Rechte für Immigranten-Rechte

Diese Woche entscheidet sich, ob das konservativ regierte Spanien eines der progressivsten Einwanderungsgesetze Europas kriegt.

Keine Woche vergeht, ohne dass die spanische Küstenwache schiffbrüchige Flüchtlinge aus dem Meer fischt. Und diejenigen, die von den Grenzern an Bord genommen werden, um dann umgehend wieder über die Straße von Gibraltar zurückgebracht zu werden, haben meist noch Glück gehabt: Darüber, wie viele Nordafrikaner jedes Jahr die gefährliche Überfahrt mit dem Leben bezahlen, gibt es nur Vermutungen.

Bis vor wenigen Jahren kam illegale Einwanderung in Spanien noch kaum vor. Die weitaus meisten der Flüchtlinge, die an der Südküste illegal an Land gingen, reisten sofort weiter nach Frankreich oder Deutschland. Eher suchten Spanier in Lateinamerika und in nordeuropäischen Ländern ihr Glück, als dass Ausländer auf der Iberischen Halbinsel Asyl beantragten.

Seit einigen Jahren ist Spanien aber vom Auswanderungs- zum Einwanderungsland geworden. Während der letzten vier Jahre ist die Einwanderung um 20 Prozent angestiegen. Die meisten Flüchtlinge verschwinden jetzt in den spanischen Großstädten, in Madrid, Barcelona, Valencia oder Málaga. Vor allem Marokkaner und Südamerikaner verrichten hier Arbeiten, die viele Spanier ablehnen. Im Baugewerbe und in der Hotel- und Gastronomiebranche verdienen sie - meistens illegal - ihren Lebensunterhalt.

720 000 Ausländer sind in Spanien gemeldet: etwas mehr als zwei Prozent der Gesamtbevölkerung. Jetzt soll das Einwanderungsgesetz aus dem Jahre 1985 liberalisiert und der Rechtsstatus von Einwanderern an den der Spanier angeglichen werden. Bereits 1991 hatte die damalige sozialistische Regierung unter Ministerpräsident Felipe González ein Amnestiegesetz verabschiedet, das den Aufenthalt von mehr als 100 000 Ausländern legalisierte.

Am 25. November stimmte das Madrider Abgeordnetenhaus nach 18monatigen Beratungen einstimmig für ein neues Gesetz, welches die Situation der Ausländer vor allem in zwei Punkten verbessern soll: Einerseits sollen die Verfahren und die Bestimmungen für die begehrte Aufenthaltsgenehmigung residencia vereinfacht werden, um die Einwanderer schneller in die spanische Gesellschaft integrieren zu können und sie sozial abzusichern. Alle Ausländer sollen künftig Anspruch auf soziale Fürsorge und die Grundleistungen der Sozialversicherung haben. Weniger streng sollen auch die Voraussetzungen für den Erwerb einer Arbeitserlaubnis gestaltet werden.

Andererseits soll die Neuregelung bereits den illegalen Einwanderern ein Recht auf die staatliche medizinische Versorgung geben und minderjährigen Ausländern ohne Papiere den Zugang zu staatlichen Bildungseinrichtungen ermöglichen. Während nach dem Gesetz von 1985 nur legale Immigranten ein Recht auf Ausbildung hatten, sollen nach der neuen Regelung »alle Ausländer unter 18 Jahren am staatlichen Bildungswesen teilnehmen dürfen wie Spanier«, und auch das Recht haben, eine Universität zu besuchen und staatliche Stipendien zu erhalten.

Während es bis heute drei verschiedene Klassen von Aufenthaltsgenehmigungen gibt, die alle zeitlich beschränkt sind und für maximal zehn Jahre Gültigkeit besitzen, sieht die Neuregelung eine permanente residencia vor, die dem Inhaber die gleichen Rechte wie spanischen Staatsangehörigen zusichert. Ein Amnestiegesetz soll darüber hinaus alle illegalen Einwanderer legalisieren, die vor dem 1. Juni 1999 nach Spanien gekommen sind und vor mindestens drei Monaten einen Antrag auf Arbeits- oder Aufenthaltserlaubnis gestellt haben.

Man staunte noch, dass ein solches Reformgesetz ausgerechnet unter der Regierung des konservativen Partido Popular (PP) möglich sein sollte, da änderte Ministerpräsident José Mar'a Aznar abrupt seine Meinung und stellte sich gegen die eigene Parlamentsfraktion, die wie alle anderen Fraktionen dem Gesetz vorher zugestimmt hatte. Im Oberhaus, dem Senat, ließ Aznar 51 der 63 Artikel des Gesetzentwurfes modifizieren.

Der veränderte Gesetzestext muss jetzt nochmals das Abgeordnetenhaus passieren. Da dort weder die Sozialisten noch die baskischen Nationalisten des PNV dem abgewandelten Gesetzesentwurf der Regierung zustimmen wollen, muss die PP damit rechnen, dass ihr Projekt kurz vor der Weihnachtspause des Parlaments scheitert. Nachdem die Kanarische Koalition (CC), die normalerweise mit dem Partido Popular zusammenarbeitet, ihre Unterstützung abgesagt hat, können die Konservativen derzeit nur mit der Unterstützung der katalanischen Nationalistenpartei Convergencia i òni-n (CiU) rechnen.

Vor allem das Wirtschafts- und das Innenministerium waren gegen den Gesetzesentwurf des Abgeordnetenhauses Sturm gelaufen, ein Entwurf, der ihrer Meinung nach zu liberal ist. Viel zu kostspielig wäre es, erklärte ein Sprecher des Wirtschaftsressorts, wenn man illegalen Einwanderern Zugang zu medizinischer Versorgung und staatlicher Ausbildung gebe.

Also reduzierte die Regierungspartei im modifizierten Gesetzesentwurf das Recht auf Ausbildung auf die obligatorische Grundausbildung. Die Legalisierung von illegalen Einwanderern will die PP auf diejenigen beschränken, die bereits seit Januar 1999 in Spanien sind. Illegalen Einwanderern spricht der PP-Gesetzentwurf sämtliche Rechtsansprüche ab, und auch die legalen Einwanderer mit »Residencia« haben deutlich weniger Rechte als spanische Staatsbürger.

Egal, ob sich die Regierungspartei durchsetzen kann oder nicht: Eine mögliche Amnestieregelung für illegale Asylbewerber soll in jedem Fall durch schärfere Kontrollen an den weitläufigen spanischen Küsten sowie an den Grenzanlagen in den nordafrikanischen Exklaven Ceuta und Melilla begleitet werden. Damit diese Amnestie auch garantiert die letzte bleibt.