Entscheidungen im grünen Raum

Das Multilaterale Investitionsabkommen (MAI) scheiterte vergangenes Jahr - auch wegen der weltweiten Proteste. Jetzt will die WTO das Thema in ihrer Millennium-Runde behandeln.

Wohlstand, Jobs und Überfluss: Als hätte es die Asienkrise nie gegeben, werden im herrschenden Diskurs private Investitionen als Allheilmittel für die Weltwirtschaft und insbesondere für die Probleme der "Entwicklungsländer" dargestellt. Liberalisierung und Deregulierung mittels eines multilateralen Investitionsabkommens sollen nach neoliberaler Theorie zu erhöhten Investitionen führen - und damit zu mehr Wachstum und Wohlstand.

Die Probleme fangen dabei schon mit der Begriffsbestimmung an: Einer der großen Kritikpunkte an dem gescheiterten MAI-Entwurf war, dass dort neben ausländischen Direktinvestitionen (Foreign Direct Investment, FDI) Wertpapiere, geistige Eigentumsrechte und explizit auch rein spekulative Finanztransaktionen als "Investitionen" abgesichert werden sollten.

Aber auch die seit Jahren rasant zunehmenden FDI erscheinen bei genauerem Hinsehen in ökonomischer wie entwicklungspolitischer Hinsicht mehr als zweifelhaft: Zwar werden sie meistens mit der "klassischen" Variante von Auslandsinvestitionen in Verbindung gebracht: Ein Unternehmen verlagert seine Produktion ins Ausland, gründet eine Niederlassung oder erschließt Rohstoffvorkommen, schafft damit Arbeitsplätze und erhöht die reale Wirtschaftsleistung. Solche Aktivitäten - so genannte greenfield investments - machen jedoch nur einen geringen Teil der FDI aus. Deren überwiegender Teil (1998 waren es 85 Prozent) besteht aus Firmenzusammenschlüssen und Übernahmen, also schlicht aus Änderungen der Besitzverhältnisse.

Für Entwicklungsländer heißt das: Ausländische Konzerne sichern sich den Zugriff auf lokale Märkte, örtliche Vertriebsstrukturen und Netzwerke, zerstören dabei oft eigenständige Entwicklungspotenziale und entziehen dem Land durch Gewinntransfer Devisen. So betrachten viele Entwicklungsländer die Liberalisierung von Investitionsströmen als kontraproduktiv, da diese eine politische Prioritätensetzung - wie z.B. die Entwicklung bestimmter Regionen oder die Reinvestition von Gewinnen - unmöglich macht. Gleichzeitig wächst die Konkurrenz um das ausländische Kapital. Dies steigert den Zwang, Investitionsanreize mehr und mehr zu erhöhen und "investitionsfeindliche" (Umwelt- und Sozial-) Standards immer weiter abzusenken.

Das Interesse der Industrieländer an der Liberalisierung von Investitionsströmen ist offensichtlich: Es geht um Marktanteile, Währungskonkurrenz und Standortvorteile im globalen Wettbewerb. Seit Ende der achtziger Jahre verfolgen sie gemeinsam mit ihrer Wirtschaftslobby das Ziel, ein "Gatt für Investitionen" gegen den Widerstand der meisten Entwicklungsländer durchzusetzen.

Darauf wurde parallel in Gatt/WTO und der OECD hingearbeitet. Auf der WTO-Ministerkonferenz in Singapur 1996 gelang es schließlich Vertretern von EU, USA und Japan, eine "Arbeitsgruppe über Handel und Investitionen" (WGTI) ins Leben zu rufen. Dort kam es von Anfang an zum Konflikt zwischen den Industrie- und einigen Schwellenländern, die dieses Forum nutzen wollten, um Verhandlungen zu forcieren, und den Entwicklungsländern, die vehement auf der Eigenschaft der WGTI als reiner Studiengruppe beharrten.

Besonders Ägypten, Tansania, Indien, Pakistan und die Asean-Staaten sahen ihre Forderung, den Einfluss von Investitionsfreiheit auf die Interessen der Entwicklungsländer zu untersuchen, von einer starken Liberalisierungslobby aus Industrieländern, WTO-Sekretariat, UNCTAD und Weltbank blockiert.

Obwohl es gelang, die Instrumentalisierung der WGTI als Forum für Vorverhandlungen zu verhindern, kann für die zur Zeit stattfindende WTO-Konferenz in Seattle keinesfalls Entwarnung gegeben werden. Denn auch wenn feststeht, dass das Investitionsthema nur bei Konsens aller WTO-Mitgliedsländer auf die Agenda kommt, ist es erfahrungsgemäß nur eine Frage der Zeit, bis aus einer Arbeitsgruppe ein Verhandlungsmandat entsteht.

Zudem heißt "Konsens" bei Gatt / WTO, dass die große Mehrheit der Betroffenen an den informellen Entscheidungsfindungsprozessen gar nicht erst beteiligt wird, sondern über Gesamtpakete, die zwischen den großen Handelsmächten in so genannten green-room meetings ausgekungelt werden, abstimmen darf.

Ein Investitionsabkommen steht nicht nur weit oben auf der Wunschliste der mächtigsten Industrielobbies, auch die Europäische Kommission setzt ihr ganzes Gewicht für eine Aufnahme dieses Themas in der Millennium-Runde ein.

Obwohl der Öffentlichkeit gegenüber immer wieder betont wird, es gebe keine Versuche, das MAI in der WTO wieder zu beleben, lassen sich aus internen Papieren von EU und Business-Lobby gegenteilige Schlüsse ziehen.

