Kontaktbereichsbeamte, die wie Kommissare im gehobenen Dienst tätig sind, sollten wechseln. 70 Prozent der Kontaktbeamten könnten gar nicht sagen, was sie eigentlich den ganzen Tag über machen und wie sie zur Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung beitragen, urteilt der BDK-Landesvorsitzende Holger Bernsee. Für diesen Vorschlag aber fand sich im Abgeordnetenhaus keine Mehrheit, das Berliner Modell setzte sich durch - Sicherheit durch Polizeiarbeit soll in Berlin nun zu Lasten und nicht zu Gunsten der Kripo umgesetzt werden.

Warum auch nicht, findet Schupo und GdP-Funktionär Drobmann, denn seine Kollegen haben sich schließlich bewährt: "Die Schutzpolizei fährt 80 Prozent der operativen Einsätze, bei den Mobilen Einsatzkommandos und den Sonder-Einsatzkommandos stellt sie sogar 90 Prozent des Personals." Und trotzdem beanspruche die Kripo immer die Führungspositionen.

Mit der Bearbeitung von so genannter Kleinstkrimininalität aber muss die Kripo auch Beamte an die Schupo abgegeben. Und das gefällt - obwohl Konflikte zwischen den bisherigen Hilfsbullen und den gebildeten Kriminalbeamten, wie man sie aus dem Fernsehen kennt, immer bestritten werden - der Kripo ganz und gar nicht.

Vermutlich auch ein Grund dafür, dass die Schupos mit ihren vielen neuen Aufgaben noch gar nicht zurechtkommen. Denn die Einweisung erfolgte auf Schulungslehrgängen, abgehalten überwiegend von dazu abgeordneten Kriminalbeamten, die nicht unbedingt besonders motiviert waren, die Schupos in bisherige Aufgabenbereiche der Kripo einzuweisen. In der Praxis bedeutet das Berliner Modell also eher "Learning by doing", wie Personalrat Rieffenstahl zugibt.

Die Polizei ist schließlich nicht nur Exekutivorgan, sondern auch eine Behörde und damit entsprechend schwerfällig: In der Direktion 4 verzögerte sich der Versuchsbeginn um Monate, weil zunächst die für die Funkwagen vorgesehenen Laptops nicht kamen. Und als es sie endlich gab, fehlten die Haltevorrichtungen dafür. Die Software funktioniert übrigens auch nicht - zumindest nicht so, wie sie sollte. Die neuen Arbeitsplätze - 1 600 zusätzliche wurden in der Direktion 4 eingerichtet - hatten noch einige Zeit keinen Telefonanschluss, und wenn doch, dann fehlten die Telefone dafür.

Und in einem Revier gelang eine bauliche Meisterleistung: Weil es nach EU-Richtlinien an Arbeitsplätzen ausreichend Fluchtmöglichkeiten geben muss, dies aber nicht der Fall war, wurde nachträglich eine Fluchttür eingebaut. Nach dem Umbau aber stellten die Polizisten erstaunt fest, dass ihre neue Fluchttür sie direkt in die Gefangenen-Sammelstelle führte.