Die Blonde He

Die Ausstellung »Sport unter dem Davidstern«.

August 1936: Bei einer olympischen Siegerehrung steht die Florett-Fechterin Helene Mayer auf dem Podest und hebt die Hand zum Deutschen Gruß. Sie war eine von zwei jüdischen Sportlern, die an der Olympiade für das gastgebende Nazideutschland teilnahmen. Dem Ausland sollte ein ebenso erfolgreiches wie friedliches »Drittes Reich« präsentiert werden, ein offizieller Ausschluss aller jüdischen deutschen Sportler hätte da wenig ins Bild gepasst. Offiziell wurde daher erklärt, jüdische Sportlerinnen und Sportler würden in die deutsche Mannschaft aufgenommen, sofern sie die Leistungsnormen erfüllten. Gretel Bergmann, die den deutschen Hochsprungrekord hielt und sich damit eigentlich für Olympia qualifiziert hatte, verweigerte man jedoch die Teilnahme. Eine »Volljüdin« als Medaillengewinnerin wollten die NS-Machthaber nicht riskieren.

Nach der Rassenlogik der Nationalsozialisten waren allenfalls zwei »Halbjuden« akzeptabel: Die Florettfechterin Helene Mayer und der Eishockey-Spieler Rudi Ball. Mit ihrer Teilnahme wollte man den Boykottaufrufen gegen die Olympiade in Berlin entgegentreten, wie sie vor allem in den USA wegen des staatlichen Antisemitismus in Deutschland laut wurden. Tatsächlich weigerten sich viele jüdische Sportler und Sportlerinnen, nach Deutschland zu kommen. Nicht jedoch Helene Mayer, genannt »Die Blonde He«.

Die Deutsche, die bereits 1932 zu einem Studienaufenthalt in die USA gereist war, zog es nach der Machtergreifung der Nazi vor, auf der anderen Seite des Atlantiks zu bleiben. Doch der Einladung zu den Olympischen Spielen folgte sie und gewann eine Silbermedaille. Ihr Gruß auf dem Siegerpodest verdeutlicht auf tragische Weise, wie sehr sich die Sportlerin mit ihrem Heimatland identifizierte, in dem es zu diesem Zeitpunkt bereits die Nürnberger Gesetze und Konzentrationslager gab. Nach den Spielen kehrte die Blonde He zurück in die USA.

Zwei Floretts der mehrfachen Olympiasiegerin Mayer sind derzeit im Rahmen der Internationalen Wanderausstellung »Sport unter dem Davidstern« in Berlin zu sehen. Zweisprachig und mit vielen überraschenden Beispielen aus den frühen Jahren der Fotografie dokumentiert die Ausstellung die Geschichte des jüdischen Sports bis 1945: Von der Entstehung jüdischer Turnvereine vor allem im deutschsprachigen Raum, über die internationale Makkabi-Bewegung, die 1932 die erste jüdische Olympiade veranstaltete, bis zur Verfolgung der jüdischen Sportler im Nazideutschland.

Ihren Anfang hat die jüdische Turnbewegung in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts. Zu dieser Zeit, in der sich das Turnen allgemein immer größerer Beliebtheit erfreute, wurden die ersten jüdischen Turnvereine gegründet. Dazu gehört der Berliner Jüdische Turnverein Bar Kochba, der 1898 entstand. »Die einseitige Ausbildung des Geistes, die unsere Nervosität und geistige Abspannung hervorgerufen hat«, wollten seine Gründer bekämpfen. Und die neue Turnbewegung konnte sich durchsetzen. Vor dem Ersten Weltkrieg waren bereits 84 jüdische Vereine in sechs Ländern entstanden. Einige waren durchaus erfolgreich, dazu gehörte Hakoah Wien, dessen Fußballmannschaft 1925 die österreichische Meisterschaft gewann.

Vor allem zwei Faktoren hatten die Entstehung der jüdischen Vereine beschleunigt. Der gesellschaftliche Antisemitismus wurde zum einen immer stärker. 1887 hatte der Erste Wiener Turnverein z.B. mit einem Arier-Paragrafen als erster Club selbst getauften Juden die Teilnahme untersagt. Zwar duldeten die meisten Turnvereine weiterhin jüdische Mitglieder, aber um den täglichen Diskriminierungen zu entgehen, wechselten viele Sportler lieber in die jüdischen Vereine. Auf der anderen Seite begann sich die Zionistische Bewegung, die ihren ersten Kongress 1897 in Basel abhielt, zu formieren. Bereits auf dem zweiten Zionistischen Kongress forderten Max Nordau und Max Mandelstam eine eigenständige jüdische Turnbewegung. Auf diese Weise hofften sie dem verbreiteten antisemitischen Zerrbild vom körperlich unterlegenen Juden entgegenzutreten. Nordau selbst benutzte den Begriff des »Muskeljudentums«, das eine gesellschaftliche Aufwertung der Juden befördern sollte.

