Das große Umverteilen

Nach zehnjährigem Streit liegt dem polnischen Parlament nun ein Gesetzesentwurf über die Rückgabe staatlichen Eigentums an Alteigentümer vor.

Polen steht eine gigantische Umverteilung von Eigentum bevor. Immobilien und Grundstücke im Wert von insgesamt bis zu 140 Milliarden Zloty (rund 35 Milliarden Euro) könnten demnächst den Besitzer wechseln. Möglicherweise drei Millionen Personen werden Vermögen zukommen, die sich bisher in staatlicher Hand befunden haben.

Grund ist ein ausgeklügelter Gesetzesentwurf, der den zehnjährigen Streit um die Reprivatisierungen in Polen beilegen soll. Der vom Finanzminister Leszek Balcerowicz vorgelegte Entwurf ist der fünfzehnte Anlauf zu einer Reprivatisierungs-Regelung und hat gute Chancen, noch in dieser Legislaturperiode im polnischen Parlament, dem Sejm, verabschiedet zu werden. Jahrelang war umstritten, auf welcher rechtlichen Grundlage Alt-Eigentümer zu bestimmen seien. Nimmt man beispielsweise die heutige Staatsbürgerschaft als Kriterium, so sind zwar vertriebene Deutsche ausgeschlossen, aber mit ihnen auch die ausgewanderten polnischen Juden. Die Eigentumsverhältnisse vor der deutschen Okkupation scheiden als Kriterium aus: So hätte man zwar die Gruppe der polnischen Juden und Auswanderer integriert, aber auch die Deutschen, die damals in Polen wohnten. Dagegen wären jene Polen ausgeschlossen, die zu diesem Zeitpunkt in Pommern oder Niederschlesien, also auf dem damaligen Staatsgebiet des Deutschen Reichs, lebten.

Diese Probleme versucht das neue Gesetz zu umgehen: Von den Reprivatisierungen sollen alle die betroffen sein, die zum Zeitpunkt der Enteignung die polnische Staatsbürgerschaft besaßen. Von dem Gesetz ausgeschlossen sind damit die Deutschen, die unter das »Dekret vom 13. September 1946 über die Ausschließung von Personen deutscher Herkunft aus der polnischen Gesellschaft« ausgewiesen wurden.

Dagegen sollen jüdische Alteigentümer die Möglichkeit zur Rückerstattung bekommen. In der mittelpolnischen Industriemetropole Lodz etwa, wo viele Immobilien vor dem Krieg Juden gehört haben, erwartet die Verwaltung ungefähr 2 000 Reprivatisierungsanträge. Anspruchsberechtigt sind nach der Gesetzesvorlage außerdem die so genannten Repatriierten, die nach dem Krieg bei der Eingliederung Ostpolens in die Sowjetunion umgesiedelt wurden, sowie polnische Staatsbürger »ukrainischer oder weißrussischer Nationalität«. Allerdings fallen auch die deutschsprachigen Minderheiten, die nach 1946 die polnische Staatsbürgerschaft behielten, unter die neue Regelung: Masuren, Schlesier und Kaschuben.

Die größte Kontroverse um den neuen Gesetzvorschlag löste ein anderer Punkt aus: Die alten Neu-Eigentümer sollen nur noch die Hälfte des heutigen Werts ihres ehemaligen Besitzes zurückerhalten. »Halbe Gerechtigkeit« nannte das die Gazeta Wyborcza. Doch nach zehn Jahren und 15 Anläufen sind die verhinderten Häuslebesitzer inzwischen zermürbt und hoffen nur noch darauf, überhaupt irgendwann irgendetwas zu bekommen.

Der größte Teil der ehemaligen Eigentümer bzw. der Erben und Rechtsnachfolger wird voraussichtlich ohnehin auf die Rückgabe verzichten und stattdessen eine Entschädigung fordern. Wie schon die Privatisierung wird auch die Reprivatisierung über Bons abgewickelt werden. Das Finanzministerium hofft daher, dass sich dafür ein Wertpapiermarkt etablieren wird.

Sollte das neue Gesetz durchgehen, sind allein in Warschau Chaos und auf Jahre ausgelastete Gerichte programmiert. Dort wurde nach dem Krieg fast der komplette Immobilien- und Grundstücksbesitz enteignet, um die völlig zerstörte Stadt wieder aufzubauen. Die Gebäude blieben jedoch nicht unbedingt in der Hand von Staat oder Kommune, sondern wurden wiederum weiterverkauft. Insbesondere einige Filetstücke rund um den Kulturpalast im Zentrum Warschaus sind derzeit heiß umkämpft.

