Prime Time für Holzmänner

Ob der Frankfurter Bauriese überleben wird, weiß niemand. Eines aber ist sicher: Das Unternehmen Deutschland kann nach Schröders Intervention für die Holzmann AG einen vorläufiger Sieg verbuchen.

Spot an! Silbergrau leuchten die Monumente der Macht in der Frankfurter City. Bedrohlich ragen die Türme in den Nachthimmel. Die Skyline der Main-Metropole: Deutsche Bank, Commerzbank, Dresdener Bank. Dort, ganz oben, sitzen "sie". "Sie", die das große Geld zusammengerafft haben, "sie", von denen angeblich alles abhängt. Kameraschwenk. Runter, raus auf die Straße! Hier stehen "wir": Proleten, Gewerkschafter, Sozialdemokraten, auch Unternehmer. "Wir" haben es geschafft, sagt einer auf der Bühne, den alle nur noch "Gerhard" nennen. Jetzt liegt eine Menge Arbeit vor "uns".

Unter den etwa 1 000 Holzmännern, die am Mittwoch vergangener Woche nach Frankfurt gereist sind, kommt Freude auf. Noch wenige Stunden vorher hatte man befürchtet, dass sich die Manager der führenden deutschen Geldinstitute doch als vaterlandslose Gesellen outen könnten. Nun aber haben die Banken "ihre gesamtwirtschaftliche, ihre soziale Verantwortung angenommen", ruft Gerhard, der Kanzler. Die Kredite für die angeschlagene Philipp Holzmann AG werden doch herausgerückt. Das Proletariat dankt zurück: "Um 21Uhr 45 sangen sie das Deutschlandlied", schreibt am nächsten Tag die Bild. Ein Sieg für das Unternehmen Deutschland. Unweit vom Main wurde erfolgreich ein Schlacht für den Rheinischen Kapitalismus ausgefochten.

Freilich wusste jeder, der eins und eins zusammenzählen kann, dass die von der Bundesregierung zugesagten 250 Millionen Mark Unterstützung angesichts der für die Rettung des Bauriesen notwendigen 4,3 Milliarden nur symbolischen Charakter hatten. Symbolik aber bestimmte die gesamte Aktion: Ein "schlüssiges Sanierungskonzept" lag nach Worten des Commerzbank-Chefs Hans-Peter Müller auch am Freitag noch nicht vor. Hatte jemand etwas anderes erwartet? Nein.

Ebenso konnte jeder wissen, dass man den drohenden Konkurs kaum dem Finanzkapital anlasten kann. Hatte doch beispielsweise die vorab besonders geschmähte Commerzbank nichts anderes getan, als aufs bessere Pferd zu setzen. Das macht nun mal kapitalistisches Wirtschaften aus. Jeder kluge Rechner, der seine Aktien hauptsächlich bei der erfolgreichen Konkurrenz, der Hochtief AG, liegen hat, hätte dem maroden Betrieb den Kredit verweigert. Im Faschismus groß geworden mit dem Bau von Reichsbahnen und Konzentrationslagern, haben sich die Frankfurter Unternehmer schlicht, wie viele ihrer kleinen Konkurrenten, beim "Aufbau Ost" verspekuliert. Dazu kamen schlechte Immobiliengeschäfte und Investitionen in den asiatischen Tigerstaaten, die nach der dortigen Finanzkrise flöten gegangen sind. Warum also hätten die großen Banken ausgerechnet jetzt den Holzmann-Konzern retten sollen?

Nein, was vergangene Woche zählte, war die Message. Auf dem Spiel stand der deutsche Korporatismus, dem sich traditionsgemäß nicht nur Gewerkschaften und wertschaffendes Kapital, sondern auch die Geldinstitute unterzuordnen haben. "Die klassische Hausbankbeziehung aus Kreditgewährung, Anteilseignerschaft, Depotstimmen sowie Vertretung im Aufsichtsrat", kommentierte die FAZ, sei bei Holzmann "endgültig zu Grabe getragen worden". Wie schon bei der drohenden feindlichen Übernahme von Mannesmann durch die britische Vodafone-AirTouch stand auch jetzt angloamerikanischer Shareholder-Kapitalismus gegen deutsche Konsensgesellschaft. Das unfreiwillige Geschäft mit dem Telekommunikationsgiganten wurde nur denkbar, weil sich die Geldinstitute zunehmend den Investmentfonds auf internationaler Ebene verschrieben haben, anstatt ihrer nationalen Pflicht als Großaktionäre der heimischen Industrie gerecht zu werden. Bei den Holz- wie bei den Mannesmännern sahen sich Gewerkschafter, Politiker und Unternehmer als Sozialpartner gegen die Unbilden des globalisierten und deregulierten Marktes. In anderen Fällen, etwa bei der deutschen Übernahme der britischen Traditionsfirmen Rover oder Rolls Royce, vertraute man freilich gern den Kräften dieses Marktes.

