Berlin zu Beginn des Jahres 2000

Kraftakt der Ignoranz

Gefährliche Orte LXXXIV: Berlin zu Beginn des Jahres 2000. Ein urwüchsiger Starkdenker aus dem Osten kämpft mit der faschistischen Ästhetik eines Albert Speer für die Völkerverständigung.

Vor einem Jahr zu Silvester schaute der Theaterregisseur und Lichtdesigner Gert Hof in den Berliner Himmel, und was sah er? »Was ich sah, war Fleurop, dieses Mittelmaß der Pyrotechnik.« Und da beschloss er, der Hauptstadt zum Ende des Millenniums ein Event zu schenken, wie es die Welt noch nicht erlebt hat. 3,8 Millionen Watt Strom, 250 Xenon-Scheinwerfer mit einer Reichweite von 70 Kilometern, 550 Speziallampen, zwölf Leuchtballons von fünf Metern Durchmesser und ein Riesenfeuerwerk, das 500 Meter hoch aufsteigt, und 250 000 Taschenlampen sollen an der Siegessäule zu einem offiziellen Weltrekordversuch aufgeboten werden.

Die Produktionsfirma Art in Heaven, so kann man es auf ihrer Homepage nachlesen, plant nichts Geringeres als das »größte Silvester-Spektakel aller Zeiten«, das Grösispaz also. Fünfhunderttausend Menschen werden erwartet, »123 Sattelschlepper, die zusammen eine Länge von 2,3 Kilometern haben, bringen die Ausrüstung für dieses Ereignis der Superlative in die Hauptstadt. 760 Leute sind fünf Tage mit den Aufbauarbeiten beschäftigt, 70 Kilometer Kabel werden verlegt, 4,2 Kilometer Straße für die Besucher freigehalten und der Flugverkehr über Berlin wird während der Veranstaltung eingestellt. Die Ausläufer des Lichtspektakels können in Dresden und Hamburg am Himmel beobachtet werden.«

Um Mitternacht sollen die Besucher ihre Taschenfunzeln schwenken, die sie im Doppelpack zum Preis von 20 Mark bei Art in Heaven erworben haben. Gert Hof will so »einen Moment der Stille erzeugen. Jeder soll die Sekunde des Jahrtausendwechsels anmutig und innig erleben, bevor sich die gewaltige Lichtkathedrale am Himmel aufbaut.« Das Ganze ist als »ein Kunstwerk zur Völkerverständigung« gemeint. Es singen und spielen: Mike Oldfield, Bobo und die Staatskapelle St. Petersburg und der Glinka-Chor.

Das wäre nun gar nichts Besonderes, sondern bloß der ganz normale Hauptstadt-Größenwahn, hätte nicht irgend jemand herausgefunden, dass Hofs Lichtkathedrale auf unangenehme Weise an ein älteres Event erinnert: 1936 setzte Albert Speer, der Lieblingsarchitekt Hitlers und spätere Rüstungsminister, einen Lichtdom aufs Berliner Olympiastadion, den Hof, wenn er sich nicht von ihm inspirieren ließ, mit einigem Kraftaufwand ignoriert haben muß. Die Ähnlichkeit beider Entwürfe ist jedenfalls kaum zu übersehen.

Hof empfahl sich fürs Grösispaz mit seinen »grandiosen Lichtkompositionen bei den Konzerten und Videos der Band Rammstein«, man hätte also wissen können, dass er gern einmal mit faschistischer Ästhetik hantiert und, wenn's passt, gern ein paar laufende Meter Leni Riefenstahl verwendet. In aller Unschuld, versteht sich.

