Kämpfer im Kabinett

Der nordirische Friedensprozess ist einen großen Schritt weiter. Aber noch traut keiner dem Frieden, denn der Riss geht durch die Gesellschaft und die neue Regionalregierung.

Manche Gewohnheiten gibt man nicht so gern auf: An ihrem ersten Arbeitstag fuhr Bairbre de Brun, Nordirlands neue Ministerin für Gesundheit, Soziale Dienste und Öffentliche Sicherheit, mit ihrem verbeulten alten Auto ins Parlament, obwohl ihr als Ministerin ein Mercedes als Dienstwagen zur Verfügung gestanden hätte. Das Parlamentsgebäude liegt im Belfaster Stadtteil Stormont, de Brun wohnt in West Belfast. Stormont, bis zur Auflösung des nordirischen Regionalparlaments 1972 ein Symbol der Willkürherrschaft der Protestanten über die katholische Minderheit in der Provinz, ist als Hochburg der unionistischen Protestanten so bekannt wie der katholische Westen der Stadt als Festung der IRA. Wer eine glänzende Staatskarosse für die kurze Reise benützt, der riskiert etwas - in beiden Richtungen.

Dabei hätte die frisch ernannte Ministerin zumindest auf dem Rückweg hochrangige Protektion genossen: Ihr Parteifreund Martin McGuiness, der Minister für das Erziehungswesen, war bis zum Beginn der Friedensgespräche vor allem als Stabschef der IRA während der heißesten Phase des Bürgerkriegs in den siebziger Jahren bekannt. In den Achtzigern wechselte er zur Politik, und während der seit fast zwei Jahren andauernden Verhandlungen mit der protestantischen Seite war er Chefunterhändler der IRA-nahen Sinn Féin. Dass die Partei McGuiness nun als Minister benannt hat, war für die rechtsextreme DUP Grund genug, bereits am ersten Tag der neuen Regierung den Ausschluss von Sinn Féin zu fordern - was ein Scheitern des Friedensprozesses bedeutet hätte. Sinn Féin, hieß es in dem DUP-Antrag, genieße »nicht das Vertrauen der Versammlung, weil sie nicht den Prinzipien der Gewaltlosigkeit und des alleinigen Gebrauchs friedlicher und demokratischer Mittel verpflichtet ist«. Gleiches gilt freilich auch für die Antragsteller selbst.

Mit Peter Robinson, dem neuen Minister für Regionalentwicklung, hat die Partei des Ian Paisley sogar einen ausgesprochenen Hardliner für die neue Regierung benannt, der seinerseits aufs Engste mit unionistischen Terrorgruppen verbandelt ist. Robinson war 20 Jahre Paisleys Stellvertreter und gilt als der wahrscheinliche Nachfolger des 73jährigen protestantischen Fanatikers. Er wird, wie er erklärte, seinen Einfluss als Minister nutzen, um der nordirischen Selbstverwaltung ein Ende zu setzten, und hat bereits angekündigt, nicht gemeinsam mit den beiden Sinn-Féin-Ministern an Kabinettssitzungen teilzunehmen.

Bei der ersten solchen Sitzung am vergangenen Freitag fehlte neben Robinson auch der zweite DUP-Minister, Nigel Dodds, der das Ressort für Sozialentwicklung besetzt. Der Rechtsanwalt, der einen exzellenten Abschluss der Universität Cambridge vorweisen kann, fungierte als Paisleys rechte Hand, als der Parteichef als Mitglied der Fraktion der Europäischen Rechten im Europa-Parlament saß. Ein alter Kämpfer ist auch Sam Foster, der Umweltminister aus David Trimbles loyalistischer UUP: Er war Offizier einer in Nordirland operierenden Spezialeinheit der britischen Armee und ist bis heute Mitglied des extremistischen Orange Order.

Zwei der drei SDLP-Minister stammen aus der Republik Irland und legen Wert auf die Feststellung, dass sie fließend Gälisch sprechen. Dass einer von ihnen, der Wirtschaftsdozent Sean Farren, auch noch Minister für Arbeit, Berufsausbildung und Höhere Bildung wurde, erzürnte die Unionisten erneut: War das Bildungsressort doch eigens in zwei Hälften geteilt worden, damit beide Seiten daran teilhaben könnten. Und nun sind sowohl die Schul- als auch die Weiterbildung in katholischer Hand!

