Gezeichnet: LCF

Eine elegische Komödie über ein Buch, das der Teufel geschrieben hat: Roman Polanskis neuer Film »Die neun Pforten«.

Kino ist auch eine schwarze Kunst. Man muss dabei nicht einmal an die Künste der »dämonischen Leinwand« denken - den Schnitt, die bewegten Schatten -, sondern einfach an die Tatsache, dass Filme in einem abgedunkelten Raum gezeigt werden. Filme treten hervor aus dieser Schwärze, sie verschwinden in ihr, sie können den dunklen Raum erleuchten, oder sie können ihre Bilder schwach in der Dunkelheit aufglimmen lassen. Die Bilder können scharf gezeichnet sein wie Gravüren, oder sie können verschwommen, abgeschattet wie Aquarelle sein, sie können Stichen oder Schemen ähneln.

Das ist das Thema von Roman Polanskis neuem Film, »Die neun Pforten« (»The Ninth Gate«): Schemen gegen Stiche, die schwarze Kunst des Kinos gegen die schwarze Kunst der Buchdruckerei.

Es geht um ein Buch mit dem Titel »Die neun Pforten ins Reich der Schatten«, von dem einerseits behauptet wird, es sei völlig einzigartig - es sei von Luzifer (dem Namen nach der Erfinder des Kinos) verfasst, es sei eine Million Dollar wert und es sei mehr als ein Buch, eine rätselhafte Macht, die den Tod bringt - und von dem andererseits bekannt ist, dass es eben nicht einzigartig ist: Immerhin existieren drei Exemplare dieser obskuren Schrift.

Dem satanischen Druck »Die neun Pforten« sind Kupferstiche beigegeben, die in ihrer Konzisheit nicht nur das optische Gegenstück zum filmischen Geschehen bilden, das gänzlich in der Dämmerung, im Dunkel, in schwach und stets indirekt beleuchteten Zimmern sich entspinnt. Die Allegorien dieser Stiche nehmen außerdem sämtliche Motive des Films vorweg; auch wenn der Zuschauer das immer erst post festum bemerken kann, nachdem die Rätsel der Bilder in krude Realität - meist grauenhafte Morde - aufgelöst worden sind. Mehr muss man über die Handlung von »Die neun Pforten« nicht wissen; Handlung ist hier, wie in den meisten intelligenten Filmen, völlig nebensächlich.

Im Grunde ist auch jenes Buch völlig nebensächlich. Denn wie zum Hohn auf seine mit großem Brimborium herausgestellte Kostbarkeit wird es fortwährend mit Zigaretten-Asche bestäubt, mit schmutzigen Fingern betatscht, dem Tageslicht und der feuchten Luft ausgesetzt, in einem Sack umhergeschleppt, geworfen und angestoßen. Und schließlich gehen nach und nach alle drei angeblich unersetzlichen Exemplare in Flammen auf. Zu Recht, wie sich zeigt: Das Buch, die Bücher sind überflüssig geworden.

Dass nicht eine, sondern alle drei Kopien und wiederum nicht diese für sich, sondern die Kombination ihrer Inhalte wertvoll sein könnten, findet der von Johnny Depp dargestellte Bücher-Detektiv Dean Corso (ital. »Lauf«) während seines Bilder-Laufs heraus. Von dem finsteren Sammler und Hexer Boris Balkan (Frank Langella) beauftragt, die Authentizität von dessen Exemplar zu überprüfen, entdeckt der stark kurzsichtige Detektiv, dass alle drei Kopien authentisch sind: Die Kupferstiche unterscheiden sich jeweils in einigen Details (manche sind von Luzifer selbst signiert - er zeichnet LCF -, andere nicht). Nur zusammen gelesen könnten sie einen Sinn ergeben. Sie könnten es: Der einzige, der sich zutraut, den Interpretations-Schlüssel gefunden zu haben, täuscht sich darin tödlich. Es handelt sich jedenfalls bei den drei Drucken um Originale, um höchst authentische Kunstwerke - die in Rauch aufgehen. Oder in Schatten, denn, wie gesagt, übersetzen sich die Kupferstiche jeweils in die Schatten des Films. Der Film selbst ist das »Reich der Schatten«, dessen Ort das satanische Buch zu weisen verspricht.

