Craxi auf dem roten Teppich

Die italienische Regierung will die korrupte politische Klasse der ersten Republik rehabilitieren.

Ein kalter Wind lässt im November auch im tunesischen Hammamet die Zähne klappern. Doch die unfreiwilligen fünfjährigen Ferien, die Bettino Craxi in dem tunesischen Badeort verbracht hat, könnten schon bald zu Ende gehen. Zu Hause wird die Rückkehr des zweimaligen italienischen Ministerpräsidenten bereits vorbereitet. Mitte November setzte ein Mailänder Gericht einen Teil der Haftstrafe - insgesamt 20 Jahre - aus, zu der Craxi verurteilt ist. Sollten auch zwei weitere Korruptionsverfahren, bei denen insgesamt zehn Gefängnisjahre angedroht sind, aufgehoben werden, droht ihm in Italien nur noch der Hausarrest.

Das Urteil wurde mit Craxis gesundheitlichem Zustand begründet - Ende Oktober hatte der Vorsitzende der aufgelösten Sozialistischen Partei (PSI) einen Herzanfall erlitten und hofft nun auf eine Bypass-Operation in Italien. Tatsächlich hat sich der ehemalige Ministerpräsident nie mit seinem Schicksal abgefunden, sondern immer als Opfer eines Komplotts gesehen. Und wie um ihm Recht zu geben, hat sich keine italienische Regierung seit seiner Flucht 1994 ernsthaft um eine Auslieferung aus Tunesien bemüht.

Den roten Teppich rollt für ihn nun sogar Ministerpräsident Massimo D'Alema aus. Der Ex-Kommunist hatte vor zwei Wochen für Schlagzeilen gesorgt, als er die in Mafia- und Korruptionsaffären verstrickten Politiker der siebziger und achtziger Jahre zu rehabilitieren versuchte: "Wir müssen begreifen, dass die Geschichte der Christdemokraten und der Sozialistischen Partei in Italien mehr ist als nur eine lange Vorbereitung von Tangentopoli", erklärte er.

D'Alema traf mit seiner Äußerung auf verblüffend wenig Widerspruch. Selbst der Chef der Rifondazione Communista, Fausto Bertinotti, sprach sich kurz darauf in einem Interview mit il manifesto für eine Begnadigung des schwer kranken Politikers aus. Doch ausgerechnet Craxi kritisiert die derzeitige Stimmung im Land: "Mich stößt die Vorstellung ab, dass wir jetzt alle 'ex' sein sollen: Ex-Kommunisten, Ex-Christdemokraten und Ex-tangentisti (korrupte Politiker)." Aus und vorbei, Schwamm drüber?

Nicht lange ist es her, dass auch ein anderer einflussreicher Politiker aus der ersten Republik der Haft entkommen ist: Dem ehemaligen Christdemokraten Giulio Andreotti konnten seine Mafiaverbindungen und Verantwortlichkeiten im Zusammenhang mit dem Mord an dem Journalisten Carmine Pecorelli von 1979 nicht ausreichend nachgewiesen werden. Nach seinem Freispruch Ende Oktober wurde Andreotti gefeiert, die Staatsanwaltschaft dagegen mit Vorwürfen wegen ihrer Methoden überschüttet.

Das war nicht immer so. Anfang der neunziger Jahre rollte ein Pool engagierter Staatsanwälte die gesamte Korruptionskultur in der italienischen Politik auf. Den mani pulite gelang es, die Verstrickung von Mafia, Wirtschaft und Politik in ihrer ganzen Weite aufzudecken. Eine Welle von immer neuen Verhaftungen und Selbstmorden unter Politikern und Unternehmern schwappte ab 1992 über Italien. Die beiden großen Parteien, Christdemokraten (DC) und Sozialisten (PSI), lösten sich schließlich auf. Die politische Klasse stürzte in eine tiefe Krise. Für einen Moment schien die Judikative die Exekutive zu überlagern. Die Staatsanwälte waren die neuen Stars.

Doch nach dem Großputz am Anfang der Neunziger ist von der Aufbruchstimmung mittlerweile nicht mehr viel zu merken. Die Tageszeitung La Repubblica spricht bereits von einer "restaurazione" im Land. Was ist geschehen?

Vor allem die komplizierte italienische Rechtspraxis bremste den Erfolg der Mani pulite: Extrem langwierige und undurchsichtige Verfahren haben für Verdrossenheit gesorgt. Zudem sind von den ursprünglich wegen Korruption angeklagten Personen nur sehr wenige auch verurteilt worden. Lediglich die kleinen Fische gingen den Ermittlern ins Netz.

Immer stärker geriet auch die Kronzeugenregelung in die Kritik. Viele der Anklagen gegen Politiker waren nur durch die Aussagen "reuiger" Mafiosi möglich. Im Mordfall Pecorelli war das Anklagengerüst gegen Andreotti fast nur auf den Anschuldigungen solcher "pentiti" gebaut. Seinen Freispruch wegen fehlender Beweise nutzt Andreotti nun, um diese Praxis zu verurteilen und reihenweise die Zeugen anzuzeigen, die gegen ihn ausgesagt haben. Ein anderer engagierter Kritiker der Kronzeugenregelung ist Silvio Berlusconi. Seine Kritik ist nicht ohne Eigennutz: Gegen den Chef der Forza Italia läuft immer noch eine Reihe von Prozessen.

Die Tageszeitung il manifesto diagnostizierte vorvergangene Woche, die Mailänder Staatsanwälte seien "müde und gleichgültig" geworden. Einer von ihnen, der legendäre Korruptionsermittler Antonio Di Pietro, ist inzwischen konsequenterweise in die Politik gewechselt. Dort setzt er sich weiterhin für die "Anwendung des Gleichheitsgrundsatzes auch für Politiker" ein. Dem italienischen Regierungschef D'Alema wirft er eine deutlich sichtbare "Christdemokratisierung" vor. Denn ihm scheint es vor allem um die Regierungsfähigkeit seiner Koalition zu gehen, die von einer Krise in die nächste stolpert.

Das Mitte-Links-Regierungsbündnis besteht aus einer Vielzahl kleiner Parteien und Splitterparteien. Dazu gehören auch die aus der DC hervorgegangene Volkspartei PPI und die Demokratische Union (UDR) des ehemaligen Christdemokraten Francesco Cossiga. Mit seinem Vorstoß in Richtung einer Amnestie der alten Garde vermeidet D'Alema vorsorglich neue Auseinandersetzungen mit seinen konservativen Koalitionspartnern.

Auch die römische KGB-Affäre im Oktober ist noch nicht vergessen. Die Veröffentlichung der Mitrochin-Akten bot Cossiga eine willkommene Möglichkeit, am Ruf linker Politiker zu kratzen: Er forderte einen Untersuchungsausschuss, um die Zusammenarbeit der Kommunistischen Partei mit der Sowjetunion aufzuklären. Eine Rehabilitierung der ehemaligen DC- und PSI-Politiker könnte sich auch für die ehemaligen Kommunisten lohnen.

Wie D'Alema erklärt: Ein Umdenken im Umgang mit den Regierungsparteien der ersten Republik sei nötig, damit der italienische Kommunismus nicht länger "als eine schlaue Variante des Stalinismus" interpretiert wird.