Das Projekt der Reprivatisierung ist Teil des in Polen stattfindenden Geschichtsrevisionismus. Denn die Verstaatlichungen nach dem Krieg waren von einem relativ breiten gesellschaftlichen Konsens getragen. Weder die Übertragung von großen Gutsbesitzen an Genossenschaften noch der Wiederaufbau der zerstörten Städte unter staatlicher Verwaltung stießen auf großen Widerstand in der Bevölkerung. Bis Anfang der achtziger Jahre war die Eigentumsfrage selbst in den Reihen des antikommunistischen Widerstands kein Thema. Nun trägt auch die Debatte über die Reprivatisierung dazu bei, den Staatskapitalismus als eine Art Unfall der Geschichte erscheinen zu lassen, als eine von moskauhörigen Schergen oktroyierte Eigentumsregelung.

Eine schleichende Reprivatisierung findet ohnehin schon seit Jahren statt. Zuerst sicherte sich die katholische Kirche die Rückgabe aller nach dem Krieg verstaatlichten Immobilien und Grundstücke in einem besonderen Vertrag. Dieser kam sogar noch in den letzten Tagen der Regierung Rakowski im Frühjahr 1989 zustande. Bei der letzten staatssozialistischen Regierung holte die Kirche einen für sie prächtigen Abschluss heraus. Mit Entschädigungen gab man sich nicht zufrieden. An die Kirche wurden sogar Gebäude überschrieben, die sie zuletzt im 18. Jahrhundert ihr Eigentum nennen konnte.

Häufig hatten sich der Staat und die Gemeinden in den vierziger und fünfziger Jahren nicht formal korrekt in die Grundbücher eintragen lassen, sodass der Staat im Moment vielfach räumt, was ihm ohnehin formal nicht gehört. In Warschau wurden bereits rund tausend Immobilien zurückgegeben, unter anderem eine große Anzahl von historischen Gebäude an Mitglieder der ehemaligen polnischen Aristokratie.

Nur in einem Punkt sind sich alle Sejm-Parteien einig: dass die deutschen Vertriebenen aus Pomorskie (Pommern), Slask (Schlesien) und Masurze (Ostpreußen) kein Recht auf Rückerstattung oder Entschädigung haben sollen.

Seit Jahren überfluten die Vertriebenen alle nur möglichen Institutionen mit Forderungen. Die polnische Botschaft in Köln, sowie die Woiwodschaften und Gemeinden in Westpolen kämpfen mit mehreren Tausend Reprivatisierungsanträgen. Bei der Lodzer Stadtverwaltung melden sich wöchentlich fünf bis zehn Interessenten aus Deutschland.

Besonders der Bund der Vertriebenen (BdV) stellt massive Forderungen. Das inzwischen übliche Druckmittel gegen Warschau: Die Bundesregierung solle sich in Brüssel dafür einsetzen, dass der EU-Beitritt Polens von Entschädigungen oder Rückgaben abhängig gemacht wird.

Die so genannten Vertriebenen belasten immer wieder das deutsch-polnische Verhältnis. So musste im September der polnische Ministerpräsident Jerzy Buzek Anmaßungen des BdV zurückweisen. Buzek versuchte, die Emotionen zu dämpfen, die die Nachrichten über die »Heimatvertriebenen« in Polen auslösen. Der Verband sei ein »extreme Gruppe, wie sie in jedem demokratischen Land« existiere. Buzek irrt sich allerdings, wenn er glaubt, der BdV sei wegen seiner revisionistischen Positionen ein isoliertes Grüppchen. Mit Hilfe eines aus Staatsmitteln ausgestatteten Budgets hat der BdV in den letzten zehn Jahren die Meinungsführerschaft bei den »Alt»- sowie den »Gesinnungs- und Jungschlesier« in Deutschland und selbst den »Neuschlesiern« in Polen übernommen. Auch wenn unter Rot-Grün die Distanz zu den Vertriebenen zugenommen hat, gibt es doch manchen Sozialdemokraten und Grünen, der inzwischen sein Herz für den Annaberg und die »Gräuel« an den Deutschen entdeckt hat.

Polen verfolgt seit der Wende schon allein wegen seiner wirtschaftlichen Abhängigkeit vom großen Nachbarn eine Art Appeasement-Politik. Den »Schlesiern« wurden allerhand Zugeständnisse gemacht - weitaus mehr als den großen Minderheiten der Ukrainer und Weißrussen. Dass die Verteilung deutscher Pässe in Opole toleriert wurde, ist nur ein Beispiel dafür. Zudem wurde die deutschsprachige Minderheit mit in die Reprivatisierung einbezogen. Diese Entscheidung wird aber der Polnisch sprechenden Mehrheit in Slask wenig Freude bereiten und vermutlich die völkisch-deutschtümelnden Gruppen weiter stärken.