Weiterhin keine Entschädigung für NS-Zwangarbeiter

In eigenem Interesse

In der Verhandlung um die "freiwilligen Zahlungen" der deutschen Wirtschaft an ihre ehemaligen Arbeitssklaven, die in der vergangenen Woche in Bonn fortgesetzt wurde, legten Bundesregierung und Industrie einen neuen Vorschlag vor: Statt der bisher gebotenen sechs sollen es nun acht Milliarden Mark sein. Aus dieser Summe sollen alle Ansprüche, um die es in den Verhandlungen ging, abgegolten werden, also nicht nur die auf Zwangsarbeit, sondern ebenso die auf Enteignungen, Konten und Versicherungs-Policen.

Dieser Vorschlag sei das letzte Wort, bekräftigten Otto Graf Lambsdorff, FDP-Ehrenvorsitzender und Sonderbeauftragter der Bundesregierung, sowie Manfred Gentz, DaimlerChrysler-Vorstand und Verhandlungsführer der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft, übereinstimmend. Und dieser gelte auch nur dann, wenn endlich Schluss sei mit dem "Druck auf deutsche Unternehmen", so Lambsdorff in Anspielung auf die Anzeigenkampagne in US-amerikanischen Zeitungen. Die Bundesregierung übe jetzt den "Schulterschluss" mit den deutschen Unternehmen.

Das großzügige Angebot hat allerdings einen Haken: Die Stiftungsinitiative hat bislang nicht einmal die zuvor angebotenen vier Milliarden Mark aufgebracht. Gentz verlangte "mindestens drei bis vier Monate", um das Geld einzusammeln - schließlich handele es sich hier um eine "freiwillige Initiative", die nicht auf Druck der Opfer zu Stande gekommen sei.

Nebenbei erledigte sich das Hauptproblem der deutschen Unternehmen: Die angestrebte "legal closure", der juristische Schluss-Strich oder, wie Gentz sagt, die "Rechtssicherheit" soll für alle Tatbestände und für alle Unternehmen gelten, auch für die Verbrechen, über die gar nicht verhandelt wird, auch für die Unternehmen, die nicht zahlen. In den Verhandlungen zwischen Lambsdorff und dem US-Staatssekretär Stuart Eizenstat haben sich die Deutschen durchgesetzt: Die US-Regierung gibt ein "statement of interest" ab, das juristische Schritte gegen deutsche Firmen in den USA verhindert. Weil es sich hier um eine zwischenstaatliche Regelung handelt, waren die Vertreter der Opfer nicht gefragt. Deswegen spricht die deutsche Seite von einem "Fortschritt".

Lambsdorff, der auf die Frage, warum die Zwangsarbeiter in der deutschen Landwirtschaft kein Geld bekommen sollten, antwortete, "zu allen Zeiten" sei "die Beschäftigung von Ostarbeitern (...) eine natürliche historische Erscheinung" gewesen, ging nach dem Verhandlungserfolg noch einen Schritt weiter: Auf der Pressekonferenz regte er einen juristischen Schluss-Strich auch für Deutschland an. Dass auch der Anwalt Michael Witti nach den Verhandlungen kleinlaut von einer "Annäherung" sprach, lässt Böses ahnen: Die Sammelklagen könnten durch das "statement of interest" auch ohne eine Einigung verhindert werden, womit ein wichtiges Druckmittel verloren ginge.

Ob Aufrufe zur Solidarität - wie die Aufforderung des Neuen Deutschland an seine Leser, am Tage der Verhandlungen weiße Taschentücher sichtbar zu tragen, oder das von Petra Lidschreiber in den ARD-Tagesthemen vorgeschlagene Boykott der Produkte jener Firmen, die nicht zahlen wollen - jetzt noch etwas fruchten, bleibt fraglich, so berechtigt das Anliegen auch ist.

Nachdem alle anderen Versuche, Druck auszuüben, gescheitert sind, kann es jedenfalls nicht schaden, auf Bahlsen-Kekse zu verzichten, nicht mehr mit D2-Mannesmann zu telefonieren - jedenfalls bis zu einer geglückten Übernahme durch Vodafone -, statt Aspirin andere Pillen einzuwerfen oder einen Kodak- statt einen Agfa-Film einzulegen, und öffentlich dafür zu werben.