Heimliche Blutprobe

Eugenische Selektion auf Umwegen: In Deutschland stößt die Bioethik-Konvention des Europa-Rats noch auf Ablehnung.

Die Untersuchung war alles andere als Routine. Von 160 BewohnerInnen nahm die Chefärztin eines Behindertenheimes im unterfränkischen Eisingen Blutproben - heimlich und ohne Einwilligungserklärung. Das Blut wurde anschließend an das Humangenetische Institut der Universität Würzburg weitergegeben, wo es genetisch untersucht wurde. Außerdem wurden Köpfe der HeimbewohnerInnen vermessen und Fotos angefertigt. Ziel der fremdnützigen Untersuchung war die Erprobung eines Gen-Tests für geistige Behinderungen. Der Fall liegt zwar schon einige Zeit zurück, ob weitere Institute beteiligt waren, ist jedoch noch immer unklar. Klar ist hingegen, dass solche Untersuchungen durch die neue Bioethik-Konvention des Europa-Rates legalisiert würden.

Die Konvention, die in Deutschand noch nicht gilt, trat Anfang Dezember in fünf europäischen Ländern in Kraft: Dänemark, Griechenland, die Slowakische Republik, Slowenien und San Marino haben die Ratifizierung abgeschlossen und passen ihre nationale Gesetzgebung der Konvention an. Spanien folgt am 1. Januar 2000. Die Bioethik-Konvention - offiziell »Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin« genannt - lässt fremdnützige medizinische Experimente mit »nicht-einwilligungsfähigen Personen« wie geistig Behinderten, Alzheimer-Kranken, Koma-Patienten und Neugeborenen zu. Außerdem erlaubt sie die Embryonen-Forschung, die in Deutschland verboten ist, und gestattet die Weitergabe von Gentest-Ergebnissen an Arbeitgeber und Versicherungen. Das Verbot der Keimbahn-Intervention wird aufgeweicht. Von den 41 Mitgliedsländern des Europarats haben bisher 28 Staaten die Konvention unterschrieben, die Ratifizierung - mit der die Konvention in Kraft tritt - aber noch nicht abgeschlossen.

Die Proteste von Anti-Bioethik-Initiativen und Behindertenbewegung haben dazu beigetragen, dass Deutschland die Konvention bisher weder unterzeichnet noch ratifiziert hat. Mit jedem weiteren Staat, der das »Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin« ratifiziert, erhöht sich jedoch der Druck auf die Bundesregierung, ebenfalls beizutreten.

Um dies zu verhindern, forderten kürzlich mehr als 40 Organisationen von der Bundesregierung eine klare Absage an die Konvention. Die Unterzeichnenden - darunter die Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung, die Initiative Bürger gegen Bioethik und das Gen-ethische Netzwerk - »werden es nicht hinnehmen, dass das Leben von Kranken und Behinderten den Bedürfnissen der Gesunden, die Rechte des Individuums dem Bedarf einer anonymen 'Gesellschaft' untergeordnet werden«, heißt es in dem Offenen Brief.

Wegen des öffentlichen Drucks soll die zwischenzeitlich gescheiterte Enqute-Kommission des Bundestages zur Bioethik nun doch eingerichtet werden. Zu Beginn des nächsten Jahres will eine Arbeitsgruppe um den SPD-Gesundheitspolitiker Wolfgang Wodarg einen entsprechenden Antrag ins Parlament einbringen.

Die Enqute-Kommission soll sich mit dem gesamten Komplex biomedizinischer Technologien befassen: pränatale Diagnostik, Embryonen-Forschung, Keimbahn-Manipulation, Klonierung am Menschen, Organ-Transplantation, Gen-Therapien und -Tests, Forschung an »nicht-einwilligungsfähigen« Personen und Sterbehilfe. Im Einsetzungsantrag heißt es, die Kommission solle bis zum Jahre 2002 »Empfehlungen zum weiteren Umgang« mit der Bioethik-Konvention des Europarates vorlegen.

So lange wollen die Befürworter der Konvention jedoch nicht warten: Forschungsstaatssekretär Wolf-Michael Catenhusen (SPD) und der christdemokratische Forschungspolitiker Werner Lensing kündigten für das nächste Jahr eine Bundestags-Debatte mit dem Ziel der Unterzeichnung und Ratifizierung der Konvention an. Erika Feyerabend, Mitherausgeberin von BioSkop, der »Zeitschrift zur Beobachtung der Biowissenschaften«, sagte gegenüber Jungle World, »politisch ist die Forderung nach einer Enqute-Kommission daneben«, da sie »Gesetzesvorhaben nicht blockieren« könne. Zudem bekämen kritische Gruppen wie die Lebenshilfe keinen Platz in der Kommission, die zu gleichen Teilen aus Mitgliedern des Bundestages und Sachverständigen besetzt werde.

Da der Widerstand gegen die Bioethik-Konvention weiterhin sehr stark sei, könnten deren Protagonisten versuchen, auch ohne eine Unterzeichnung »das Niveau der Konvention zu erreichen«, etwa durch das geplante neue »Fortpflanzungs-Medizingesetz« von Gesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne). Es soll sich mit der Präimplantations-Diagnostik und der Klonierung von embryonalen Zellen befassen.

Die Präimplantations-Diagnostik dient dem Ziel, bereits vor der Schwangerschaft eine genetische Selektion zu betreiben - nur »genetisch einwandfreie Embryonen« werden auf die Mutter übertragen. Es wird also nicht der im Mutterleib heranwachsende Embryo untersucht, sondern ein mittels In-vitro-Fertilisation künstlich erzeugter Embryo. Diesem werden Zellen entnommen, um sie genetisch zu analysieren. Da sich diese Zellen zu einem vollständigen Embryo entwickeln könnten, die Untersuchung sie aber zerstört, wird dies als »verbrauchende Embryonen-Forschung« bezeichnet, die in Deutschland verboten ist.

Von Seiten gut organisierter Lobbygruppen wie der Förderinitiative Bioethik der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Bundesärztekammer wird, so Feyerabend, seit längerem starker Druck ausgeübt, um das Embryonen-Schutzgesetz zu kippen, das der Einführung der Präimplantations-Diagnostik im Wege steht. Sollte über das geplante »Fortpflanzungsmedizingesetz« der Embryonen-Schutz fallen, wäre den Inhalten der Bioethik-Konvention der Weg bereitet. Auch in der aktuellen Ausgabe des Gen-ethischen Informationsdienstes (GID) findet sich die Einschätzung, »dass Inhalte der Bioethik-Konvention in der Bundesrepublik über Umwege etabliert werden sollen»; die Forschungslobby würde verstärkt versuchen, »das Tabu der Embryonen-Forschung aufzuweichen«.

Um die Öffentlichkeit in die Diskussion einzubeziehen, veranstaltet das Bundesministerium für Gesundheit im Mai nächsten Jahres ein öffentliches Symposium zu den rechtlichen, ethischen und medizinischen Aspekten der Fortpflanzungsmedizin. Alle gesellschaftlichen Gruppen, die sich mit dem Thema befassen, sollen eingeladen werden. Es ist zu befürchten, dass hier auf die übliche Weise kritische Stimmen durch Eingemeindung unschädlich gemacht werden sollen. Schließlich entzündete sich der Protest gegen die Bioethik-Konvention vor allem daran, dass sie unter Geheimhaltung ausgearbeitet wurde.