Gefährlicher Import

Asienpfanne XIII: Trotz Asien-Krise und eines geringeren Wirtschaftswachstums ist Taiwans Wirtschaft erstaunlich stabil geblieben. Gefahr droht nur vom chinesischen Festland.

Die Aussichten sind düster. Für das Jahr 1999 erwarten Wirtschaftsexperten für Taiwan ein Wirtschaftswachstum, so gering wie seit 13 Jahren nicht mehr. Gerechnet wird mit einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (Bip) von unter fünf Prozent, einige Schwarzseher erwarten sogar ein Wachstum von um die drei Prozent. Schlechte Daten für ein Land, das in den neunziger Jahren zumeist von zweistelligen Wachstumsraten verwöhnt wurde. Auch der Immobilien- und der Aktienmarkt zeigen Anzeichen einer aufziehenden Krise.

Ähnlich wie in den anderen von der Asien-Krise betroffenen Ländern erlebte Taiwan in den letzten Jahren einen zu großen Teilen kreditfinanzierten Bauboom, der die Immobilienpreise in unrealistische Höhen trieb. Ende 1998 platzte auch in Taiwan die Spekulationsblase, was den Kreditsektor in hohem Maße beeinträchtigte. Zwischen fünf und zehn Prozent der Bankkredite sind nach vorsichtigen Schätzungen faul, zumeist Folge von Fehlspekulationen auf dem Immobilienmarkt.

Auch der Aktienmarkt reagierte äußerst empfindlich auf die Krise. Seit August 1997 verlor der taiwanesische Aktienindex um die 40 Prozent, auch Folge massiver Umsatzeinbußen der extrem exportorientierten taiwanesischen Wirtschaft auf dem asiatischen Markt. 40 Prozent der taiwanesischen Exporte werden in Asien realisiert. Neben der VR China stellt vor allem das besonders stark von der Krise betroffene Thailand den wichtigsten Markt taiwanesischer Waren dar.

Aber selbst die pessimistischsten Annahmen von nur drei Prozent Wirtschaftswachstum für 1999 würde in so manchem von der Asien-Krise betroffenen asiatischen Nachbarn Taiwans Neid erwecken. Taiwan hatte seit 1997 keinen Einbruch in den Wachstumsraten zu verzeichnen, was im asiatischen Raum sonst nur die VR China von sich sagen kann, deren Statistiken höchst zweifelhaft sind.

Mit 90 Milliarden Dollar besitzt Taiwan die zweitgrößten Devisenreserven der Welt, die es auch gewillt ist, in größerem Rahmen zur Stabilisierung der Landeswährung auf den internationalen Devisenmärkten einzusetzen, wie sich 1997 während der ersten kritischen Phase der Asien-Krise zeigte. Doch selbst als die taiwanesische Zentralbank den Taiwan-Dollar im Oktober 1997 den Marktkräften überließ, verlor die Landeswährung nur einen Bruchteil ihres Wertes.

Vergleicht man die taiwanesische Situation mit einigen von der Asien-Krise besonders betroffenen Ländern, so wird deutlich, warum Taiwan bis heute von einer Krise größeren Ausmaßes verschont blieb. Anders als in Thailand, Südkorea und Indonesien verhinderte ein tief verwurzelter finanzpolitischer Konservatismus eine allzu freizügige Kreditvergabe taiwanesischer Banken zur Finanzierung von Risikoprojekten und Spekulationen. In seiner Sonderstellung als ein von den meisten Staaten nicht anerkanntes Land und als Nichtmitglied des IWF ist Taiwan bei finanziellen Problemen größeren Ausmaßes auf sich selbst gestellt. Neben der Notwendigkeit großer Devisenreserven und einer vorsichtigen Finanzpolitik führte dies zu einem vergleichsweise geringen Niveau der Auslandsverschuldung, 1998 gerade einmal 15 Prozent des Bip.

Vergleicht man Taiwan mit Südkorea, lange Zeit Weggefährte in der Erfolgsstory der Tiger-Staaten in den späten achtziger und frühen neunziger Jahren, so fällt vor allem ein gravierender Unterschied auf. In Südkorea lag der Schwerpunkt der wirtschaftlichen Entwicklung auf der Bildung riesiger, eng mit den staatlichen Strukturen verzahnter Mega-Unternehmen, den sog. Chaebols. Die taiwanesische Wirtschaftsentwicklung stützte sich seit Ende des Zweiten Weltkrieges vor allem auf kleine und mittelgroße Privatunternehmen, die mit ihrer großen Flexibilität und Innovationsbereitschaft wesentlich zum »Erfolgsmodell Taiwan« beigetragen haben. Diese besitzen die notwendige Wendigkeit, auch in Krisensituationen stabilisierend zu wirken.

Dennoch zeigen sich auch in Taiwan Parallelen zu den anderen ehemals diktatorisch regierten asiatischen Staaten. Die Guomindang, die nach der Flucht Tschiang Kai-Tscheks auf die Insel 1949 lange Zeit allein herrschte, hält selbst Jahre nach Beginn des Demokratisierungsprozesses viele Schlüsselpositionen in Politik und Wirtschaft besetzt, die nur auf dem Papier demokratischer Kontrolle unterworfen sind. Die Folge ist ein enges Geflecht von auf Beziehungen basierenden Strukturen, die von Korruption und Gefälligkeitsdiensten bestimmt sind. Diese bergen ein ähnliches Krisen-Potenzial wie vergleichbare Strukturen in Thailand und Südkorea in sich.

Die größte Gefahr droht Taiwan jedoch von außen, oder - wie beide chinesische Regierungen sich ausdrücken würden - von der anderen Seite der Taiwan-Straße. Und dies nicht nur auf politischem Gebiet. Zwar stellt die beständige politische und die drohende militärische Konfrontation mit der VR China einen nicht zu unterschätzenden Unsicherheitsfaktor dar, die ständig wachsende wirtschaftliche Abhängigkeit Taiwans vom chinesischen Festland könnte sich jedoch als das größere Problem erweisen.

Auf wirtschaftlicher Ebene hat die Verflechtung Taiwans mit dem Festland schon heute ein Niveau erreicht, das eine Umkehr unmöglich erscheinen lässt. Vor allem die arbeitsintensiven Sektoren wichtiger Schlüsselindustrien wie der Computer- und der Elektronik-Branche wurden in den letzten fünf Jahren auf das Festland ausgelagert. Zudem stellt die VR China mit einem Anteil von 25 Prozent den wichtigsten Exportmarkt Taiwans dar. Auf der Insel mehren sich bereits Stimmen, die von einer wirtschaftlichen und damit politischen Abhängigkeit Taiwans vom Festland warnen.

Auf politischer Ebene könnte diese Abhängigkeit Taiwan erpressbar machen. Auf wirtschaftlicher Ebene besteht die Möglichkeit, dass die Asien-Krise Taiwan über den Umweg China am Ende doch in voller Stärke erreicht.