Dies ist besonders interessant, da seit dem wachsenden Widerstand gegen die WTO und nicht zuletzt als Reaktion auf die erfolgreiche Anti-MAI-Kampagne von der Politik auf allen Ebenen Demokratie, Transparenz und die Einbindung der so genannten Zivilgesellschaft beschworen wird. Der im folgenden skizzierte Dialogverlauf dürfte exemplarisch dafür stehen, was von solchen Versicherungen zu halten ist.

Seit August 1998 fanden mehrere Treffen zwischen dem für Außenhandel und WTO zuständigen General-Direktorat Eins der EU (DG1) und betroffenen "Nichtregierungsorganisationen" statt, was nach der Definition der EU mehrheitlich Wirtschaftsvertreter sind. Dieses zweifelhafte Forum, in dem Informationen nur sehr selektiv flossen, verlor endgültig seine Glaubwürdigkeit, als zu Jahresbeginn der Amsterdamer Gruppe Corporate Europe Observatory (CEO) ein internes DG1-Papier über Handel und Investitionen zugespielt wurde. Datiert vom 15. Dezember 1998, hat es außer dem Namen mit dem offiziellen Papier, auf dessen Grundlage beim Dialog-Treffen im Januar diskutiert wurde, nichts gemein.

Während das öffentliche Diskussionspapier sich seitenlang in schönen Formulierungen zur Vereinbarkeit von Investitionsfreiheit und nachhaltiger Entwicklung ergeht, ist das interne Dokument eine einzige Reverenz vor den Interessen der europäischen Wirtschaft ("our companies"), die "Konflikthaftigkeit" des Themas findet in gerade vier Zeilen Platz. Dafür werden die am MAI scharf kritisierten Punkte als "Elemente eines idealen Ergebnisses" der WTO-Verhandlungen vollständig aufgezählt - beim offiziellen Papier wurden die entsprechenden Paragrafen einfach weggelassen.

Die oberste Priorität der EU-Kommission ist, das Thema Investitionen explizit in der WTO zu verankern. Daher sieht sie, neben einem umfassenden, MAI-ähnlichen Vertragswerk, als weitere Option die Aufnahme eines Kernabkommens ins WTO-Regelwerk vor (Patchworkansatz).

Dies macht deutlich, wie vorgeschoben das Motiv "klare und einheitliche Regeln für Investoren" ist. Das Hauptinteresse liegt vielmehr darin, multilaterale Regeln in einem Rahmen zu etablieren, der über effektive Instrumente zur Durchsetzung von Ansprüchen und Klärung von Streitfällen verfügt. Die Kommission fordert sogar explizit, dass Investoren, also in aller Regel transnationalen Konzernen, das Recht eingeräumt werden muss, gegen Staaten zu klagen.

Das gemeinsame Seattle-Strategie-Papier der Quadriga (EU, Japan, Kanada, USA) vom Mai dieses Jahres bleibt zu der Aufnahme von Investitionsverhandlungen sehr unkonkret. Während Japan und die Schweiz mittlerweile voll auf EU-Kurs eingeschwenkt sind, ist die Haltung der USA zum Thema Investitionen uneindeutig. Die EU selbst bezeichnete diese als "im besten Fall gleichgültig".

In den letzten Wochen hat sich die Haltung der USA sogar bis hin zur offenen Ablehnung verschoben. Dabei spielen zwei Punkte eine wichtige Rolle: Der erste ist, dass die USA auch wegen ihrer Machtposition ein solches Abkommen für verzichtbar halten. Wichtige Investitionsbereiche sind in der WTO sowieso anderweitig geregelt, so die Etablierung von Niederlassungen im Dienstleistungsbereich durch das Gats, geistige Eigentumsrechte im Trips- sowie handelsbezogene Investitionen in Trims-Abkommen. Zusätzlich soll in der Millennium-Runde die öffentliche Auftragsvergabe liberalisiert werden.

Der zweite, wahrscheinlich wichtigere Punkt ist das taktische Vorgehen der Supermächte bei der Gesamtrunde: Die USA wollen die EU zu Zugeständnissen vor allem im Landwirtschaftsbereich zwingen, weshalb es Sinn macht, demonstratives Desinteresse an einem Punkt zu zeigen, der für die EU hohe Priorität hat. Umgekehrt pokert natürlich auch die EU, um sich unvermeidliche Kompromisse im Agrarbereich möglichst teuer bezahlen zu lassen.

Das Szenario erinnert an das Vorfeld der Uruguay-Runde: Bei zentralen Themen - allen voran dem Agrarbereich - ist kein Kompromiss in Sicht, die Erklärung sowie die Agenda für die Millennium-Runde sind vorläufige und höchst umstrittene Texte, die mit jeder Sitzung länger statt kürzer zu werden scheinen. Die Verhandlungen laufen längst nicht mehr im General Council, dem Parlament der WTO, sondern in Marathon-Sitzungen weniger Delegierter in Hinterzimmern, wobei sowohl Zusammensetzung als auch Themenauswahl ein realistisches Bild des Machtgefüges innerhalb der WTO geben: VertreterInnen oder Themen von Entwicklungsländern kommen hier schlicht nicht vor.

Die Zukunft des MAI in der WTO dürfte also hauptsächlich von der Kompromissfindung zwischen EU und USA im Agrarstreit abhängen. Sollten die Quadriga-Mächte in Seattle auf Aufnahme von Investitionsverhandlungen drängen, dann werden sie diese auch durchsetzen. Was das heißt, fasst Martin Khor, der Direktor des Third World Network in Penang, Malaysia, in einem Satz zusammen: "Das einzige, was schlimmer ist als das MAI in der OECD, ist das MAI in der WTO".