Nun haben Scheinwerfer, die ihr weißes Licht in den Nachthimmel richten, als suchten sie ihn nach feindlichen Bombern ab, ohnehin etwas Kriegerisches. Und Neonazis könnten auf die Idee kommen, am Denkmal für den letzten militärischen Sieg des Deutschen Reiches, das Speer vom Reichstag entfernen und auf den Großen Stern verpflanzen ließ, solle mit der Re-Inszenierung eines seiner vergänglichen Werke des Baumeisters der Reichshauptstadt Germania gedacht werden. Sie wüssten also, wo das neue Jahrtausend stilvoll zu begrüßen wäre, und würden vermutlich keine Taschenlampen mitbringen, sondern lebendiges Feuer, wie es zu ihren nächtlichen Aufmärschen gehört. So etwas gäbe eine schlechte Presse.

Deshalb legten einige, die um Deutschlands Ansehen in der Welt besorgt sind, ihren Protest ein. Die Schriftsteller Günter Grass, Peter Rühmkorf und Johano Strasser, die Historiker Hans und Wolfgang Mommsen, der Pfarrer Friedrich Schorlemmer und der Grafiker Klaus Staeck erkannten im Grösispaz »das falsche Zeichen für Deutschland«, nämlich ein »pseudosakrales Massenritual«, wie es in totalitären Systemen üblich sei, und verlangten seine Absetzung vom Festprogramm: »Eine lebendige Demokratie verfügt über andere Symbole.« Der Historiker Arnulf Baring erwiderte, eine Ästhetik, die von den Nazis benutzt wurde, sei nicht schon deshalb, weil die Nazis sie benutzten, auf ewig diskreditiert.

Hof wehrte sich gegen die Vorwürfe mit den in solchen Fällen bewährten rhetorischen Mitteln: Ich bin Hof, wer ist Speer? »Ich habe mit dem Dritten Reich nichts zu tun, weder mit Albert Speer noch mit der anderen Schwester, Leni Riefenstahl. Das ist eine Ästhetik oder eine Philosophie, die hat mit Gert Hof zu tun.« Allerdings habe er »immer die Grenzen gesucht, immer die Tabus gesucht, und die findet man ja bei dem gnadenlosen Mittelmaß im Westen endlos.« Und so kämpft denn der urwüchsige Starkdenker aus dem Osten mit der faschistischen Ästhetik eines Speer für die Völkerverständigung und mit dem Softschnulzentum eines Mike Oldfield gegen das Mittelmaß.

Zwar hatte der Senatsbeauftragte für die Millenniumsfeiern, Ulrich Eckhardt, schon immer darauf bestanden, die Hofsche Lichtkathedrale sehe nur im Entwurf so weiß und starr aus wie Speers Lichtdom, in der Wirklichkeit werde sie bunt und bewegt sein, ein »farbenfrohes Spektakulum«. Außerdem diene sie ja ganz offensichtlich einem unschuldigen Zweck, nämlich der zwanglosen Versammlung fröhlicher Menschen. Trotzdem nahmen die zuständigen Herren des Senats und der Bezirke, um gröbere Schäden abzuwenden, den Künstler ins Gebet.

Man einigte sich schließlich, der Berliner Zeitung zufolge, auf ein ganz neues Konzept: Die Scheinwerfer sollen »die Geometrie des kreisförmigen Platzes an der Siegessäule verlassen. Die Säule selbst wird in einem blauen Neonlicht-Zylinder verschwinden. Gleichzeitig entsteht eine weiße Lichtsäule an anderer Stelle. Damit soll das Zentrum des Platzes optisch verschoben werden. Der Künstler will so die Symmetrie in dem Schauspiel auflösen. Außerdem sollen nicht mehr nur weiße Scheinwerfer, sondern Lichtstrahler in bunten Farben eingesetzt werden. Der Focus der Show wird mehr auf die Bühne gerichtet als bisher.« Und Speer wird sich im Grabe umdrehen.

Verlangt aber das reformierte Event nicht nach einem neuen Motto? Wenn weißes Licht der Völkerverständigung dient, blaues oder gar buntes aber auch, dann werden dem Voluntarismus und der ästhetischen Beliebigkeit Tür und Tor geöffnet. Der Berliner Senat sollte schleunigst eine Entscheidung fällen. Die Zeit drängt, denn Silvester ist auch in diesem Jahr am 31. Dezember.