Spektakel der Harmonie

Gegenüber dem, was schon seit Jahren praktiziert wird, wirkt das Bündnis für Arbeit geradezu altmodisch, zahm und behäbig.

Es gibt Institutionen, bei denen man sich ständig fragt, wozu es sie überhaupt gibt. Das Bündnis für Arbeit ist eine solche. Zum vierten Mal haben sie sich nun am vergangenen Wochenende beim Bundeskanzler getroffen, die Vertreter der Wirtschaftsverbände und der Gewerkschaften, aber eigentlich gibt es nichts Aufregendes zu vermelden. Keine besondere Schweinerei, kein Erfolg.

Die Rangelei um die Früh-Verrentung ist der Sache nach eine einzige Farce, denn erstens hält schon jetzt der allergrößte Teil der Lohnabhängigen gar nicht mehr bis zum offiziellen Rentenalter durch, weil sie die lebenslängliche Buckelei schlicht körperlich und psychisch kaputt gemacht hat. Oder die Betriebe tun alles, um die fordistischen Altlasten durch jüngeres, flexibleres und leistungsfähigeres Menschenmaterial zu ersetzen. Ohnehin werden durch eine Frühverrentung so gut wie keine Arbeitsplätze für Jüngere frei, wie es die offizielle Ideologie weismachen will. Viele der frei werdenden Stellen werden einfach gar nicht mehr besetzt, während den übrig bleibenden Arbeitern einfach ein größeres Leistungspensum abgepresst wird.

Allenfalls dreht es sich beim Streit um die Früh-Verrentung noch um die Frage, wer dafür in Zukunft zur Kasse gebeten werden soll. Bisher hat es die Kapital-Seite immer recht gut verstanden, die Kosten auf die Sozialkassen und die Bundesanstalt für Arbeit abzuwälzen. Da ist es natürlich nicht genehm, jetzt in die Pflicht genommen zu werden. Andererseits läßt sich damit das Wohlverhalten der Gewerkschaften in den Tarifrunden der nächsten Jahre erkaufen. Fragt sich natürlich, ob es das noch braucht. IG-Metall-Chef Klaus Zwickel wäre gewiss der Letzte, der sich am »Standort Deutschland« versündigen würde, aber immerhin gibt es auch bei deutschen Gewerkschaften noch so etwas wie einen Rechtfertigungsdruck gegenüber der schwindenden Mitgliedschaft. Da muss einfach irgendein Erfolg präsentiert werden, und sei er nur symbolisch, um das Zurückstecken bei den Lohnforderungen zu begründen.

Überhaupt ist die symbolische Wirkung wohl das Wichtigste bei der Veranstaltung. Wenig ist das nicht. Einschneidende Beschlüsse sind von der Runde im Kanzleramt auch in Zukunft wohl kaum zu erwarten. Die werden weiter unten gefällt und umgesetzt, näher dran am Geschehen in den Betrieben und des deregulierten Arbeitsmarktes. Gegenüber dem, was hier schon seit Jahren längst passiert, wirkt das Bündnis für Arbeit geradezu altmodisch, zahm und behäbig, wie ein Relikt aus den Zeiten des Hoch-Fordismus. Konzertierte Aktion nannte sich das damals.

Aber genau auf diesen Déjˆ-vu-Effekt kommt es an. Das Bündnis für Arbeit ist die Inszenierung der viel beschworenen deutschen »Sozialpartnerschaft« unter den Bedingungen des Verfalls ihrer ökonomischen Grundlage. Anders als im fordistischen Nachkriegsboom expandiert die kapitalistische Realakkumulation heute nicht mehr, sondern schrumpft. Es geht also nicht mehr darum, »sozialpartnerschaftlich« zu entscheiden, welche Seite wieviel von den Zuwächsen der Wertmasse erhält, sondern wer überhaupt noch daran beteiligt wird und zu welchen Bedingungen. Unter solchen Voraussetzungen lässt sich selbst in Deutschland ein Konsenskurs nicht so einfach durchhalten. Die ewige Leier, durch Lohn-Verzicht, Flexibilisierung und Kürzung von Sozialleistungen würden am Ende auch neue Arbeitsplätze geschaffen, mochte der Kohl-Regierung niemand mehr so recht abnehmen. Deshalb musste sie schließlich auch gehen.

