Prügeln für die Zivilgesellschaft

Die PKK setzt die neue Linie mit alten Formen durch, und die Solibewegung diskutiert die Kollateralschäden des »Apoismus«.

Seit die PKK auf Geheiß ihres im Gefängnis sitzenden Vorsitzenden Abdullah Öcalan den Rückzug vom bewaffneten Kampf in der Türkei begonnen hat, ist viel Unruhe in die Organisation und ihr Umfeld gekommen. Denn während der türkische Staat bislang kaum Neigung erkennen lässt, auf die Friedensappelle positiv zu reagieren, sondern die abrückende Guerilla weiter gnadenlos bekämpft, wird die neue Linie des Großen Vorsitzenden vom »Präsidialrat« genannten Führungsgremium der Organisation getreulich und fast um jeden Preis nachgebetet.

Bereits zwei so genannte Friedensdelegationen, geleitet von prominenten Kadern wie dem früheren ERNK-Europa-Sprecher Ali Sapan, sind nach ihrer Ankunft in der Türkei umgehend im Knast gelandet und erwarten Prozesse mit hohen Haftstrafen. Diese Unterwerfungsgesten der PKK haben ebenso wenig ein Einlenken des türkischen Militär- und Staatsapparates bewirken können wie die betont staatstragende Verteidigungsstrategie Öcalans das Kassationsgericht zu beeindrucken vermochte.

Türkische Zeitungen kolportierten sogar Öcalans Idee, dass sich, als Friedensgeste zum Jahrtausendwechsel, die PKKler den türkischen Behörden stellen sollten. (Von dieser Idee hat man allerdings seither nichts mehr gehört.) Sicher ist manches von Öcalans Wendungen aus dem legitimen Bemühen erklärbar, der drohenden Vollstreckung des Todesurteils zu entgehen. Aber wann wurde je in der Geschichte nationaler Befreiungsbewegungen bekannt, dass ein gefangener Guerilla-Führer ohne jede Zusage baldiger Rehabilitierung im Zuge politischer Verhandlungen oder auch nur fairer Behandlung ganze Teile »seiner« Bewegung in ein für Folter und üble Haftbedingungen berüchtigtes Knastsystem schickt?

Öcalan hat die offizielle Parteilinie auf Frieden, Zivilgesellschaft und die »demokratische türkische Republik« im Rahmen der »neuen Weltordnung« eingeschworen. Aus seiner Verteidigungsschrift an den Kassationsgerichtshof wird die Qualität der neuen Line sehr deutlich. »Es ist nicht mehr richtig, die Trennung Links - Rechts, Machthaber - Opposition, Militär - Zivile aufrechtzuerhalten«, schreibt der Apo und beklagt, dass in der türkischen Republik seit Atatürk bislang »niemals ein grundlegender gesellschaftlicher Konsens herbeigeführt« worden sei. In der beschworenen Konsens-Demokratie sollten dann die »elementaren kulturellen Identitäten«, d.h. das »Faktum (...), das wir als kurdisches Volk bezeichnet wissen wollen«, ihren Platz finden. Damit ist der Weg der PKK zur kurdischen Lobby-Politik als ethnizistische Regional-Partei vorgegeben.

Die von Öcalan beschworene »Umwandlung (der PKK) nach demokratischen Grundsätzen« hat mit einer Überwindung der hergebrachten autoritären Strukturen und völkischen Ideologien der PKK wenig zu tun. Öcalans Bruder Osman, Mitglied des Präsidialrates, verkündete in einem Interview mit der NZZ, wie er sich im Rahmen der »Einheit der Türkei« für die Kurden »ein Leben in Freiheit in einer demokratischen Republik« vorstellt: »Das Volk tut das, wozu es die PKK auffordert.« Gefragt, was das mit Demokratie zu tun habe: »Das ist die Demokratie der PKK, (...) die Religion der Freiheit.« Und die sei »dem kurdischen Volk (...) erst durch den Vorsitzenden« zur Kenntnis gelangt, der »unser Prophet« sei. Auch die PKK-nahe Zeitung Özgür Ülke preist weiter die »Freiheitslehre des Apoismus« als einzigen Weg zum Sieg; aktuelle Reportagen aus den Rückzugslagern der PKK im Nordirak bestätigen den ungebrochenen Apo-Kult.

