Ende einer Sonntagsrede

In Frankreich wird die Forderung nach einer Reform des Wahlrechts für Immigranten zunehmend populärer.

Manchmal können sich selbst Politiker noch an ihre alten Versprechen erinnern. Die französische KP hat vergangenen Monat einen Gesetzentwurf vorgelegt, dem zufolge allen ausländischen Staatsbürgern, die seit mindestens fünf Jahren in Frankreich wohnhaft sind, das Wahlrecht nicht nur - wie bisher diskutiert - in den Kommunen, sondern auch auf Départements- und regionaler Ebene zugestanden werden soll.

Eine entsprechende Verfassungsänderung, die den Kreis der Wahlberechtigten erweitern würde, kann juristisch entweder per Volksabstimmung oder durch eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Kongress angenommen werden, was in beiden Fällen nur mit Zustimmung des Staatspräsidenten möglich ist. Ein Wahlrecht für Immigranten wird daher noch einige Zeit auf sich warten lassen. Aber der KP kommt das Verdienst zu, die Debatte wieder in Gang gebracht zu haben. Die Grünen haben die Forderung ohnehin seit langem in ihrem Parteiprogramm stehen, und selbst in der Sozialistischen Partei (PS) - in dieser Frage eher zögerlich - finden sich derzeit offensive Befürworter, wie beispielsweise Parlamentspräsident Laurent Fabius.

Ausgesprochen zurückhaltend bleibt hingegen der sozialistische Premierminister Lionel Jospin - der bereits an die für die Präsidentschaftswahl 2002 notwendigen politischen Mehrheiten denkt. Aus dessen Umgebung hieß es dazu lediglich, dass der Premier vor den letzten Wahlen »keinerlei Versprechung abgegeben« habe.

Dabei hatte vergangene Woche selbst die bürgerlich-liberale UDF über diese Frage diskutiert, die mit dem früheren Fraktionsvorsitzenden Gilles de Robien einen erklärten Befürworter des kommunalen Wahlrechts für Immigranten in ihren Reihen hat. Die große Mehrheit der UDF-Spitzenpolitiker, angeführt vom christdemokratischen UDF-Vorsitzenden Fran ç ois Bayrou, schmetterte das Anliegen jedoch ab. Schließlich müssten den Besitzern der französischen Staatsbürgerschaft, so Bayrou, bestimmte Vorrechte noch vorbehalten werden.

Selbst Innenminister Jean-Pierre Chevènement von der linksnationalistischen Partei MDC schien bei einem Fernsehauftritt Anfang November dem Vorschlag nicht völlig abgeneigt zu sein, obwohl er bisher die Bürgerrechte stets mit der Staatsbürgerschaft verband. »Anlässlich der Erneuerung der Zehn-Jahre-Aufenthaltskarte«, so Chevènement, könne er sich die Gewährung des Wahlrechts an ausländische Staatsbürger »vorstellen«. Wer sich also mindestens 13 Jahren legal im Lande aufgehalten hat, kann eventuell mit der Gnade des Innenministers rechnen.

Dabei steht eine Reform schon lange auf dem Programm der Regierungsparteien. 18 Jahre lang hatten die großen Linksparteien das Versprechen immer wieder in ihre Sonntagsreden aufgenommen, ohne jemals Anstalten zu machen, es auch in die Tat umzusetzen. Das Wahlrecht für in Frankreich lebende Immigranten forderte bereits das Programm der »Linksunion«, das die französische KP und der PS 1972 verabschiedet hatten. Als der Sozialist Fran ç ois Mitterrand 1981 zum Staatspräsidenten gewählt wurde, hatte er zuvor die Maßnahmen in sein 110-Punkte-Programm aufgenommen. Das war vor der Wahl.

Während der achtziger Jahre pflegte der zum republikanischen Monarchen avancierte Mitterrand einen machtpolitischen Umgang mit der Idee, den Immigranten ein Wahlrecht zuzugestehen. Nach den jeweiligen Wahlen kam es nicht mehr in Frage, an die versprochene Reform zu denken: angeblich wegen der ablehnenden öffentlichen Meinung. Damals feierte der rechtsextreme Führer des Front National, Jean-Marie Le Pen, mit seiner rassistischen Politik seine großen Erfolge.

Kurz vor wichtigen Wahlterminen schien sich Mitterrand jedoch plötzlich an die alte Forderung zu erinnern - natürlich mit Kalkül: Die unpopuläre Forderung sollte Le Pen stärken. Dessen Aufstieg, so kalkulierte Mitterrand, spalte die konservative Rechte und halte sie auf Dauer von der Regierung fern. Nach den Wahlen freilich wurde die Forderung erneut vergessen.

Die Zeiten haben sich geändert: Die extreme Rechte ist seit einem Jahr gespalten und als politische Kraft, erstmals seit 15 Jahren, deutlich geschwächt. Die öffentliche Meinung hat sich in der »Ausländerpolitik« spürbar entspannt.

In diesem Jahr verzeichneten die Umfragen erstmals mehr Befürworter (52 Prozent) als Gegner des Wahlrechts für »Ausländer»; bei den Jüngeren stellen die Befürworter mit 73 Prozent sogar eine beachtliche Mehrheit dar. Rückenwind also für die Linken. Vor allem die repressive Haltung von Innenminister Chevènement gegenüber den illegalen Immigranten treibt unterdessen die Befürworter an, sich für die Wahlrechtsforderung einzusetzen: Immerhin 60 Initiativen und Bündnisse sammeln derzeit Unterschriften.

So hatte ein Rundschreiben des Innenministers an seine Untergebenen in den letzten Wochen viel Empörung ausgelöst. In der internen Amtsanweisung, die Ende Oktober durch die Pariser Tageszeitung Libération veröffentlicht wurde, rief er die Präfekten dazu auf, »eine spürbare Steigerung der tatsächlich durchgeführten Entfernungsmaßnahmen während der letzten Monate des laufenden Jahres« herbeizuführen. Um die Zahl der »Entfernungsmaßnahmen«, Ausweisungen also, steigern zu können, fordert er von den Behörden, eine Fingerabdruckkartei aller Personen einzurichten, die - als ausländische Staatsbürger - einen Aufenthaltstitel in Frankreich beantragt haben. Zudem sollten die Behörden systematisch Personenkontrollen an »Orten, wo sich normalerweise Illegale konzentrieren«, durchführen.