Ein Kessel Kaltes

Im russischen Generalstab dürften am Sonntag die Schampanskoje-Korken geknallt haben: Am Vormittag konnte der Oberkommandierende des Tschetschenien-Feldzuges, General Viktor Kasanzew, stolz verkünden, »dass die Stadt Grosny vollständig blockiert ist«. Am Abend vorher hatten Kasanzews Truppen in der Stadt Atschchoi-Martan, 20 Kilometer südlich der tschetschenischen Hauptstadt, die russische Fahne gehisst. Damit war Grosny eingekesselt. Vorher waren die russischen Truppen in der Stadt Argun, zehn Kilometer östlich von Grosny, wie ein Militärsprecher mitteilte, auf »unerwartet starken Widerstand« der separatistischen Kämpfer gestoßen. Die Rache folgte offenbar auf dem Fuß: Wie die Militärführung weiter mitteilte, begannen die Truppen unmittelbar nach dem Einmarsch mit »Säuberungsaktionen«.

Die Rebellen bauen währenddessen nach Berichten des russischen Militärs Grosny zur Festung aus. Die Generäle befürchten außerdem, dass die Aufständischen nach einem russischen Einmarsch in Grosny versuchen könnten, Russland einen Guerillakrieg im tschetschenischen Bergland aufzuzwingen. Bisher hatte der Generalstab eine Strategie verfolgt, die darauf setzte, den direkten Kontakt mit den Aufständischen zu vermeiden.

Einem Bericht der Wahington Post zufolge befinden sich in Tschetschenien derzeit fast 100 000 russische Soldaten - zumeist Berufssoldaten aus gut ausgebildeten und ausgerüsteten Einheiten - im Einsatz. Das wären annähernd dreimal so viele wie im ersten Tschetschenien-Krieg 1984 und fast so viele wie in Afghanistan im Einsatz waren. Im Gegensatz zum ersten Tschetschenienkrieg verwenden die Militärs diesmal auch teure Waffensysteme wie Raketen und moderne Kampfhubschrauber. Die tschetschenische Truppenstärke wird auf 5 000 bis 15 000 Soldaten geschätzt.