Texaner links von Mao

Nach zwanzig Jahren des Schweigens gibt es neue Lebenszeichen von Lee Hazlewood.

»I did it my way« - Zwischen Selbstbestimmung und Egozentrik passt nur der eigene Dickschädel. Doch machen wenigstens wir uns nichts vor: Die meisten Leute, Künstler eingeschlossen, machen sich in puncto »My Way« einiges vor. »Ihr Weg« ist vorher schon von unzähligen anderen Leuten ausgetrampelt worden. Lee Hazlewood gehört allerdings nicht dazu, und obwohl er »My Way« nie gecovert hat, kommt er daher wie das ideelle Morphing der beiden berühmtesten Interpreten des Stücks: Sid Vicious und Frank Sinatra.

Lee Hazlewood ist der Mann, vor dem die musikalischen Enkel, von den Einstürzenden Neubauten bis Oasis, in die Knie gehen, und der sich bisher trotzdem jeder gründlichen Revival-Vermarktung entzog. Denn Journalisten und PR-Menschen sind ihm lästig wie Schmeißfliegen. Lee-Hazlewood-Revival-Parties in mittelgroßen Kreisstädten, bei denen Leute Polonaise tanzen, sind das letzte, was ihm noch fehlte. Trotzdem sind nun - nach über zwanzigjährigem Schweigen, was unter anderem dazu führte, dass Lee-Hazlewood-Platten zu knappen, teuren Fetischobjekten wurden - drei alte Platten wieder herausgekommen und ein neues Album. Veröffentlicht von Smells Like Records, dem Label des Sonic Youth-Drummers Steve Shelley.

Lee Hazlewood. Nie gehört? Das würde den Mann, der zu den bedeutenden und erfolgreichen Produzenten und Interpreten der sechziger Jahre zählt, nicht weiter stören. Den Personenkult des amerikanischen Showbusiness empfand er schon immer als obszöne Belästigung. Deshalb folgte auf jeden kommerziellen Erfolg stets der Rückzug in die künstlerische und persönliche Eigenbrötelei.

Mitte der Sechziger, nachdem er unter anderem für Dean Martin eine Reihe respektabler Hits geschrieben hatte, verbrachte er gerade seine Tage am Swimming Pool seiner Villa in Beverly Hills, als Frank Sinatra an ihn herantrat. »Kümmer dich um meine Tochter« lautete die Ansage, der sich wohl kaum einer ernsthaft widersetzt hätte. Und Papa hatte wie immer Recht, denn aus der Zusammenarbeit Hazlewoods mit Nancy Sinatra enstand unter anderem ihr größter Hit »These Boots Are Made For Walking«. Hazlewood ist Produzent und Mastermind hinter dem Stück, in dem Nancy Sinatra ihrem Typen unmissverständlich zu verstehen gibt, dass sie sich sein schlechtes Benehmen nicht mehr gefallen lässt, und, anstatt zu leiden, von nun an Gleiches mit Gleichem vergilt. Plattmachen durch Überrennen könnte man auch sagen.

Eine Haltung, die aus weiblicher Perspektive in der Popkultur sonst so gut wie nicht existiert, und aus männlicher Perspektive in zahllosen Abstufungen schon fast die Regel ist. Gepaart mit der Musik und Nancy Sinatras Stimme wurde daraus die heimliche Hymne schlechtbehandelter Frauen, die genau den wunderbaren Moment beschreibt, wenn aus durchheulten Nächten endlich ein »Leck mich am Arsch, du Idiot« wird.

Nun wäre es grundfalsch und lächerlich, zu behaupten, Hazlewood sei der erste Pop-Feminist gewesen. Vielmehr ist er nach eigenem Bekunden Texaner und ansonsten »links von Mao«. Nein, Hazlewood dachte bei »These Boots Are Made For Walking« an ein »16jähriges Mädchen, das mit einem Lastwagenfahrer abhängt«. Fräulein Sinatra lieferte die entsprechende Interpretation dieser Gemeinschaft vortrefflich, obwohl Hazlewood heute behauptet, dass sie nicht wirklich kapiert habe, was er damit meinte.

Doch Hazlewood schrieb und produzierte nicht nur Stücke für Nancy Sinatra, sie sangen auch im Duett. Und diese Pop-Sinfonien sind sanft, harmonisch und kraftvoll einerseits, düster, andeutungsvoll und sexuell aufgeladen andererseits, dass es kaum verwundert, wenn Hazlewood heute in Interviews erzählt, der Pop-Tycoon Phil Spector sei in den frühen Sechzigern bei ihm im Studio aufgekreuzt, um sich von ihm erklären zu lassen, wie eine Echokammer am effektvollsten eingesetzt wird.

Jedes naive Suburbia-Liebespärchen kann zu diesen Stücken auf dem Sofa mit Plastik-Schonbezügen Händchen halten, ohne dass Mami und Papi hektische Flecken im Gesicht kriegen. Aber jeder, der auch nur einen Hauch von Verwegenheit in sich trägt, weiß, worauf Zeilen wie »some velvet morning when I'm straight / I'm gonna open up your gate« eigentlich hinaus wollen. Kaum vorstellbar, dass man »Too drunk to fuck« poetischer umschreiben könnte. Lee Hazlewood öffnete nie die Pforte von Nancy Sinatra, für alle, die es genau wissen wollen. Und Nüchternheit war auch nie sein Ding. Kollege Chivas Regal saß, wie sollte es anders sein, stets mit an den Reglern.

Die jetzt wiederveröffentlichte »Trouble Is A Lonesome Town« war Hazlewoods erstes Soloalbum und eigentlich nur als Katalog für andere Künstler gedacht, um Songs für neue Produktionen vorzustellen. Zwischen den Songs meldet sich Hazlewood mit verschiedenen Geschichten zu Wort, die stilistisch an seine Zeit als Radio-DJ in Phoenix angelehnt sind, als er manchmal in mehreren Rollen gleichzeitig seine Stücke ansagte. »Requiem For An Almost Lady« zeigt Hazlewood von seiner unkommerzielleren, aber nicht weniger schönen Seite, in der immer auch Melancholie und Traurigkeit, aber nie Selbstmitleid mitklingt. Verharren bedeutet für ihn immer das Ende, und jeder Abschied ist für Hazlewood immer auch notwendiger Anfang.

Was hat der Handelsreisende in Sachen gebrochene Herzen, durchzechte Nächte und chronisches Fernweh nach siebzig Jahren auf diesem maroden Klumpen Erde noch zu vermelden? »Man glaubt, weiser zu sein, aber man ist es nicht. Man wird nur vorsichtiger. Aber Vorsicht ist ein Feind, der Tränen, Schmerz, Enttäuschungen, Gelächter, Spaß und Leidenschaft auffrisst. All die guten Dinge, die Erinnerung ausmacht. Ich habe versucht, die Vorsicht zu töten oder zumindest in meinem Kopf einzusperren. Ohne Aussicht auf Revision.«

Lee Hazlewood: »Requiem For An Almost Lady«. »Cowboy in Sweden«. »Trouble Is A Lonesome Town«. »Farmish Flatulence Origami Arf!!! and me«. Alle sind erschienen bei Smells Like Records / Revenant