Kritik an der nun gültigen Linie wird von den auf Apo eingeschworenen Kadern denn auch weiterhin als Gotteslästerung verstanden. Eine Gruppe von gefangenen PKK-Kadern aus dem Knast von Cannakale meldete sich mit der Kritik an der Erfolglosigkeit der neuen Linie zu Wort, die nur in Abhängigkeit von dem »Erbarmen der türkischen Republik und der Imperialisten« führe. Es nützte ihr nichts, dass sie sich dabei vor allem Sorgen um den Großen Vorsitzenden machte, der so »gegenüber den Maßnahmen des Feindes geschwächt« werde: Der Leiter der ersten »Friedensgruppe«, Ali Sapan, tobte in Özgür Politika über die »Kriegsprofiteure« und »Personen des gleichen Müllbergs«, die angeblich schon früher die kurdische Freiheitsbewegung sabotiert hätten.

In der kurdischen Diaspora der BRD blieb es nicht nur bei Beschimpfungen. Bereits im August war der kurdische Publizist Selahattin Celik, einer der ersten Kritiker der neuen PKK-Linie, in seiner Wohnung überfallen und zusammengeschlagen worden. Seither häufen sich die Berichte über Einschüchterungen und Bedrohungen von »Abweichlern«. Mitte Oktober wurde der altgediente kurdische Aktivist Nejdet Buldan nach einem Parteibeschluss von drei Personen »besucht« und aufgefordert, mit Selahattin Celik und Sükrü Gülmüs, einem anderen Kritiker der neuen Linie, keinen Umgang mehr zu pflegen. Auch an einer innerkurdischen Dialogveranstaltung, die Ende Oktober in Bonn stattfand, sollte er nicht teilnehmen. Der Einschüchterungsversuch gipfelte in dem Hinweis, man sei genauestens über Buldans Familienmitglieder bei der Guerilla informiert und diese hätten die Konsequenzen einer Fortsetzung seines Fehlverhaltens zu tragen.

Sükrü Gülmüs, der elf Jahre als PKK-Kader im berüchtigten Knast von Diyarbakir saß und heute als politischer Flüchtling in Deutschland lebt, wandte sich Anfang Dezember mit einem Appell an die Öffentlichkeit. Demnach sind auf einer Veranstaltung der PKK-Front-Organisation ERNK in Essen Ende November folgende Drohungen ausgesprochen worden: »Wir werden Sükrü Gülmüs liquidieren, wenn wir ihn sehen. Und allen Personen, die Kontakte zu ihm pflegen, werden wir die Beine brechen! Dieses Urteil gilt auch für diejenigen, die Kontakte zu Nejdet Buldan und Selahattin Celik haben. Von nun an müssen sich unsere Massen daran halten.« Gülmüs berichtet von einem Schreiben des »PKK-Führungsgremiums« in seinem Briefkasten, in dem er als »imperialistischer Handlanger, Deserteur, Kriegsprofiteur, Charakterloser« beschimpft wird. Ein von dem linken Informationsdienst Sol-Info via Internet verbreiteter Bericht behauptet, es gebe »mindestens noch ein Dutzend Fälle ähnlicher Art in ganz Europa«.

Özgür Politika beschimpfte und denunzierte die »Abweichler« in verschwörungstheoretischen Hetzartikeln als Beteiligte an einem Komplott. In einer nach Aussagen kurdischer Oppositioneller in der Türkei kursierenden Broschüre wurden sie sogar für Öcalans Entführung verantwortlich gemacht, für die ansonsten nach bewährtem antizionistischem Muster neben CIA und Nato der israelische Mossad als Drahtzieher fungiert.

Medico international hatte den Anschlag auf Selahattin Celik mit Unterstützung einiger Soli-Gruppen sofort scharf verurteilt und die PKK zu einer klaren Distanzierung aufgefordert. Diese erfolgte dann von der ERNK über das Kurdistan Informationszentrum Berlin - und wurde ausschließlich auf Deutsch verbreitet.

