Zahnpasta

Dilettanten-Doping

Morgens Aronal, abends Elmex - was Millionen Menschen mindestens zweimal täglich folgenlos absolvieren, wurde im Fall des dopingverdächtigen Langstrecken-Läufers Dieter Baumann nun zum Kriminalstück. »Ein High-Tech-Verbrechen« nennt der Sportler den eher simplen Umstand, dass in der Zahnpasta der Familie Norandrostendion gefunden wurde, das auf keinen Fall in der Fabrik dort hineingekommen sein kann, und erstattete Strafanzeige gegen Unbekannt.

Entlastend wirkt der Fund für Baumann aber nicht, wirft er doch viele neue Fragen auf. Z.B. die, unter welchen Umständen die Substanz in die Pasta gekommen sein kann. Die Tube sei angeblich schon Anfang August »im Trainingslager in St. Moritz« in Baumanns Gepäck dabei gewesen, schreibt der Spiegel - damals seien auch die ersten Dopingspuren in Baumanns Urin aufgetaucht. Als Verdächtige gelten daher für die Baumann-Verteidiger neidische Kollegen. Aber kann man wirklich vier Monate lang mit einer einzigen Tube Zahnpasta auskommen?

Und warum tauchte die kontaminierte Zahncreme erst jetzt auf und nicht schon bei der ersten Hausdurchsuchung im November? Warum nahm man ausgerechnet diese Tube und damit in Kauf, möglicherweise nur den Nandrolonspiegel von Isabell Baumann zu erhöhen?

Beweisen kann zwar niemand, dass die Elmex-Tube wirklich schon damals im Trainingslager gewesen ist, aber auch für den Fall, dass sie nicht mit nach St. Anton reiste, gibt es eine Verschwörungstheorie. Schließlich ist es nicht besonders aufwendig, beim Gang auf die Toilette eine Substanz mit einer Spritze in die Tube zu injizieren. Nur ein bisschen blöde, denn man kann nie genau wissen, ob das potenzielle Opfer nicht doch ein Ferkel ist, das sich nur alle paar Tage mal die Zähne putzt - und von positiven anderen Familienmitgliedern hat der Täter überhaupt nichts. Und warum kontaminierte jemand, der Dieter Baumann schaden will, ausgerechnet die Zahnpasta, die jetzt in Isabell Baumanns Badezimmer gefunden wurde?

Andererseits kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Tube nachträglich manipuliert wurde, um damit die Unschuld Dieter Baumanns zu untermauern. Aber auch das wäre ein eher dämliches Vorgehen, denn man konnte ja nicht fest damit rechnen, dass das ursprünglich lediglich mit der Überprüfung der von den Baumanns benutzten Lebensmitteln beauftragte Labor auch tatsächlich darauf kommen würde, auch die Toilettenartikel der Familie zu überprüfen. Und mit einer Tube zu wedeln, in der hinterher das Dopingmittel gefunden wird, wäre absolut kein Unschuldsbeweis.

»Die Zielsetzung muss gewesen sein, dass ich nach einem Rennen positiv getestet werde. Bei einer Wettkampfkontrolle mit Nandrolon positiv hätte ich sofort einpacken können. Kein Mensch hätte mir geglaubt«, vermutete Dieter Baumann in der letzten Woche, aber auch das klingt eher unlogisch.

Die Sache mit der Zahnpasta kam ja eben bei einer Trainingskontrolle heraus, Wettkämpfe standen in der letzten Zeit nicht an, und das hätte ein potenzieller Täter auch wissen müssen. Und eine Garantie dafür, dass Dieter Baumann a) so sparsam mit seiner Zahnpasta umgeht, dass sie auch wirklich bis zum nächsten großen Wettkampf reichen würde oder er sich b) vor einem Rennen mit der bewussten Zahnpasta auch tatsächlich die Zähne putzt, gab es eben nicht.

Insgesamt war wohl so oder so ein Dilettant am Werk. Der Fall Baumann hat jedenfalls gute Chancen, neben dem Mord an John F. Kennedy zum zweiten großen ungelösten Verbrechen der Neuzeit zu werden.