Kein Wunder also, dass europäische Beobachter vergangene Woche Schröders protektionistische Anwandlungen kritisierten. So erkannte die liberale italienische La Repubblica im Holzmann-Deal eine Wende in der deutschen Politik, die ausgerechnet in den Tagen zum Vorschein komme, "in denen er Vodafone angreift und sich im Telekommunikationskrieg mit Mannesmann verbündet". Kritik auch von der französischen Libération: Schröder verbinde Protektionismus und Interventionismus mit "hehren Reden über die unternehmerische Freiheit".

Damit hatte der oberste deutsche Sozialdemokrat noch nie Schwierigkeiten. Wenn es galt, aufsehenerregende Feuerwehreinsätze zur Rettung bedrohter Betriebe zu inszenieren, war Schröder immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort. So kaufte er etwa in der heißen Phase des niedersächsischen Wahlkampfes 1998 im Auftrag des Landes das zum Preussag-Konzern gehörende Stahlwerk Salzgitter für 1,3 Milliarden Mark. 14 000 Arbeitsplätze sollen damals auf dem Spiel gestanden haben, wenn das Unternehmen tatsächlich an einen österreichischen Stahlkonzern verkauft worden wäre.

Das sei kein Wirtschaften im Sinne neoliberaler Angebotspolitik, dozierte der damalige Ministerpräsident im Hannoveraner Parlament. Manchmal müsse man eben "Lehrbücher Lehrbücher sein lassen und für die Menschen einstehen". Marktradikales Laissez-Faire und staatlicher Interventionismus stehen für ihn nicht im Widerspruch. Im Gegenteil: Auch ohne Oskar Lafontaine versteht er es, beide Pole populistisch aneinander zu binden. Deshalb verwundert die Begeisterung, die Schröders Eingreifen bei dem Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel, dem letzten Keynesianisten Deutschlands, ausgelöst hat: "Dafür verdient Gerhard Schröder ein großes Lob."

Als wüsste es Hickel selbst nicht besser. Natürlich muss man nicht den Sprechern jedes dahergelaufenen Handels- und Arbeitgeberverbandes das Wort reden, die nun über Wettbewerbsverzerrung klagen und 30 000 Betriebe ins Feld führen, die jährlich ihre Schotten dicht machen müssen. Dennoch verweist Rainer Ernst vom hessischen Landesverband Baugewerblicher Unternehmer in die Richtung, in die Schröders informelles Bündnis für Arbeit zielte: "Holzmann war einer, der das ganze Lohndumping erst angezettelt hat." Der Rest muss nun nachziehen.

Und die Konsequenzen liegen auf der Hand: Schon die Konkursdrohung des Bauriesen genügte, um Forderungen nach Lohnkosten-Senkung, für die sich der Kanzler im Schröder-Blair-Papier stark gemacht hat, ganz ohne Aufregung in die Tat umzusetzen. Denn wie Schröder mit seiner Finanzspritze aus den Berliner Töpfen wollten auch die Holzmänner keine Zweifel an ihrer Entschlossenheit aufkommen lassen. Sechs Prozent weniger Lohn für 43 statt 39 Stunden wöchentlicher Arbeitszeit lassen sich die Bauarbeiter ihren Job kosten. Zumindest bis 1. Juni 2001, wie Gesamtbetriebsratschef Jürgen Mahneke versprach. Rund 245 Millionen Mark wollen die Holzmänner so "ihrem" Unternehmen einsparen. Nebenbei werden sie noch auf eine ganze Reihe von Sozialleistungen verzichten. Im Gegenzug plant die Geschäftsführung, mindestens 3 000 Arbeitsplätze abzubauen. Billiger dürfte künftig kaum ein Unternehmen im Bündnis für Arbeit abschneiden.

Die Holzmann-Betriebsleitung wusste die Opferbereitschaft ihrer Belegschaft schnell zu nutzen. Das Unternehmen hat nach Informationen der Berliner B.Z. jetzt ein Angebot für einen Hochhausbau in Frankfurt / Main um exakt jene sechs Prozent niedriger veranschlagt, die der Konzern durch die gesenkten Lohnkosten einsparen kann - ganz zur Empörung der Konkurrenz, die nun auch noch mal nachrechnen muss. Wer würde da noch an der Potenz des Rheinischen Kapitalismus zweifeln.Die Holzmann-Aktien dürften jedenfalls wieder steigen. Vorerst.