Weltbank ohne Chefökonom

Untragbare Geister

"Joe ist ein freier Geist, und ich bin immer daran interessiert, zu erfahren, was er im Namen der Bank zu sagen hat." So freundlich hört es sich an, wenn jemand in der so genannten politischen Elite untragbar geworden ist: Die überaus diplomatische Äußerung ließ Weltbankpräsident James Wolfensohn kürzlich über seinen Chef-Ökonomen Joseph Stiglitz fallen. Der hatte zuvor die Politik des Internationalen Währungsfonds heftig angegriffen - und damit auch wesentlich zum Rücktritt von IWF-Chef Michel Camdessus vor drei Wochen beigetragen.

Jetzt will Stiglitz selbst sein Amt aufgeben. Er hat angekündigt, sich in Zukunft wieder der Forschung und Lehre zuwenden zu wollen. Bereits vor seiner Berufung nach Washington war er Professor an der Stanford University gewesen. Doch auch als Wissenschaftler ist er nicht pflegeleicht: Dafür widerspricht er zu sehr dem neoklassischen Mainstream in der Nationalökonomie.

Wenn Stiglitz Ende des Jahres die Washingtoner Institution verlässt, wird er den Posten nur knapp drei Jahre lang besetzt haben. Denn mit seinen Attacken gegen den IWF hatte sich der ehemalige Wirtschaftsberater Clintons viele Feinde gemacht. Stiglitz war zwar bei weitem nicht der einzige Kritiker des Vorgehens des Währungsfonds während der Krisen in Südostasien und Russland. Doch die Schwesterorganisation anzupöbeln, das verstößt schon eklatant gegen die gepflegten Umgangsformen.

Die IWF-Maßnahmen zur Bewältigung der Finanzkrise in Südkorea, Indonesien und Thailand seien viel zu hart gewesen, hatte der Chefökonom in einem Zeitungsinterview Anfang des letzten Jahres kritisiert. Wolfensohns Behauptung, Stiglitz sei "eine wichtige und starke Stimme für die Interessen der Entwicklungsländer und vor allem der Armen", ist dennoch reichlich übertrieben. Unbestreitbar ist allerdings, dass der 56jährige den so genannten "Washington Consensus" durchbrochen hat. Diese Standard-Therapie von IWF, Weltbank und US-Finanzministerium gegen die Währungskrisen der Schwellenländer lautet: Staatshaushalt verkleinern, Zinsen anheben und vor allem auf keinen Fall den Kapitalfluss behindern. Stiglitz warf dem IWF vor, mit diesen Maßnahmen die Rezession in den Schwellenländern unnötig verschlechtert zu haben.

Die Propagandisten des "Washington Consensus" können zwar darauf verweisen, dass sich Südostasien schneller erholt hat, als die meisten Beobachter es zu Anfang der Krise erwartet hatten. Doch ob dies wirklich den Maßnahmen des IWF zu verdanken ist oder ob die Region mit einer anderen Therapie nicht noch besser dastünde, ist fraglich. Ihre Gegner verweisen auf das Beispiel Malaysia. Dessen Präsident Mahathir Mohamad hatte sich nicht den IWF-Auflagen unterworfen, sondern nach Ausbruch der Krise Kapitalverkehrskontrollen eingeführt - woraufhin alle maßgeblichen Ökonomen die Hände über dem Kopf zusammenschlugen. Doch auch sie müssen eingestehen, dass es Malaysia unter den von der Krise erfassten Ländern heute am besten geht.

Der Streit zwischen den beiden Organisationen geht vor allem auf deren unterschiedlichen Auftrag zurück: Während sich die Weltbank stärker auf langfristige ökonomische und soziale Tendenzen konzentriert, leistet der IWF vor allem kurzfristige Hilfe für Staaten, die sich in akuten Krisen befinden. Dies war jedenfalls 1944 in Bretton Woods der Gründungsgedanke gewesen. Nur haben sich mittlerweile die Krisen derart gehäuft, dass die Weltbank ihrer Partnerorganisation immer öfter unter die Arme greifen muss - und die schnelle Krisenintervention allmählich die strukturelle Planung überlagert.