Die nun in der Kurdistan-Solibewegung laufende Diskussion markiert insofern eine neue Entwicklung, als bislang öffentliche Kritik an der PKK aus Angst vor »Entsolidarisierung« stets vermieden wurde. Der seit Jahren in Sachen Kurdistan-Solidarität aktive Jörg Hilbert spricht nun in der jungen Welt von »Verschwörungstheorien contra Kritik»: »Die in den vergangenen Jahren immer weiter auf die Führungspersönlichkeit Abdullah Öcalans ausgerichtete Politik der PKK (...) macht offensichtlich jede innerparteiliche Kritik am aktuellen Kurs unmöglich.«

Dass solche Erkenntnisse in Teilen der Soli-Szene immer noch wenig gelitten sind, musste der Kurdistan-Rundbrief erfahren. Das Soligruppen-Periodikum bezeichnete das Ergebnis der bislang in die Türkei geschickten »Friedensgruppen« der PKK zu Recht als »Fiasko«, druckte den Protest Nejdet Buldans gegen die an ihn gerichteten Drohungen ab und kommentierte das oben zitierte Interview mit Osman Öcalan mit einem milde kritischen Vorspann. Die darauf eingegangenen LeserInnenbriefe fasste die nächste Ausgabe des KR so zusammen: »Insgesamt richtete sich die Kritik dagegen, dass im Kurdistan Rundbrief kritische Bemerkungen über die Politik der PKK gemacht werden.«

Jürgen Gottschlich hielt dagegen in der taz den kurdischen »Kritikern der neuen PKK-Politik« mit Verweis auf die gewachsenen Spielräume der prokurdischen Partei Hadep vor, sie übersähen, »dass es in der Kurdenfrage durchaus Bewegung gibt«. Gottschlich befürwortet damit die Entwicklung der PKK zu einer regionalistischen Ethno-Lobbypartei, die mit einer linken Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse im kurdischen Teil der Türkei nichts mehr zu tun hat und mit der Joseph Fischers Außenpolitik gegenüber der Türkei bei Bedarf gut die »kurdische Karte« spielen könnte.

Eine linke Kritik müsste dagegen das auch bei den kurdischen PKK-Dissidenten ungebrochene nationalistische Weltbild einbeziehen. Denn auch ein Selahattin Celik hat an der völkischen Konstruktion der »kurdischen Identität« eifrig mitgebastelt und stand in dieser Frage voll hinter der PKK-Politik. Auch jetzt wirft er in Interviews der PKK und Öcalan vor allem Verrat an der »nationalen Verantwortung« gegenüber dem »kurdischen Volk« vor.

Die Soli-Bewegung hat aber bisher nicht nur Vorwürfe wie autoritäre Strukturen und Gewaltanwendung bei der Durchsetzung von Loyalität mit der Partei tabuisiert, die auch die deutschen Strafverfolgungsbehörden im Zusammenhang mit dem PKK-Verbot interessieren, sondern vor allem die völkische Identitätspolitik und den Antisemitismus bei der PKK.

Dass sich daran wenig geändert hat, zeigen die Reaktionen auf Dirk Hempels Kommentar zu den Todesschüssen am israelischen Generalkonsulat (Jungle World, 47/99). Statt sich auf die berechtigte Kritik an Hempels ignorantem Umgang mit der Tatsache zu beschränken, dass von den Sicherheitsbeamten offensichtlich bedenkenlos in eine unbewaffnete Menge auf der Treppe vor dem Konsulat geschossen wurde, lief sofort wieder die Gebetsmühle des sich »antizionistisch« gebenden Antisemitismus deutscher Antiimperialisten an. So im Kommentar der Internationalistischen Gruppe Berlin (Jungle World, 50/99), der allenfalls als Dokumentation, aber nicht als Disko-Beitrag in der Jungle World hätte veröffentlicht werden dürfen.

Auch die »Informationsstelle Kurdistan« beharrt in einem Offenen Brief an die Jungle World auf dem Weltbild der PKK und findet es »sonnenklar«, »dass der israelische Geheimdienst an der Öcalan-Entführung beteiligt war, (...) selbst wenn es nicht so wäre, hätte die kurdische Bevölkerung genug Gründe, gegen den israelischen Staat zu demonstrieren«!