Trotz der für dieses Genre ungewöhnlich elegischen Grundstimmung - zu der neben der Lichtdramaturgie die suggestive Musik von Wojciech Kilar beiträgt - ist »Die neun Pforten« eine Komödie. Sie verspottet in einem fort das Authentische, das Besondere, das Abgesonderte, Geheime und Mysteriöse. Auf den Stichen sind jeweils, nur leicht verändert, die Nebenpersonen zu erkennen, die der Bücher-Detektiv aufsuchen und befragen muss; herrliche Käuze, sinistre Damen, die allesamt eines verrätselt angekündigten Todes sterben müssen. Die Filmfiguren haben nur auszuagieren, was in einem dreihundert Jahre alten Schinken geweissagt wurde, sie sind weniger als Schatten, bloße Hampelmänner. Führt also der Weg vom Einmaligen - ein Werk, vom Teufel, dem Einzigen, signiert - in die Welt der Kopien von Kopien, so ist am Ende dieses Wegs das Einmalige Makulatur geworden. Man weiß nun, was die Schrift bedeutet: Tod. Und die Bücher können verbrannt werden.

Polanski schildert den Tod, wie so oft in seinen Filmen, mit vollendeter Pietätlosigkeit. Die Toten sind allesamt Karikaturen, aus Körpern arrangierte Witzbilder, death jokes; einer ist nach dem Vorbild eines Tarotkarten-Bilds an die Wendeltreppe gehängt, ein anderer dümpelt wie ein Goldfisch im Gartenteich, eine dritte sitzt in einem wieder und wieder gegen die Wand stoßenden elektrischen Rollstuhl. Bereits die erste Szene besteht aus einem death joke: In einer Art narrativer Kameraführung wird der Blick auf einen Schemel gelenkt, auf den der Hausherr gleich steigen wird, um den am Kronleuchter befestigten Strick anzulegen. Dann versuchen seine pantoffelbekleideten Füße, den Schemel wegzustoßen, er fällt aber erst nicht um. Als er es endlich tut, zappeln die Pantoffel ein wenig, dann fällt einer von ihnen zu Boden. Polanski spricht dem Tod jegliche Würde ab.

So liebevoll und gleichzeitig distanziert die Nebenfiguren, ihre Charaktere, ihre Räume, gestaltet sind, so blass bleibt die zweite Hauptperson, »das Mädchen«. Das liegt freilich weniger am Drehbuch als an der Darstellerin, Polanskis Ehefrau Emmanuelle Seigner. Man begreift, warum der Regisseur eine halbe Armee »Digital-Designer« beschäftigt hat: Sie mussten u.a. Seigner in der Szene, in der sie auch noch den Sukkubus geben und den armen Corso/ Depp zureiten muss, diabolischen Glanz in die Augen zaubern. Vielleicht ist mit der Wahl dieser Schauspielerin die Ambivalenz von Banalität und Abgründigkeit, mit der der Film durchweg spielt, nur ein wenig zu einfach - zu Gunsten der Banalität - aufgelöst worden.

In einer der schönsten Passagen zeigt der Regisseur, wie meisterhaft er dieses Changieren sonst beherrscht. Es ist bezeichnenderweise eine der Szenen, die nicht im Halbdunkel bleiben, sondern hell auflodern: von leinwandgroßen Flammen in sattem Rot und Gelb, die Bücher und eine Tote verschlingen. Vor Schreck über das ihr entgegenschlagende Feuer entgleitet der heimkehrenden Vorzimmerdame, die eine Vorliebe für Orangen hat, die Einkaufstasche. All die frischen Orangen purzeln die Treppe hinab. Diese Orangen erscheinen wie Feuerzungen. Und sie sind, als sie auf die Straße rollen, doch nur schlicht: Obst. Die kunstvolle Kontrafaktur des Dämonischen ist an dieser Stelle vielleicht am besten gelungen.

»Die neun Pforten«. F/Sp 1999. R: Roman Polanski. D: Johnny Depp, Emmanuelle Seigner, Lena Olin, Frank Langella, James Russo u.a. Start: 16. Dezember