Die Schröder-Regierung hat die Akzente verschoben. Sie proklamiert »soziale Gerechtigkeit«, umschmeichelt den berüchtigten »kleinen Mann« als »Leistungsträger«, und schwafelt von der »Wiedergewinnung der Politikfähigkeit«, um gleichzeitig umso konsequenter und brutaler die Überreste des sozialstaatlich abgesicherten Nachkriegskapitalismus zu entsorgen. Der Fall Holzmann ist ein Paradebeispiel dafür. Die Botschaft lautet: »Super-Schröder« hat die Arbeitsplätze dieser fleißigen und ehrlichen Menschen gerettet und die nehmen dafür gerne in Kauf, künftig länger und für weniger Geld zu arbeiten. »Holzmann-Arbeiter dürfen auf Lohn verzichten«, hieß es in einer Agenturmeldung, als es Gewerkschaft, Betriebsrat und Management gelungen war, einen juristischen Trick zu ersinnen, um den Tarifvertrag zu hintergehen.

Dabei ist allseits bekannt, dass mit der Aktion keine Arbeitsplätze gesichert, sondern wahrscheinlich sogar welche vernichtet werden. Nicht nur weil im Holzmann-Konzern mindestens 3 000 Stellen wegfallen, sondern weil dessen »Rettung« nur eine Verschiebung des Arbeitsplatzabbaus hin zu anderen Betrieben bedeutet. In der Baubranche gibt es, wie in fast allen anderen Branchen auch, Überkapazitäten - und das bedeutet nun einmal, dass ein Teil der verausgabten Arbeit nach kapitalistischen Kriterien überflüssig ist.

Es geht also nur noch darum, wer unter die Räder kommt. Momentan sieht es so aus, als würden vor allem die mittleren Betriebe für den Holzmann-Deal bezahlen - und natürlich alle Beschäftigten der Baubranche, denn der offene Bruch mit dem Tarifvertrag wird die ohnehin schon brutale Dumpingkonkurrenz bei den Sozial- und Arbeitsstandards noch weiter verschärfen. Lange wird sich auch in West-Deutschland wohl der Flächentarif selbst in seiner aufgeweichten Form nicht mehr halten.

Das Holzmann-Spektakel sollte demonstrieren, dass es sich lohnt, sich begeistert der krisenkapitalistischen Dynamik zu unterwerfen, obwohl jeder sehen konnte, dass hier nur Verlierer gegen Verlierer stehen. Das Bündnis für Arbeit steht für dieselbe Botschaft auf übergeordneter Ebene. Dies Betrug oder Manipulation zu nennen, wäre grundfalsch. Seit Jahren schon ist immer wieder nachgewiesen worden, dass eine noch so rücksichtslose Anpassung nach unten die Zahl der Arbeitsplätze nicht vermehrt. Weil aber der kapitalistische Selbstlauf längst als Naturgesetz hingenommen wird, muss diese Einsicht verdrängt werden.

Insofern bedient das Bündnis für Arbeit durchaus ein verbreitetes Bedürfnis. Es ist das Meta-Spektakel von Harmonie und Eintracht, die bei Bedarf dann »unten« abgerufen werden können. Nostalgie gibt es eben nicht nur im Osten, sondern mindestens ebenso sehr im Westen der Republik. Eine Nostalgie nach dem »rheinischen Kapitalismus« und seinen angeblich so goldenen Zeiten. Eine Nostalgie, die das Gegenteil von Widerstandsgeist ist. Nach dem soeben in Berlin vorgestellten »Arbeitslosenreport 1999« sind 60 bis 80 Prozent aller Arbeitslosen bereit, sich erhebliche Unverschämtheiten gefallen zu lassen - vom langen Anfahrtsweg über starke Lohn- und Gehaltseinbußen bis hin zu den ungünstigsten Arbeitszeiten -, um überhaupt wieder eine Stelle zu bekommen. Den Moderator des Bündnis für Arbeit und »Retter« der Holzmann-Arbeiter wird's freuen.