Wäre es ihnen wirklich wichtig gewesen, hätten sich die Protestanten freilich zumindest einen der Posten sichern können: Nach dem d'Hondtschen Wahlverfahren konnte die DUP vor Sinn Féin einen Posten wählen. Sie entschied sich für das Ressort für regionale Entwicklung, das sie für essenziell ansieht, um eine weitergehende Autonomie Nordirlands zu verhindern

Dass David Trimble als Chef der größten Partei das Amt des Ersten Ministers bekommen würde, war schon vorher klar gewesen. Problematisch schien dagegen die Frage, wie die Katholiken zu einem Stellvertreterposten kommen könnten. Denn im Gegensatz zu den Ressortministern werden der Erste Minister und sein Stellvertreter nicht von den jeweiligen Parteivertretern benannt, sondern mit der Mehrheit der Stimmen im 89 Mitglieder zählenden Regionalparlament gewählt. Und dort haben die Unionisten eine satte Mehrheit; aus diesem Lager Stimmen für einen Katholiken zu gewinnen, wäre schlicht unmöglich.

Die Lösung wusste Peter Mandelson, der Nordirland-Minister der britischen Regierung. Sie hieß Seamus Mallon. Der 63jährige Stellvertretende SDLP-Vorsitzende gilt als Integrationsfigur, weil er als Katholik immer wieder Verständnis auch für protestantische Sorgen geäußert hat und mit Kritik an der eigenen Seite nie sparte. Er war schon einmal Stellvertretender Erster Minister, bis er vor drei Monaten aus Protest zurücktrat, weil die UUP ein Angebot zur Regierungsbildung ausgeschlagen hatte.

Das hat ihn im protestantischen Lager nicht unbedingt beliebter gemacht. Mandelson stellte jedoch fest, dass Mallon - obwohl jeder glaubte, es genau gesehen zu haben - nie verbindlich zurückgetreten sei: kein Entlassungsschreiben, nichts. Lediglich der Dienstwagen stand ihm nicht mehr zur Verfügung. Aber den konnte man ja jederzeit wieder kommen lassen. Und schon hatte Nordirland einen prächtigen Stellvertretenden Ersten Minister, ohne dass man sich den Beschwernissen eines Wahlganges hätte unterziehen müssen.

Noch weniger transparent lief ein Vorgang ab, den die meisten Nordiren mit weit mehr Interesse verfolgen werden: die Benennung des Entwaffnungsbeauftragten der IRA. Am Sonntag verlautete lediglich, der Mann, der in guter konspirativer Tradition anonym bleibe, habe sich bei der Internationalen Entwaffnungskommission des kanadischen Generals John de Chastelain gemeldet. Da der einzige andere Kandidat noch im Maze-Gefängnis sitzt, ließe das den Schluss zu, dass es sich um Brian Keenan handelt, einen bekannten Hardliner. Die protestantischen Terrorgruppen haben um ihren Vertreter kein solches Geheimnis gemacht: Die Ulster Freedom Fighters benannten Johnny »Mad Dog« Adair, einen gefürchteten Bombenleger, der einmal auf die Frage, ob er schon je einen Katholiken im Auto gehabt habe, antwortete: »Nur tote.« Die Ulster Volunteer Force schickte Billy Hutchinson, einen verurteilten Mörder. Man darf gespannt sein auf den Vertreter der größten am Friedensprozess beteiligten Para-Gruppe, der Ulster Defence Association.

Über die Entwaffnung selbst wird die Öffentlichkeit wohl wenig bis gar nichts erfahren. Es geht nach Schätzung von Experten immerhin allein auf IRA-Seite um rund 100 Tonnen Waffen und Sprengstoff, die irgendwie »dem Gebrauch entzogen werden« müssen, wie Blair formulierte. Wilde Gerüchte kursieren: In einen Bunker damit, und dann mit Beton ausgießen? Oder eine einzige große Explosion? Am Ende ist meist alles nicht so spektakulär, wie es sich die Boulevardpresse wünscht. Es wird wohl nur einen kurzen Bericht des Generals geben, in dem es heißt, die Entwaffnung habe stattgefunden. Hoffentlich. Denn sonst wäre der Friedensprozess schon wieder vorbei.