Zudem boten die Turnvereine eine Gelegenheit, neue Anhänger für die zionistische Bewegung zu gewinnen. Denn zu den Aufgaben eines Vereins gehörte nach damaligem Verständnis neben der körperlichen auch die sittliche Erziehung. »So selbstverständlich für uns heute der unpolitische Sport ist, so selbstverständlich war es damals, dass ein Verein auch eine bestimmte politische Richtung vertrat«, erklärt der Sporthistoriker Toni Niewerth dazu. Entsprechend versuchten zionistisch orientierte Vereine wie der Berliner Bar Kochba, die »national-jüdische Gesinnung ihrer Mitglieder« zu fördern. Gemeinsame Ausflüge sollten das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken, bei Heimabenden wurde das Wissen über jüdische Geschichte und Kultur vertieft, Hebräisch-Kurse wurden angeboten. Der Versuch, hebräische Kommandos auf dem Turnboden einzuführen, war dagegen nur mäßig erfolgreich.

Einen Höhepunkt bildeten die von den Vereinen organisierten Wanderfahrten nach Palästina. Die erste, die noch vor dem Ersten Weltkrieg stattfand, galt als so abenteuerlich, dass es Frauen untersagt wurde, teilzunehmen. Schließlich waren auch die jüdischen Turn- und Sportvereine, wie damals üblich, geprägt von männlichen Werten und Idealen. Dennoch gab es von Anfang an aktive Sportlerinnen in den jüdischen Vereinen, häufig prozentual sogar mehr als in den nichtjüdischen.

Dem politischen Spektrum entsprechend entstanden neben den zionistisch ausgerichteten Turnvereinen auch jüdische Vereine in Opposition zu diesen. So wurde zum Beispiel in Palästina 1926 die sozialistische Arbeitersport-Vereinigung Hapoel als Alternative zum bürgerlichen Makkabi gegründet. In Deutschland entstand 1933 der Sportbund Schild, in dem sich die aus anderen Vereinen ausgeschlossenen jüdische Sportler zusammentaten, die nicht den zionistischen Vereinen beitreten wollten. Stattdessen zeigte sich der Schild-Bund betont dem Deutschtum und dem »deutsch-vaterländischen Geist« verbunden.

Nach der Machtübernahme der Nazis 1933 nahmen die Sportverbände entsprechende Gesetze vorweg und schlossen die jüdischen Vereine innerhalb weniger Monate aus. Trotz des Bestehens der verschiedenen jüdischen Turnvereine war die Mehrzahl der jüdischen Sportler in Deutschland bis zu diesem Zeitpunkt Mitglied in den allgemeinen Vereinen gewesen. Nun wurden sie aus diesen Vereinen hinausgeekelt. Dadurch erlebten die jüdischen Turn- und Sportvereine trotz aller Schwierigkeiten und Beschränkungen einen unerwarteten Aufschwung: Zählten die Vereine 1933 noch 15 000 Mitglieder, so stieg ihre Zahl bis 1935 auf fast 40 000 an.

Von einer feindlichen Umwelt bedrängt, entwickelten die Vereine ein neues Selbstbewusstsein. Da der jüdische Sport von den allgemeinen Wettkämpfen ausgeschlossen war, organisierte man einen eigenen Spielbetrieb. Die Vereinsarbeit wurde den neuen Gegebenheiten angepasst, selbst die Auswanderung der Mitglieder wurde in den Vereinen organisiert. Der Sportbetrieb konnte weitgehend aufrecht erhalten bleiben - bis 1938. Den Pogromen am 9. und 10. November folgte das Verbot aller jüdischen Organisationen, die nicht ausschließlich der Auswanderung dienten. Hier endet auch die Ausstellung.

»Sport unter dem Davidstern« ist vom 10. Januar bis zum 11. Februar, montags bis freitags zwischen 10 und 17 Uhr, in der Führungs-Akademie des Deutschen Sportbundes, Priesterweg 6, in Schöneberg zu sehen.