Mit der Jacht zum Boom

Mit der Vereinbarung über den Bau der Baku-Ceyhan-Pipeline gelang den USA ein geostrategischer Coup - gegen Russland.

Die Entscheidung fiel auf einer türkischen Staatsjacht: Auf der Fahri Gurtürk waren vorletztes Wochenende am Rande des Istanbuler OSZE-Gipfels die Staatschefs der Türkei, Georgiens und Aserbaidschans zusammengekommen. Sie unterzeichneten ein Abkommen, das in russischen Regierungskreisen für Nervosität gesorgt haben dürfte - besiegelt wurde der Bau der Baku-Ceyhan-Pipeline. Und auf Russlands politische und wirtschaftliche Elite dürfte es wie eine gezielte Provokation gewirkt haben, als auch noch ein lächelnder Bill Clinton seine Unterschrift unter das Dokument setzte.

Schließlich geht es hier um mehr als ein politisches Zeichen: Nach der Vereinbarung sollen ab dem Jahr 2007 durch eine 2 000 Kilometer lange Pipeline, die von der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku über Georgien bis zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan führt, jährlich 30 bis 60 Millionen Tonnen Öl fließen. Gefördert wird das Öl aus dem Schelf des Kaspischen Meers von der AIOC (Azerbaijan International Operating Company) - einem Zusammenschluss von elf internationalen Unternehmen unter der Führung von BP-Amoco. Die Kosten wurden bisher auf rund 2,7 Milliarden Dollar geschätzt. Dass dies zu wenig sein könnte, weiß selbst die Führungsriege des Konsortiums, die von einem knapp bemessenen Betrag sprach. Nach einer Studie der AOIC sind Kosten von 3,7 Milliarden Dollar nicht auszuschließen.

Russland könnte das nur recht sein. Nur kurze Zeit nach dem Abschluss des Vertrags kritisierte die russische Nachrichtenagentur Interfax Washingtons Großmachtpolitik. Bewusst wolle man bei einer grundsätzlichen Neuordnung der krisengeplagten Kaukasus-Region Russland elegant umgehen, lautete der Vorwurf gegen die USA. Bis zuletzt hatte der Kreml für Alternativen plädiert. So bot man an, eine Pipeline, die von Baku über Tschetschenien bis zum russischen Schwarzmeerhafen Noworossijsk führt, auszubauen. Bereits 1997 war mit dem Bau einer Pipeline über Dagestan begonnen worden.

Moskaus Hoffnungen auf Petrodollars scheinen sich zu zerschlagen. Vor allem wegen Russlands Tschetschenien-Politik bevorzugen die meisten Energie-Unternehmen die georgisch-türkische Variante. Fast wehmütig blickt man in Moskau auf vergangene Zeiten zurück, schließlich gehörte die Sowjetunion vor ihrem Zerfall zu den weltweit größten Erdölproduzenten - dank der sibirischen Ölvorkommen, die relativ leicht zu erschließen waren.

Heute jedoch, schreibt z.B. das Kölner Institut der deutschen Wirtschaft, seien die nutzbaren Energiequellen in Sibirien weitgehend erschöpft. Investitionen für Neuerschließungen im Nordosten Russlands schätzt das Institut auf rund 550 Milliarden Dollar. Zu lange habe sich Moskau auf die Erschließung Sibiriens konzentriert und den Kaukasus vernachlässigt.

Mit dem Baku-Ceyhan-Projekt haben dort jetzt andere die Initiative übernommen. Neben Georgien, Aserbaidschan und der Türkei werden künftig auch Kasachstan und Turkmenistan die geplante Trasse für den Ölexport in den Westen nutzen. Der kasachische Präsident Nursultan Nasarbajew und sein turkmenischer Amtskollege Sapurmurat Nijasow haben dem Vorhaben bereits ihre volle politische Unterstützung zugesagt. Die Erweiterung der rund 1 500 Kilometer langen Pipeline von Kasachstan nach Noworossijsk dürfte sich damit für Russland erledigt haben.

Was sich im Schatten des Istanbuler OSZE-Gipfels zugetragen hat, kann als bedeutender geopolitischer Schritt der USA gelten. Schon im Vorfeld der Einigung sprach es Marc Grossman, stellvertretender US-Staatssekretär für europäische Angelegenheiten, offen aus: "Kooperationen rund um die Energievorkommen im kaspischen Raum sind für uns von höchster Bedeutung. Sie bedeuten, dass kein einzelnes Land, wie der Iran oder Russland, ein Monopol auf diese Ressourcen hat. Für wirtschaftlichen Aufschwung in der Region wäre gesorgt und die zentralasiatischen Staaten würden näher an den Westen rücken."

Vom Schwarzen Meer bis zum Hindukusch reicht die Region, in der man auf riesige Rohstoffvorkommen stoßen will. So soll die Abhängigkeit von der Opec und dem Nahen Osten reduziert werden - obwohl auch der Kaukasus eine Krisenregion ist. Der frühere Sicherheitsberater des US-Präsidenten Jimmy Carter, Zbigniew Brzezinski, geht noch ein Stück weiter und bezeichnet den Kaukasus gar als "eurasischen Balkan". Seiner Meinung nach ist er ein mögliches Schlachtfeld der Zukunft.

Vor Ort sind die Hoffnungen auf einen schnellen Ölboom gedämpfter. So glaubt man im aserbaidschanischen Baku kaum noch daran, an einstige Glanzzeiten anknüpfen zu können. Im späten 19. Jahrhundert stammten fast 50 Prozent der weltweiten Ölproduktion aus dieser Region. Das sieht man der Stadt bis heute an. Villen und Bürgerhäuser der Jahrhundertwende säumen die Straßen und erinnern an westliche Investoren wie das Bankhaus Rothschild und die Gebrüder Nobel.

Nach der Unabhängigkeit bezogen die westlichen Ölmultis rasch Quartier im Hoffnungsmarkt der Zukunft. Doch die anfängliche Goldgräberstimmung in der Region wird seit Anfang dieses Jahres schwächer: Denn seither wird deutlich, dass die Ölvorräte bei weitem nicht an jene der Golfregion heranreichen. So sind beispielsweise die nachgewiesenen Reserven Aserbaidschans mit bis zu 13 Milliarden Barrel beziffert - was den Schätzungen für Norwegen entspricht. Hinzu kommen der rasante Fall des Ölpreises - allein 1998 um nahezu 40 Prozent -, Korruption, Vetternwirtschaft und eine veraltete Bürokratie, in der ohne Schmiergeld nichts geht.

Ebenso konnten die bisherigen Bohrungen die großen Konzerne nicht sonderlich ermutigen. So scheint bereits ein stilles Abwandern der Investoren begonnen zu haben. Anfang dieses Jahres zog sich ein Konsortium um das US-Unternehmen Pennzoil nach drei vereinbarten Bohrungen enttäuscht zurück. Der Grund: Weder Öl noch Gas wurde in einem kommerziell verwertbaren Ausmaß gefunden. Die Hoffnungen der Branche konzentrieren sich nun auf das Off-Shore-Feld von Schah Denis in der Nähe von Baku.

Ein weiterer Grund, am Ball zu bleiben, ist die Tatsache, dass weite Gebiete des Kaspischen Meers bis jetzt noch unerforscht sind. Äußerst optimistische Schätzungen sprechen von Kapazitäten bis zu 200 Milliarden Barrel. Auch der gegenwärtige Anstieg des Rohölpreises auf 25 Dollar pro Barrel lässt die Vorstände der Energiekonzerne wieder entspannter werden.

Aber auch nach der Einigung für den Bau der Baku-Ceyhan-Pipeline stellt sich die Frage nach sicheren Transport-Routen für gefundene Rohstoffe Richtung Westen. Die unterschiedlichen politischen und militärischen Krisen in den Staaten und noch mehr in den Möchtegern-Staaten des Kaukasus prägen die Diskussion um Pipeline-Verläufe und Alternativen.

So überlebte Georgiens Staatspräsident Eduard Schewardnadse im Februar letzten Jahres nur knapp einen Granatenangriff. Als möglichen Hintergrund für das Attentat nannte er den geplanten Transport des kaspischen Erdöls durch Georgien und verwies auf die Interessen Russlands im Erdölpoker.

Nicht zuletzt wegen des russischen Tschetschenien-Krieges wurden nun die Verhandlungen zur Baku-Ceyhan-Pipeline beschleunigt und eine Vereinbarung über den Neubau einer Gasleitung getroffen: Turkmenisches Gas soll über den Boden des Kaspischen Meers, durch Aserbaidschan und Georgien bis ins türkische Ezerum geleitet werden.

Vorbei wäre es dann wohl mit der Auslastung der 1 100 Kilometer langen russischen Gaspipeline zum türkischen Schwarzmeerhafen Samsun. Obwohl sie bereits 2001 ans Netz gehen soll, ist das Projekt nun in Frage gestellt. Istanbul ist jetzt gefordert, sich für eines der beiden Projekte zu entscheiden, da so viel Gas wie über beide Pipelines geliefert würde, weder für die Türkei noch für Südeuropa benötigt wird.

Da die Ezerum-Variante nach Medienberichten der letzten Wochen bereits als beschlossene Sache gilt, hat der Istanbuler OSZE-Gipfel somit deutlich vor Augen geführt: Der geopolitische Verlierer im Kaukasus heißt Russland.